Alle sind da, alle Digitalos, alle Vermarkter, alle Mediaagenturen, alle Medien, alle Welt eben. Aber auch alle Klugschwätzer, alle Dummschwätzer, alle Innovatoren, alle Imitatoren, alle Klugen, alle Beeindruckenden, alle Bluffer. Wer am Abend weniger als 100 Visitenkarten gesammelt hatte, war faul, Autist oder stand an einer Damentoilette an.

Nein, keine böse Kritik diesmal. Zumal anfangs alles perfekt klappte. Nach der Landung standen am Flughafen zwei Drive-now-Wagen. Ich musste tags vor der Messe noch in der Region Termine abfahren. Zwei Minis für Tausende von Fluggästen, das war schon mal beeindruckend. Doch, Halt: Für die Messetage erhielten die Gäste kostenlos Fahrscheine für den öffentlichen Nahverkehr. Das war ein gigantischer Fortschritt gegenüber dem Vorjahr.

Man muss wochenlang Vorbereitungen treffen, um in Köln übernachten zu dürfen

Warnung allerdings vor dem Übernachten in Köln: Die Stadt hat sich eine aufwändige Bettensteuer einfallen lassen, die Kulturförderabgabe genannt wird und, Zitat, "auf alle entgeltlichen Beherbergungsleistungen anwendbar ist". Fünf Prozent der Übernachtungskosten sind das. Wer also ein Billigbett für 300 Euro ergattern konnte, muss 16,05 Euro inklusive Steuer dafür zahlen. Immerhin: Zuschläge für Haustiere sind hier inklusive, da zeigt sich Köln großzügig.

Wer berufsbedingt zur Domplatte muss, ist behördlich verpflichtet, eine Arbeitgeberbescheinigung mitzubringen. Sie muss, Zitat, "als Teil des Besteuerungsvorgangs in Deutsch abgefasst sein", was die vielen internationalen Gäste der Dmexco beeindrucken dürfte. Damit umgeht man allerdings die Zwangsabgabe für Zwangsübernachtungen in Köln. Dafür braucht die Stadt noch ein amtliches Führungszeugnis, drei schriftliche Zeugenaussagen, dass man nicht zurechnungsfähig ist und eine Schufa-Bestätigung für die Finanzierung der Kölner U-Bahn.

Trotz des kostenlosen Nahverkehrstickets kam mein sehr früher Frühstückstermin, ein Kölner, auf die Idee, mit dem Wagen über den Rhein zu Messe zu, nun ja, stehen. Wobei, es lief besser als gedacht. Aber nur, wenn man nicht der Beschilderung "Dmexco" folgte. Erfolgreich verfuhr sich mein Kölner, um nach zwei verwirrenden Drehungen an einem nicht beschilderten Parkplatz zu landen, direkt am Messeeingang. Entsprechend gab es hier überhaupt keinen Rückstau. Köln, so langsam verstehe und liebe ich dich!

Oha, manchen geht es echt ums Geld

Ein hochkarätiger Manager eines Konzerns schrieb mir eine Mail, in der stand: "Die Kölner Lernkurve ist flach wie Ostfriesland". Das finde ich böse. Und ich habe darüber nachgedacht: Im vergangenen Jahr war die Messe-Organisation in vielerlei Hinsicht noch überfordert. Das ist schade, weil die Dmexco die wichtigste Branchenveranstaltung des Jahres ist. Doch was hat Köln wirklich aus den Fehlern gelernt? Letztes Jahr standen die Damen noch in gigantischen Schlangen vor den Toiletten. Dieses Jahr schienen die Schlangen um bis zu 50 Meter kürzer. Sie wurden nicht mehr im Verkehrsfunk durchgesagt.

Letztes Jahr standen Massen von Promotern in den Gängen, um den Fluss der Besucherströme fies auszubremsen. Das Problem wurde auf Kölner Art gelöst: Diesmal waren es mehr Promoter als Besucher.

Letztes Jahr stand man im strömenden Regen, um nach langer Wartezeit eine Currywurst zu ergattern. Diesmal stand man in glühender Hitze, um nach langer Wartezeit eine Currywurst zu ergattern. Sie sorgte dann aber für angenehme Abkühlung.

Letztes Jahr gab es in Köln noch keine Steckdosen, um sein Handy zu laden. Diesmal gab es fündige Besucher, die an Gängen in Bodennähe Stromanschlüsse gefunden haben sollen, wenn man einen Staubsauger zwischengeschaltet hatte. Doch mit jedem Handy, das geladen wurde, musste leider eine Klimaanlage ausgeschaltet werden. Köln, so langsam verstehe und liebe ich dich!

