Start-up-Kolumne::
Die gute alte Zeit gibt es schon längst nicht mehr
Nico Lumma und Christoph Hüning vom Next Media Accelerator erklären bei W&V, warum echtes New Work auch eine Abkehr von der Präsenzkultur bedeutet und warum das auch wichtig ist.
"Könnt Ihr mich hören?
Ja, sehr gut. Aber ich sehe Euch nicht!
Der durchgestrichene Knopf!
Nein, der andere!"
Was ist das aktuell für eine Freude! Jeden Tag können wir aufs Neue miterleben, wie ein Mitmensch das erste Mal die Segnungen der digitalen Technologie am eigenen Leib erfährt. Ihr kennt das sicherlich auch. In jedem neuen Videocall ist immer eine Person, die das zum ersten Mal macht und nicht versteht, warum sie auch mal das Mikro ausschalten sollte. Und die ist dann immer auch besonders aufgeregt, wie toll das alles funktioniert in dieser modernen Videoschaltkonferenz. Da merken erfahrene Nutzer*innen schon, wie viele Mitbürger*innen mental am schönen deutschen Wort “Technologiefolgekostenabschätzung” hängengeblieben sind und bislang recht erfolgreich die digitale Entwicklung seit Erfindung des World Wide Web ignorieren konnten.
Dann ist es auch kein Wunder, wenn eine aktuelle Studie von Bitkom herausfindet, dass die deutsche Wirtschaft sich nur mittelprächtig digitalisiert findet. Und das war noch vor dem Corona-Schock, der dazu führte, dass viele Unternehmen sich endlich dazu durchringen mussten, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einfach mal zu vertrauen und ihnen auch noch das Arbeitsgerät in Form eines Laptops mit nach Hause geben mussten, obwohl das in vielen Firmen immer noch ein Chefgerät und damit Prestigeobjekt ist.
Schockierend ist allerdings, dass auch in der Medienbranche dieses Umschalten auf digital und Home Office nur durch Corona endlich mal passiert ist. Dabei dachten wir, dass eine grundsätzliche Neugier bei allen vorhanden sein muss, die in dieser Branche arbeiten, aber leider wurden in der Vergangenheit Technologiethemen zu gerne ausgeblendet. Was im Großen die jahrelangen Diskussionen waren, wie Online- und Printredaktionen zusammenarbeiten können und eventuell sogar auch noch gleichwertig bezahlt werden sollen, schlägt im Kleinen jetzt durch, wenn plötzlich alle gleich betroffen sind und vom Küchentisch aus arbeiten sollen. Teils mit, teils ohne aktive Begleitung der Kinder im so genannten "Homeschooling".
Wenn klassische Medien versuchen, in ihrem Angebot die neue Situation zu adaptieren, klappt das nicht immer wirklich gut. Gleichzeitig entstehen aktuell gerade im Bereich Datenjournalismus beeindruckende Reportagen zur Corona-Krise. Aber wer fragt denn schon, ob das von zu Hause oder aus einem Redaktionsbüro entwickelt und geschrieben wurde?
Ganz ehrlich, diese Digitale ist schon viel länger da und funktioniert ganz hervorragend, man muss es nur wollen und dann auch machen. Da hilft es auch nicht, irgendwas von “New Work” zu erzählen. Die reine Theorie und das Diskutieren auf den immer selben Panels hat zumindest momentan ein Ende.
Echtes New Work bedeutet eine Abkehr von der Präsenzkultur in Deutschland und das bedeutet immer auch ein Loslassen, weil der herkömmliche Arbeitstag anders aussieht. Das irritiert viele Chefs (und vermutlich weniger Chefinnen, weil diese die Flexibilität eher schätzen), aber es sorgt für ungeahnte Möglichkeiten. Teams können eben den Schulterblick einfach per Videocall machen, und gemeinsam an Dokumenten arbeiten, gemeinsam Inhalte erzeugen. Die Technologien gibt es schon lange und sie werden auch schon lange genutzt. Seit zwei Wochen musste das jetzt endlich auch der letzte Innovationsverweigerer in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft merken.
Auch außerhalb der Medienbranche sehen wir spannende Entwicklungen: Auf einmal können wir in Einzelhandel und Gastronomie über Instagram bestellen und per Paypal bezahlen - bei Anbietern, die bisher keine Kreditkarten akzeptiert haben und ec-Karten erst ab zehn Euro Umsatz. Gleichzeitig verliert Bargeld an Bedeutung und wird hauptsächlich als Virenträger gesehen.
Hoffen wir, dass es nach Corona so weiter geht und nicht die analogen Ewiggestrigen zum Rollback ansetzen, weil ihnen das jetzt alles zu schnell geht. Wir müssen als Medienbranche das Digitale umarmen, denn hier liegt die Zukunft.
Oder um es anders zu sagen: “Not muting your mic is the new reply all”