Mirko Kaminski :
Digitale, warum trefft Ihr euch noch?
Mirko Kaminski, Chef der Agentur Achtung und W&V-Kolumnist, fragt sich, warum man stundenlang nach Austin, Barcelona oder Vegas fliegen muss, um dann über die Zukunft digitaler Interaktion zu diskutieren. Der Widerspruch irritiert ihn. Vielleicht ist er aber auch einfach nur eingeschnappt....
Mirko Kaminski, Chef der Agentur Achtung und W&V-Kolumnist, fragt sich, warum man stundenlang nach Austin, Barcelona oder Vegas fliegen muss, um dann über die Zukunft digitaler Interaktion zu diskutieren. Der Widerspruch irritiert ihn. Vielleicht ist er aber auch einfach nur eingeschnappt....
SXSW, CES, Mobile World Congress, Web Summit, Dmexco... Immer größer. Immer mehr Besucher.
Die Themen digitale Interaktion und Tech-Innovationen bringen Zigtausende dazu, sich in den Flieger zu setzen und viel Geld für Tickets sowie Hotelzimmer auszugeben. Nur um dann in fensterlosen Konferenzräumen miteinander zu diskutieren, wie man künftig noch intensiver miteinander via Smartphone, Messenger usw. kommunizieren wird. Und um gleich danach in die Hosentasche zu greifen und Visitenkarten mit Prägung auszutauschen.
Teilnehmer warten 30 Minuten aufs Taxi, gehen kilometerweit übers Messegelände, um sich dann in einen Vortrag zu setzen, kurz den Sitznachbarn zu checken, unverzüglich aufs iPhone zu schauen und dann zu posten, dass sie gerade in einem Vortrag sitzen.
Auf Messen, also Veranstaltungen, die ihre Wurzeln im Mittelalter haben, wird über künstliche Intelligenz, Algorithmen und Echtzeit-Kommunikation debattiert. Vor mehr als 1.000 Jahren ging man von Stand zu Stand, um ausgestellte Waren zu begutachten. Nur damals in Sandalen. Nicht in Sneakers. Damals durch den Schlamm. Nicht über schmutzresistente Messeteppiche.
Warum lassen die Themen Technology, Mobile und Digital Messen blühen, anstatt ihnen die letzte Schaufelkelle Erde ins Grab zu schippen? Man könnte profund darüber streiten. Ich glaube, das sind die wahren Gründe:
1.
Von Duisburg, Oer-Erkenschwik oder Augsburg aus kannst Du via Swarm halt nicht in Austin, Las Vegas oder Barcelona einchecken.
2.
Selbst als digitaler Vordenker genießt Du in der Interaktiv-Agentur oder im globalen Digitalteam eines Weltkonzerns keinen Respekt, wenn Du am Schrank nicht ein Bundle von Badges groß wie eine genmanipulierte, über Kopf hängende Hanfstaude befestigt hast.
3.
Das Teamfrühstück mit den Abteilungskollegen am Mittwochmorgen ist eine feine Sache. Aber am erstklassigen Frühstücksbuffet in dem Sterne-Hotel am Messeort gibts Rührei mit Speck und frischgepressten Grapefruitsaft. Und eine Tageszeitung. Kostenlos.
4.
Wer den ganzen Tag vorm Bildschirm sitzt, wird irgendwann rammdösig. Der muss mal unter Leute. Vielleicht will er auch schlicht mal gucken, ob die Leute, deren Linked-in-Beiträge er täglich liest, wirklich Ähnlichkeit mit deren Profilbild haben. Das könnte so eine Tinder-Neugier sein. Aber ich schweife ab...
5.
Ein Bild von sich mit dem neuesten heißen Gadget-Scheiß ist schon deutlich cooler als so ein Arbeitsplatz-Selfie mit Kaffeebecher von den VGH Versicherungen.
6.
Du kannst als „Influencer“ eine riesige Online-Reichweite haben. Du kannst unendlich oft geliked, geshared, zitiert werden. Gilt alles nichts, wenn Du nicht auf so einer VIP-Messeparty von Google oder Facebook gesehen wirst.
7.
Natürlich könnte man sich die wichtigsten Keynotes und Sessions auch als Web-Video anschauen. Aber woher daheim die Zeit nehmen, wenn doch gerade die vierte Staffel von House of Cards anläuft?
8.
Auch Digitale sind nur Menschen. Und für 85.000 Meilen gibts im Miles & More Shop schon einen tollen Sennheiser-Kopfhörer. Für 204.000 Meilen sogar ein "Apple iPad Air 2 Wi-Fi Cell, 16 GB, Space Gray".
9.
So eine Messeparty mit Iggy Pop ist durchaus eine erfrischende Abwechslung. Vor allem, wenn ein Highlight der Arbeitswoche ansonsten darin besteht, dass jemand im Büro vegane Muffins und Erdbeersekt ausgibt.
10.
Wenn Du nicht da bist, wirst Du von den Daheimgebliebenen nicht beneidet. Ich weiß, wovon ich rede. Ich hab’ es halt dieses Jahr nicht zur SXSW geschafft. Und mürrisch zu sein, kann gemein werden lassen...
Der Autor: Mirko Kaminski ist Gründer und Geschäftsführer der Kommunikationsagentur Achtung. Der frühere Radiojournalist ist bei großen Kreativ-Festivals und Digitalkonferenzen regelmäßig als Video-Blogger für W&V im Einsatz. 2013 gehörte er der Cannes-Jury an.