Ach ja, dann gab es noch Führungen vom BVDW. Die waren super, erzählte mir, ähem, niemand. Aber ein Teilnehmer berichtete mir, dass man am Ende einen merkwürdigen Stand besucht habe, was nicht sein kann, da alle Stände super waren. Auf Nachfrage wurde dem Teilnehmer vom BVDW-Mitarbeiter ernsthaft erklärt, der Stand habe am meisten bezahlt. Oha, manchen geht es echt ums Geld. Mir nicht. Wir machen das doch alle aus Liebe, das mit der Dmexco. Oder etwa nicht?

Die Logik der S-Bahn

Auch bei den Beschriftungen hat sich was getan. Erstmals konnte man den Südausgang direkt in Richtung Bahnhof Köln-Deutz benutzen. Was wirklich noch nie der Fall war, weil es völlig logisch ist. Als ich Ungläubiger an einem Auskunftspunkt der Dmexco fragte, ob man wirklich über den einfachen Südausgang rauskäme, wurde mir von drei Mitarbeiterinnen professionell bestätigt: "Das wissen wir nicht, wir sind hier noch nicht herumgekommen." Mutig habe ich den Weg ausprobiert und war schon deutlich vor Mitternacht am Bahnhof, es war noch hell.

Vor dem Abschied graut einem immer. Weil man von der Dmexco so schwer loskommt. Wie immer geht vor der Messe nichts. Die Busse kurven in einer unergründlichen Rundfahrt wie auf einer Teststrecke um das Gelände und spielen mit der menschlichen Schwerkraft in eigens eingebauten Kurven. Kein Meter scheint hier geradeaus zu gehen. Die Taxis scheinen endgültig vor dem Andrang der Messe kapituliert zu haben. Ein Marketer schrieb mir eine SMS vom Taxistand aus: "Stehen hier seit 90 min und Taxen kommen so spärlich wie Regen in der Sahara…"

Aber dann gibt es ja noch den kostenlosen öffentlichen Nahverkehr. Etwa die S-Bahn. Zum Messeende am Tag 1 kam sie nicht. Es war 17.18 Uhr, doch auf der Anzeige stand, dass sie um 17.03 Uhr kommen sollte. Erst später kapierte ich, dass die das ernst meinten, die Kölner. So voll wie der Bahnsteig war, meinten die 17.03 am nächsten Tag? Nein, es war schlimmer. Sie kam, als kaum mehr Platz auf dem völlig überfüllten Bahnsteig war, doch die Türen öffneten sich nicht. Eine unverständliche Durchsage murmelte was von "hinterem Wagen". Tatsächlich blieb der komplette erste Zugteil verschlossen. Nur der hinterste Wagen wurde geöffnet. Natürlich passte nur ein Bruchteil der Gäste in den Wagen. Selbst Japaner hätten hier Platzangst bekommen. Tiertransporter wären sofort engagiert worden, weil sie ihre Fahrgäste, Schlachtvieh, menschlicher behandeln. Für einen Augenblick nur stellte ich mir vor, wie ich mir in so einer Masse von Menschen eine Armlänge Abstand erobern sollte, wie die Kölner Bürgermeisterin nach dem Domplattensilvester empfahl.

Die Logik der S-Bahn jedenfalls wurde mir erst später klar: Der vordere Zugteil blieb verschlossen, weil hier die Klimaanlage intakt war und mit dem Öffnen der Türen die Hitze hereingeströmt wäre. Köln, so langsam verstehe und liebe ich dich!

Auf der Messe sickerte durch, dass der Berliner Flughafen nach Köln verlegt werden soll. Er passe besser zur Stadt, hieß es aus sicheren Quellen. Und anstatt die U-Bahn bis zum Jahr 2193 fristgerecht fertig zu bauen, soll nun doch stattdessen die Stadt unter die Erde gelegt werden. Das gehe schneller.

Ich verstehe es ja auch nicht. Köln ist sehr eigen. Die Messegesellschaft scheint ihr eigenes Messegelände nie zu verlassen, sonst wüsste sie über kommende und gehende Besucherströme Bescheid. Die Dmexco selbst aber ist wie eine Droge. Man weiß um die Nebenwirkungen, ist aber irgendwie abhängig. Und man gibt sich auch im nächsten Jahr wieder der Versuchung hin.

Hier ist noch einmal Jochen Kalkas Dmexco-Rückblick von 2015.

Und das hier sagt Dmexco-Organisator Christian Muche über die Messe:


Autor: Jochen Kalka

ist jok. Und schon so lange Chefredakteur, dass er über fast jede Persönlichkeit der Branche eine Geschichte erzählen könnte. So drängt es ihn, stets selbst zu schreiben. Auf allen Kanälen.