Designkolumne:
Effekthascherei und populistisches Gebrüll sind out
Nach Jahren des Gebrülls erleben wir eine Renaissance des Diskurses. Bei allen Schwierigkeiten ist das etwas, was Mut macht. W&V-Designkolumnist Norbert Möller über die Rolle der Gestalter in der Krise.
Wir alle lesen im Moment sehr viel: Die Corona-Krise verstärkt unseren Drang nach ständiger Information. Nach immer neuen Updates, die uns endlich Klarheit liefern, wie die Zukunft wohl aussehen wird – oder was uns als nächste Maßnahme im Alltag begegnen wird. Die ständige Beschäftigung mit der Krise dient uns vielleicht auch ein wenig als Trost: Wir stellen durch unsere Lektüre fest, dass sich Menschen auf der ganzen Welt ähnliche Fragen stellen und fühlen uns weniger alleine, auch wenn wir Distanz wahren. Interessant finde ich dabei, dass wir im Unwissen vereint sind: Es gibt keine Blaupause für die aktuelle Pandemie – und dementsprechend auch niemanden, der ernsthaft den Anspruch vertreten kann, die einfache Lösung zu kennen. Populistische Antworten entlarven sich als kurzsichtig; das Abwägende, Wissenschaftliche, das vermeintlich sperrige "Wir wissen es auch nicht genau" hingegen erscheint uns glaubwürdig. Nach Jahren des Gebrülls erleben wir eine Renaissance des Diskurses. In allem Negativen ist dies eigentlich eine Entwicklung, die uns Mut machen darf.
Was bringt die Verzerrung eines Firmenlogos?
Während sich die ganze Welt also fragt, wie die Zukunft "nach Corona" aussehen wird und Zukunftsforscher hierzu fleißig Theorien aufstellen, beschäftigen sich viele Designer mit dem Hier und Jetzt. Von Berufs wegen suchen wir ja stets nach kreativen Beiträgen, um Botschaften zu verdichten. Und ganz nüchtern betrachtet, könnte man sagen: Keiner von uns konnte vor zwei Monaten absehen, welche großen kommunikativen Themen unsere Arbeit heute prägen. Die glücklichen Frühlingsmotive werden eingestampft, neue Fotoshoots sind kaum möglich, und so erleben wir aktuell viele grafische Umsetzungen die sich vorwiegend auf das Thema "Social Distancing" beziehen. Fast schon zum Klassiker ist es geworden, Logomarken zu sperren oder auseinanderzuziehen. Das ist im ersten Moment vielleicht originell, im zweiten Moment aber eher effektheischend oder banal. Auf keinen Fall jedoch eine dauerhafte Lösung. Alle Ideen haben zurzeit zudem eines gemeinsam: Am nächsten Morgen sind sie oft schon wieder Makulatur.
Substanz vs. gestalterische Schnellschüsse
Stellen wir aber noch einmal bewusst die beiden eben geäußerten Überlegungen gegeneinander: In der gesellschaftlichen Diskussion suchen wir nach Relevanz und Substanz – in der Gestaltung entstehen zugleich kommunikative Schnellschüsse. Ich finde: Da passt etwas nicht zusammen. Von uns als Gestalter werden Inhalte statt Oberflächlichem erwartet. Wir können – nein wir müssen – einen Beitrag dazu leisten, das Wesentliche möglichst schnell und direkt zu vermitteln.
Denn genau darauf kommt es heute an: Die mentale Verfassung der Konsumenten ändert sich von Tag zu Tag – und oft auch die Inhalte, die vermittelt werden müssen. Ein Beispiel sind veränderte Hygienebestimmungen beim Einkauf: Aufgeklebte Abstandshalter an der Kassenschlange oder einfache Piktogramme, die mir beim Betreten des Supermarkts sofort kommunizieren, ob ich einen Einkaufswagen mitnehmen muss oder nicht.
Die Dinge einfach und prägnant erklären
Wir kennen auch die zahlreichen Aushänge: Wo muss ich mich anstellen, wenn ich Bestellungen aufgeben oder Essen abholen will? Und wie viele Leute dürfen gleichzeitig in die Bank, um am Automaten Geld abzuheben? Ich ignorierte kürzlich an der Tür meiner Sparkasse einen Zettel: Der Inhalt war umfangreich und klein geschrieben, beim schnellen Überfliegen blieb ich an Floskeln hängen. Über die Sicherheit, die groß geschrieben werde, die Gesundheit und die aktuellen Zeiten. Vor lauter Herleitung versäumte der Text, mich zur wesentlichen Aussage zu führen: dass nur zwei Personen die Bank betreten sollen. Obendrein fehlte auf dem Aushang das Logo der Bank als Absender. Ich nahm die wichtigen Regeln also nicht als relevante Information wahr. Als ich diesen Umstand später bemerkte, dachte ich mir: Es wäre doch viel zielführender, einfach einen Aufsteller in der Farbe der Bank den Kunden in den Weg zu stellen, auf dem steht "Bitte nur zwei Personen gleichzeitig, Danke!"
Wiederentdeckte Lust am inhaltlichen Diskurs
Das ist nur eine kleine Erkenntnis aus dem Alltag. Und doch lässt sie sich auf die großen Themen übertragen. Unsere Arbeit als Gestalter besteht darin, Inhalte und Informationen auf den Punkt zu bringen und damit zugänglich zu machen. Visuell, sprachlich, akustisch, oder mit welchem Medium auch immer. Hierin sind wir geschult.
Wenn wir uns also nun fragen, ob die Welt nach der Corona-Krise eine andere sein wird, so sollten wir zugleich den Blick auf uns richten. Wir müssen prüfen, welche Rolle wir als Gestalter in dieser Welt spielen wollen oder wie sich veränderte Werte und Rahmenbedingungen auf unsere Arbeit auswirken.
Ich wünsche mir, dass wir nach Corona nicht wieder in alte Muster zurückfallen, sondern uns die wiederentdeckte Lust am inhaltlichen Diskurs bewahren und nach nachhaltigen und dauerhaften Lösungen suchen. Und dass wir als Gestalter unsere Arbeit hieran ausrichten: Wenn es uns gelingt, komplexe Lösungen zu vereinfachen, werden wir zum Partner für ein Zeitalter der Transformation – wenn wir uns hingegen in Effekthascherei verlieren, so werden wir verzichtbar sein.