Jochen Kalka:
Dmexco mit anderen Augen: Schlammschlacht in Köln
Wäre diese Stadt, wäre diese Messegesellschaft nicht. Dann wäre sie ein voller Erfolg, die Digitalmarketingmesse Dmexco. Eine persönliche Bilanz von W&V-Chefredakteur Jochen Kalka.
Wäre diese Stadt, wäre diese Messegesellschaft nicht. Dann wäre sie ein voller Erfolg, die Digitalmarketingmesse Dmexco. Rekorde allenthalben, gute Gespräche, gute Geschäfte, gute Performance auf den Bühnen, alle 43.000 Besucher waren in dieser Hinsicht zufrieden, sehr sogar. Doch wollen wir auch mal das Drumherum betrachten:
Der Weg zu diesem wichtigsten Branchentreff ist beschwerlich. Wer öffentlich ankommt, mit der Bahn etwa, der darf sich erst mit Hunderten von Gästen im Schlamm suhlen. Die Shuttle-Busse fahren auf frisch aufgeschüttetem Kies, die Gäste stehen tief im Matsch. Seit Jahren schon, doch wen interessiert das schon? Ich persönlich musste nur drei Busse lang warten, im freundlichen Regen, während ich den Matsch fast schon liebgewann, während Frauen mit ihren Absätzen steckenblieben oder gar im schlammigen Boden versanken. Manche stützten sich an Damen mit hohen Absätzen, die gut verankert schienen, dann doch ihre Haltung verloren. Schlammcatchen vor der Dmexco, was für ein symbolischer Auftakt.
Kölner Chaos auch im Eingangsbereich, der eher an einen Dorfbahnhof erinnert als an eine internationale Messe. Optisch nicht, aber organisatorisch. Riesige Staus an der Garderobe, noch größere Staus an den Einlässen, da die Tickets nicht so zuverlässig grünes Licht geben wollten. Jedes Open-Air-Konzert ist besser organisiert. Orientierungspläne fand man nicht wirklich, für das Finden der Orientierungspläne hätte es erst einmal Orientierungspläne geben müssen. Ich persönlich kannte ja meine Wege, doch überall trieben hilfesuchende Menschen mit verschreckten Kaninchenaugen hilflos durch die Gänge.
Wie gesagt, die Messe Dmexco, toll. Erfolgreich. Großartig. Ein kleiner Herr Sorrell war eines der Gesprächsthemen, ein befreiter Herr Ruzicka und endlos viele Geheimtipps der 881 Aussteller. Wirklich großartig, wen man hier trifft, nämlich alle. Alle sind da, die Ebelings, die Schäferkordts, die Thomas Kochs, Klaus-Peter Schulzes dieser Welt, einfach alle.
Irgendwann dachte ich, was sollen eigentlich all diese Wände überall, typisch deutsch, the Wall mitten im Treiben, Gartenzaundenke, eigentlich bräuchte diese Messe gar keine Stände, umso besser könnte man sich sehen, denn die zwei Tage Dmexco sind keine Digital-Marketing-Veranstaltung, nein, sie sind eine große Party, all day long, sie sind das große Klassentreffen schlechthin. Wie auch immer der Event heißt.
Wäre diese Stadt, wäre diese Messegesellschaft nicht. Denn auch am Abend werden die Gäste schlicht im Regen stehen gelassen. Da gibt es Hallen ohne Ende mit gigantischen Dächern noch und nöcher, doch die Gäste stehen ewig im Regen, in einer ewig langen Schlange, um ein Taxi zu ergattern.
Es herrscht der Eindruck, dass in Köln nur ein einziges Taxi unterwegs ist, denn wenn es Fahrgäste aufnimmt, braucht es sehr, sehr lange, bis es wieder zurück ist, um einen weiteren der 43.000 Gäste aufzunehmen.
Eine Alternative ist natürlich die Fahrt mit dem Shuttlebus. Leider mangelt es an Beschriftungen, so dass sich rasch stets der Bus füllte, der gar nicht zum Bahnhof Deutz fahren sollte, sondern der, der einen zum Parkplatz 22 brachte. Massen von Menschen füllten busweise völlig sinnlos den Parkplatz 22. Denn der Bahnhof-Shuttle war nach einem lustigen Suchspiel in Echtzeit hinter großen Mauern und drei Ecken versteckt. Wer braucht schon Beschriftungen in einer Welt voller Apps?
Wer noch klüger war und auf die Idee kam, die wenigen Minuten zur nächsten Straßenbahnhaltestelle zu laufen, während die Autos von der Seite das Regenwasser aggressiv zum Bürgersteig spritzten und Radfahrer die Besucherströme wegklingelten, durfte mit anderen Erlebnissen rechnen: Der einzige! Fahrkartenautomat für 43.000 Besucher findet sich nicht unter einem der zwei kleinen Wartedächer, auch nicht am Anfang der Haltestelle, wo die Massen einströmen, sondern ganz am Ende, im Regen eben. Wer es dann irgendwann in die Straßenbahn geschafft hatte und dann wissen wollte, in welcher Linie er sich befindet, hatte keine Chance es herauszufinden. Auch Strecken- oder Netzpläne, Fehlanzeige. Nicht in einer Stadt, der es nicht gelingen mag, Wahlzettel ordnungsgemäß zu drucken. Wäre diese Stadt nicht, Chaos-Köln eben.
Die Messe Dmexco, toll diesmal wieder, ja, wirklich tolle Gespräche, wirklich tolle Begegnungen, ja, wirklich tolle Inhalte bei 500 Rednern. Das war wirklich alles gut. Dass eine Klimaanlage die Luft anscheinend nicht mehr umwälzen konnte, die Augen austrockneten und sich Kopfweh verbreitete, war sicher nur ein Gerücht.
Wer aber zum Beispiel eine Currywurst essen wollte, der durfte diese stickigen Hallen verlassen, um unter freiem Himmel – also im strömenden Regen – in einer Schlange zu stehen. Das kleine Vordach der Currybuden sammelte gekonnt das Wasser, um es gezielt über die Besucher strömen zu lassen. Immerhin standen Currybuden nicht im Schlamm.
In Köln wurden von den 43.000 Besuchern übrigens auch asphaltierte Straßen entdeckt. Und später ein zweites Taxi. Kein Wunder, dass der Kölner in seiner Not so viel Humor entwickelt. Das Einzige, das diese Stadt professionell betreibt, ist der Karneval.