Gastbeitrag:
Dmexco: Blick in die Zukunft oder Nabelschau der Branche?
Es wird Zeit, alte Gräben zwischen digitaler und klassischer Werbung zuzuschütten, findet Gerald Hensel, Strategy Director bei Scholz & Friends Berlin. Ein Gastkommentar zur Dmexco 2013 und zum Status digitaler Integration in Agenturen.
Es wird Zeit, alte Gräben zwischen digitaler und klassischer Werbung zuzuschütten, findet Gerald Hensel. Er ist Strategy Director bei Scholz & Friends Berlin und arbeitet seit neun Jahren in verschiedenen digitalen und integrierten Agenturen, startete jedoch als klassischer Texter. Ein Gastkommentar zur Dmexco 2013 und zum Status digitaler Integration in Agenturen.
"Turning Visions into Reality" – das ist das Motto der diesjährigen Dmexco in Köln. Ein blumiges Motto, das zur vermeintlich verrückten, bunten und schnellen Digitalwelt passt. Sieht man sich dann aber die "Key Facts" an, setzt die Realpolitik ein: "Alle relevanten Themen", seien dabei, von "Ad Serving und Ad Trading über E-Commerce, In-Game Advertising, Multi-Channel-Marketing und Mobile bis Online-Vermarktung, Social, Targeting und Bewegtbild-Werbung."
Klingt nach Tools. Vielen Tools, die zweifellos wichtig sind. Tools, die uns allerdings doch zu oft von der eigentlichen Frage ablenken, wo die Zukunft einer Branche liegt, die es sich mit Integration nicht immer leicht gemacht hat. Denn viel zu oft stehen Tools und Plattformen im Mittelpunkt des Agentur-Diskurses und eben nicht die eigentlich zentrale und potenziell schmerzhafte Frage: Wie sehr hat Digital das Feld Strategie bzw. "The Artist formerly known as Planning" revolutioniert?
Digitales Marketing? Klar, das sind nach landläufiger Meinung immer noch in Technik übersetzte Werbeideen.
Aber ist das wirklich so? E-Commerce, Social Media, Kundenbindung, CRM, Customer Care: All das sind neue Funktionen, die Agenturen heute bedienen können und müssen. Digitales Marketing ist dabei der Alltag einer Marke. Oder anders ausgedrückt: Es sind die Touchpoints, Interaktions-Typen und –Anlässe, die weit über Kampagnen hinausgehend, die die eigentlich dauerhafte und hoffentlich zufriedenstellende Interaktion zwischen Marke und Konsument bestimmen. Genau da können Marken nämlich heute noch punkten in einer Welt, in der Werbebotschaften omnipräsent auf uns einströmen.
Klar, das sorgt für Unruhe in Agenturen. Denn wenn wir heute mehr als Kampagnen schaffen können, definieren wir unser Produkt als Agentur um. Und wir verändern die Verteilung von Kundenbudgets. Dass das für Argwohn sorgt, wurde treffend kürzlich von Heimat-Geschäftsführer Matthias von Bechtolsheim in einem Interview zusammengefasst: "Der einst picklige Nerd in seinem dunklen Kämmerchen ist plötzlich Gott."
Dabei vergisst von Bechtolsheim nicht als erster Werber, dass es eben in Deutschland die Hochmut der Klassik war, die digitale Kommunikationsideen viel zu lange zu Below-the-Line gemacht haben und Social Media zu den "Klowänden des Internet". Durch genau diese "Klassik first"-Sichtweise wurde jahrelang die Chance zu sinnvollem und kreativem integrierten Vorgehen behindert.
Langsam setzt sich jedoch zum Glück auch in Deutschland eine Idee durch, für die viele Digitalos der ersten Stunde lange gefochten haben: "Digital" ist eben nicht ein weiterer Kanal, eben kein weiterer Punkt in einer User-Journey, der irgendwo zwischen Print und TV steht. Denn auch dem eingefleischtesten Werber der alten Schule dürfte mittlerweile die Rolle digitaler Interaktionskonzepte zumindest halbwegs klar sein: Sie sind in der Tat zum Kitt zwischen allem geworden. Kein Kunde kauft heute noch ein Agentur-Konzept ohne eine gehörige Portion digitaler Denke. Und wenn ich Denke sage, dann meine ich vor allem strategisches Denken im digitalen Raum, nicht etwa kreative digitale Umsetzungskompetenz.
Turning Visions into Reality: Nicht die Social Media Monitoring Tools, nicht CRM-Produkte oder Hosting-Solutions auf der Dmexco sollten im Mittelpunkt einer Vision für unsere Branche stehen. Stattdessen hoffe ich auf ein integriertes, spannendes, kreatives – und digital getriebenes Marketing-Produkt, das weit mehr als eine Kampagne sein wird. Dazu müssen wir allerdings anfangen alte Gräben zuzuschütten. Dazu müssen Klassikkreative Technologie mögen lernen. Und dazu müssen die deutschen Digitalen sich auch mal aus der Nerd-Ecke rausbewegen und bessere Geschichten erzählen lernen.
Es wird endlich mal Zeit.