Benno Rott: Wir sind eine Ausgründung der Ludwig-Maximilians-Universität München und betreiben DieSchulApp unter dem Dach des Münchner Software-Entwicklers Virality. Als Informatik-Student an der LMU München habe ich mich mit mobilen Systemen beschäftigt und in einem Projekt für Schulen mitgearbeitet. Da hat sich gezeigt, dass Eltern oft unzureichend darüber informiert sind, was in der Schule so passiert. In einem Pilotprojekt an der Realschule im oberbayerischen Poing haben wir Eltern und Schüler befragt, welche Informationen ihnen wichtig sind und einen Smartphone-Kanal mit Push-Nachrichten eingerichtet. Daraus folgte dann DieSchulApp, die Verwaltungs- und Kommunikationsprozesse an Schulen in ganz Deutschland digitalisiert. Das bayerische Kultusministerium hat in Verbindung mit einer Schule unsere App einer datenschutzrechtlichen Prüfung unterzogen.

Unser Konzept ist eher ganzheitlich – wo können wir das, was die Schule schon hat, weiterentwickeln. DieSchulApp unterstützt die Kommunikation und Organisation innerhalb der gesamten Schulfamilie und digitalisiert zum Beispiel Krankmeldungen, Elternbriefe, Vertretungen und Klassenbucheinträge. Lehrer, Eltern und Schüler können über Push-Nachrichten informiert werden. Das Programm ist sowohl im Web, als auch als Smartphone-App verfügbar und kann außerdem an bestehende Software angebunden werden. Seit 2018 bekommen wir eigentlich täglich Anfragen von Schulen.

Wie ändert eure App den Schulalltag?

Rott: DieSchulApp reduziert den Verwaltungsaufwand und schafft dadurch mehr Zeit für die Lehrer, die sie für den Unterricht nutzen können, sie sind dann nicht mehr jede Unterrichtsstunde mit Verwaltungsaufgaben aufgehalten: Wer ist krank, wer fehlt und so weiter… All diese Prozesse vereinfacht DieSchulApp.

Bei den Lehrern ist wahrscheinlich die beliebteste Funktion das digitale Klassenbuch, weil es ihnen den Arbeitsalltag erleichtert. Bei den Eltern ist es der Elternbrief und die Funktion für Hausaufgaben: Eltern können über DieSchulApp die Hausaufgaben ihrer Kinder einsehen und ihre Kinder krank melden. Mit unserer App bekommen die Eltern viel intensiveren Kontakt zur Schule.

Ansicht von DieSchulApp

Ansicht von DieSchulApp

Werden Schulen bzw. die Schüler angemessen auf die digitale Transformation vorbereitet?

Rott: Die Frage ist, was werden die Schulen mit dem Geld anfangen, wie wird es sie weiterbringen? Das hängt auch viel von der Motivation des Schulleiters ab – manche sind sehr engagiert und wenn sie keine finanzielle Unterstützung erhalten, dann organisieren sie die ausrangierten PCs einer Firma im Ort. Hier ist die stärkere Unterstützung der Schulträger und des Staates natürlich eine große Hilfe. Aber man muss die Digitalisierung auch in die Köpfe bringen. Sie ist kein Selbstzweck und die Schulleiter müssen sich fragen, wo digitale Neuerungen Sinn ergeben und wie Lehrer sie anwenden können. Zusätzlich muss der langfristige Betrieb gesichert werden.

Was muss deiner Meinung nach noch verändert werden?

Rott: Es gibt noch viel Arbeit für die Schulen und Gemeinden, sie müssen die Infrastruktur für die Digitalisierung bereitstellen, digitale Prozesse implementieren und dabei auf Datenschutz und andere Regelungen achten.

Eine Herausforderung ist der Föderalismus, es gibt keine einheitlichen Richtlinien für die Schulen und die Aussagen sind teilweise sehr unterschiedlich. Wir als Anbieter im Bildungsbereich brauchen aber klare Vorgaben, was für die Schulen erlaubt ist. Es herrscht aber auch innerhalb der Schulen noch große Unsicherheit darüber, was von den Behörden erlaubt ist und was nicht.

Wie sieht die Schule der Zukunft aus?

Rott: In Zukunft werden Verwaltungsaufgaben zunehmend automatisiert und digitalisiert, was das Schulpersonal entlasten wird. So erhalten Lehrer Freiraum, um sich zum Beispiel mit anderen digitalen Neuheiten auseinanderzusetzen, wie VR-Brillen oder E-Books, die in Zukunft kommen werden.

Mit der Digitalisierung werden die Schulen auch ortsunabhängiger, vor allem durch AR- und VR-Techniken. Da kann man zum Beispiel Physikexperimente im Klassenzimmer und Zuhause zeigen. Andere Einrichtungen wie der Computerraum sind am Aussterben – jeder Schüler hat ja mittlerweile sein eigenes Smartphone.

AppCamps: "Wir wollen Schulen, die kein Budget haben, nicht ausgrenzen"

AppCamps, das Diana und Philipp Knodel gegründet haben, bietet kostenlose Unterrichtsmaterialien für Lehrer – vor allem zu Informatik-Themen. Das Ziel: Mehr Schüler für neue Technologien begeistern – vor allem sozial benachteiligte Kinder. Mitgründer Philipp Knodel erklärt das Konzept im Interview mit W&V.

