Marke EU:
Europa muss werben oder sterben
Die Werbebranche beklagt Brexit, Gurkenkrümmungsnörgelei, Populismus und die Krise der Europäischen Union. Aber warum tut sie nichts dagegen? Ein Appell von Hasso Mansfeld.
Prinzipiell, bin ich überzeugt, wissen die meisten Deutschen recht genau, welche Vorteile sie aus der Europäischen Union ziehen. Die deutschen Unternehmen wissen es in jedem Fall.
Geschenke der Europäischen Integration
1.
Die Frage, wie man im globalen Wettbewerb unter anderem mit China konkurrenzfähig bleibt, ist nicht erst seit gestern auf der Tagesordnung und wird von den meisten Unternehmen pro-europäisch beantwortet. Spätestens seit dem Ukraine-Krieg wird auch Russland wieder nicht mehr nur als freundlicher Handelspartner und schwächelnder Schwellenstaat mit potenziell gigantischem Absatzmarkt wahrgenommen.
Russland hat gezeigt, dass es bereit ist, seine Interessen auch militärisch durchzusetzen, und es hat seine Gründe, dass osteuropäische Staaten in der EU (und nicht nur in der Nato) Schutz suchen. Kaum jemand kann wirklich glauben, dass Staaten mit Einwohnerzahlen zwischen 500.000 und 80 Millionen langfristig allein mit diesem Global Player konkurrieren können.
Und dann ist da noch die USA. Im Idealfall sieht die in Europa, und nicht in dessen Einzelstaaten, einen starken Partner. Aber auch im weniger idealen Fall, etwa wenn dort ein Isolationist à la Trump an die Macht kommen sollte, der sich einen feuchten Kehricht um den "Wurmfortsatz Asiens" schert, ist dieser geeint stärke, als in nationalistische Kleinstaaterei zerstritten.
2.
Die Bedeutung des europäischen Binnenmarktes für den wirtschaftlichen Wohlstand sollte unbestritten sein. Auch die Engländer und andere potenzielle Aussteiger sowie niemals Beigetretene versuchen bekanntlich alles, um den freien Zugang zu diesem Binnenmarkt nicht zu verlieren. Und gerade auch die deutsche Exportindustrie, immerhin das Rückgrat der hiesigen Wirtschaft, weiß um die Vorteile des gemeinsamen europäischen Marktes.
3.
Und dann sind da noch all die schönen kleinen Dinge. Ob das freie Reisen von Ägäis bis Algarve, ohne Staus an den Grenzen, oder die internationalen Freundschaften, die nicht nur die Jüngeren unter uns heute selbstverständlich pflegen: Alldem wären ohne zunehmende europäische Integration seit 1945 doch gewaltige Steine in den Weg gelegt.
4.
Ach so, apropos Kleinigkeiten: Kein Krieg auf dem Gebiet der Europäischen Union seit mehr als 70 Jahren! Ein absolutes Novum in der europäischen Geschichte. Erwähnte ich das schon? Man verdrängt ja so leicht, was auf einmal selbstverständlich scheint.
Kleinscheiß ist anschlussfähig
Dem gegenüber stehen die Nörgeleien der Populisten. Das Nitpicking (verzeihen sie das dem Anlass angemessene Abgeleiten ins Englische). Für die ist die EU ein Steinbruch, aus dem man sich stets passende Brocken rausschlägt, wenn es gilt, sich zu mokieren. Manchmal, wie im Falle der über 100 Regulierungen zum Thema Kopfkissen, erfindet man sich seine Steinchen sogar selbst.
Wann immer Johnsons, Farages oder deutsche EU-Kritiker sprechen, geht es um Regulierung, Regulierung, Regulierung. Und so gut wie nie um durchaus vorhandene ernsthafte Hürden für unternehmerische Tätigkeit oder persönliche Freiheit. Es geht um Petitessen wie Ölkännchen, die man nicht auf den Tisch stellen darf, es geht um Kopfkissen oder die längst berühmt-berüchtigte Gurkenkrümmung. 70 Jahre kein Krieg vs. Gurkenkrümmung. Gleichwohl die Mehrheit die klassische Glühbirne schmerzlich vermisst: Auch in diesem Fall sollte man doch mal seine Prioritäten geraderücken. Alles andere ist letztlich sogar: autoagressiv.