Philipp Knodel hat gemeinsam mit seiner Frau Diana AppCamps gegründet

Philipp Knodel hat gemeinsam mit seiner Frau Diana AppCamps gegründet.

Ihr stellt kostenlose Unterrichtsmaterialien zur Verfügung. Was steckt hinter AppCamps?

Philipp Knodel: Auf unserer Online Plattform gibt es digitale Unterrichtsmaterialien für Lehrkräfte in Form von Videos, Tools und Arbeitsblättern. Die bieten wir für verschiedene Themen an - von Programmierung und anderen Informatik-Themen bis hin zur App- oder Webseiten-Entwicklung.

Informatik spielt im Unterricht eine immer größere Rolle – auch damit verbundene, weichere Themen wie Datensicherheit. Vor kurzem haben wir Unterrichtsmaterialien zu künstlicher Intelligenz veröffentlicht. Aber es geht auch darum, wie man einen Algorithmus programmieren kann und was die neuen Technologien für die Gesellschaft bedeuten. Wir sehen da einen großen Bedarf, die Technologisierung ist ein wichtiges Thema und braucht auch an den Schulen Aufklärung.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen und was ist euer Ziel?

Knodel: Angefangen hat es im Sommer 2013, als meine Frau und Co-Founderin Diana und ich ein Sommercamp für Mädchen veranstaltet haben, um ihnen das Programmieren näher zu bringen. Sie ist Informatikerin und ich habe zu Bildungspolitik geforscht. Wir haben daraufhin viele Anfragen von Lehrkräften bekommen und nebenher weitergemacht. Was uns dabei gestört hat: Wenn wir einen Workshop über App-Entwicklung anbieten, erreichen wir vor allem Jungs vom Gymnasium. Deshalb haben wir dann die Idee entwickelt, dass wir in die Schulen gehen, denn alle sollen Zugriff auf das Wissen bekommen, auch sozial Benachteiligte.

Wir haben dann einen Social Entrepreneurship Wettbewerb gewonnen, und AppCamps mit dem Preisgeld der Vodafone Stiftung gegründet. Jetzt arbeiten wir Vollzeit für AppCamps, die Finanzierung läuft über verschiedene Stiftungen- und Unternehmenspartner. Für Lehrkräfte sind die digitalen Unterrichtsmaterialien kostenlos - wir wollen Schulen, die kein Budget haben, nicht ausgrenzen.

Seid ihr auf große Zustimmung in den Schulen gestoßen, oder gab es Hürden?

Knodel: Am Anfang war die große Frage, wie wir die Lehrer erreichen. Wir haben es erst top down versucht und die Bundesländer kontaktiert, das ist aber mühsam und dauert sehr lange. So haben wir gemerkt, dass wir direkt über die Lehrkräfte direkt gehen müssen. Wenn sich AppCamps dann bei den Lehrern herumspricht, dann muss man gar nicht mehr so viel machen.

Mittlerweile sind wir ziemlich bekannt - nur leider gibt es noch viele Hürden bei der Infrastruktur. Unsere Tools sind zwar im Netz verfügbar, an vielen Schulen gibt es jedoch Probleme mit der Internetverbindung oder die technische Integration ist nicht möglich - man kann kein Programm installieren, weil man nicht Administrator ist oder es gibt eine Minileitung für 300 Computer. Trotzdem geben sich viele Lehrer sehr viel Mühe und werden kreativ, um sich mit ihren Mitteln etwas zurecht zu bauen.

Dabei sehen wir, dass Informatik-Themen fächerübergreifend von den Lehrern vermittelt werden: So hat ein Biolehrer mit seinen Schülern eine Bio-App gebaut, Kunstlehrer zeichnen am Tablet, in Deutsch gibt es Storytelling und Medienkompetenz und der Vokabeltrainer wird im Englischunterricht verwendet.

Ihr beschäftigt euch mit digitaler Bildung. Nun kommt der Digitalpakt. Wie bewertet ihr ihn?

Knodel: Man muss es positiv sehen: Jedes Geld, das in die Bildung fließt, ist gut angelegt. Aber man darf nicht vergessen, dass es eine Riesen-Aufgabe ist, die nicht in zwei Jahren abgeschlossen werden kann. Sonst besteht die Gefahr, dass zwar Geräte angeschafft werden, aber übersehen wird, dass die Lehrer dafür Weiterbildungen brauchen, um die Geräte auch zu nutzen. Hinzu kommt, dass sich in vielen Schulen ein nicht dafür ausgebildeter Lehrer um die Geräte kümmert, dem dafür Unterrichtsstunden reduziert werden. So etwas ist eine Aufgabe, die nicht einfach von einer Person nebenher gemacht werden kann.

Ich glaube, man müsste sich beim Thema digitale Bildung mehr trauen, Neuheiten schnell ausprobieren und bei Bedarf anpassen, es den Lehrern noch leichter machen, digitalen Unterricht umzusetzen und das wertschätzen, was sie tun - das wäre kein wahnsinnig teurer Wunsch.

Dieser Artikel ist zuerst bei lead-digital.de erschienen (Stand 2019).