Es stimmt: Kleinscheiß ist hochanschlussfähig. Oder weniger salopp: Kleinigkeiten eignen sich, weil wir uns im Leben all zu oft an lieb gewonnenen Kleinigkeiten entlanghangeln, gut, um Emotionen anzufachen und Aufruhr zu schüren. Und manchmal stimmt, was Ralf Dahrendorf schon in den Siebzigern bemängelte: Die EU hat gerade in kleinen Dingen einen großen Harmonisierungswahn. Wobei man zugestehen muss, dass scheinbare Verrücktheiten wie die Gurkenkrümmung vom Handel, nicht vom bürokratischen Apparat in Brüssel vorangetrieben wurden.
So oder so: In populistischer Manier mit diesen Kleinigkeiten anschließend Stück für Stück, Stein für Stein das geeinte Europa zu diskreditieren ist ein feiges, unehrliches, ein schäbiges Unterfangen. Mein Verdacht: Die Akteure wissen das. Weshalb sie sich ja auch, sobald es zu liefern gilt, wegducken, ins Privatleben zurückziehen oder anderweitig die Pro-Europäer die Suppe auslöffeln lassen, die sie ihnen eingebrockt haben.
Gutes Produkt, erbärmliche Werbung
Es ist Zeit, dass all die, die den Nutzen der Europäischen Union erkennen, gegen solchen Populismus aufstehen. Denn die Union ist ein gutes Produkt, für das es sich zu werben lohnt. Mit konstruktiven Vorschlägen statt mit destruktiver Rosinenpickerei. Vielleicht sind Kleinigkeiten ja zu stark reguliert. Vielleicht braucht es aber auch gerade im ordnungspolitischen Rahmen mehr und nicht weniger Integration.
Nun ist die europafreundliche Wirtschaft, sind auch gerade die Mitglieder meiner Branche gefragt.
Ich bin mir sicher, dass viele der Meinung sind, dass wir mit einer Abwicklung der EU, die nicht mehr außerhalb des Möglichen scheint, weit mehr verlören als gewönnen. Was passiert, wenn nach dem Brexit demnächst der Front National in Frankreich an die Macht kommt, in der Alpenrepublik "Freiheitliche" und vielleicht dann irgendwann auch die sich immer weiter radikalisierende AfD in Deutschland, das möchte man sich gar nicht ausmalen.
Ich möchte nicht zu einer weiteren Generation gehören, die im Alter verschämt vor sich hin brummelt: "Wir haben doch von all dem nichts wissen können."
Gleichzeitig waren bisherige Pro-Europa-Kampagnen werbetechnisch gesehen meistens Mist. Fröhliche Menschen aller Hautfarben, die tanzen, ein verwirrendes Musikvideo auf die Melodie der Ode an die Freude und was nicht noch alles. Das ist doch nicht Europa! Das muss doch besser gehen!
Und so möchte ich mit dem Aufruf an alle ebenfalls pro-europäisch gesinnten Kolleginnen und Kollegen schließen, es besser zu machen. Lassen Sie uns für Europa werben, in Wort, Bild, Ton, on- und offline, öffentlich und privat, auf jede nur erdenkliche Art.
Denn irgendwann könnte es tatsächlich zu spät sein.
Man kann sich nicht darauf verlassen, dass die Populisten nach jedem ihrer Siege freiwillig das Handtuch schmeißen.
Der Autor:
Hasso Mansfeld ist Kommunikations- und Strategieberater. Er gehörte zum Autorenkreis von The European und schreibt heute für das Meinungsportal Die Kolumnisten. Mansfeld kandidierte 2014 als FDP-Mitglied für das Europäische Parlament. Er lebt und arbeitet in Bingen am Rhein.