Jochen Kalka zur #OMR17:
Die andere Sicht: Online Marketing Rockstars
Bei den Online Marketing Rockstars ging am ersten Tag ziemlich viel schief. Jochen Kalka war mittendrin. Ein Lagebericht aus Hamburg.
Na gut, ein Server kann durchaus mal abstürzen, Like a Rolling Stone. Eigentlich ist ein Großteil der 25.000 Besucher zu den Online Marketing Rockstars nach Hamburg gepilgert, um selbst abzustürzen. Aber das doofe System wollte einfach nicht funktionieren. Imagine: Die elektronische Kontrolle am Eingang versagte gleich zu Beginn, das angepriesene Cashless Payment, also der Vorstoß, komplett auf Bargeld zu verzichten und jeden Gast mit einem aufladbaren Chiparmband zu fesseln, konnte auch nicht durchgeführt werden, weil das Computersystem den Mittelfinger zeigte. Eine Online-Messe ohne Online ist Shit. Oder undufte. I Can't Get No Satisfaction!
Das ist böse, das ist Stoff für einen gemeinen Verriss, zumal weit mehr als 10.000 Besucher im strömenden Regen bei typisch Hamburger eiskalten Windverhältnissen, Blowin' in the Wind, rund um die Messehallen warteten, in einer Masse, die einer Demonstration glich. Erinnerungen an die Krawalle hier im Schanzenviertel wurden wach, in die ich mal beim Hamburger Dialog geraten war. Der Regen ersetzte professionell die Wasserwerfer, was für ein Feeling, Sympathy for the Devil.
Wer einen Schirm öffnete, war uncool. Schließlich war man hier bei den Online Marketing Rockstars an der Schanze, eingekeilt vom Schlachthof – Ich mag Tiere, heiß und fettig – und einer Messe, von der Hamburg wohl nichts mehr wissen will. Hamburg ist nur noch Elbphilharmonie. Und Messen-Disharmonie. Die Beschilderung über öffentliche Verkehrsmittel ist eine Katastrophe. Und die Messe-Tickets gelten nicht für U- und S-Bahn, da ist selbst Köln schon weiter! Dafür steht an der Messe-Haltestelle Sternschanze ein einziger Ticket-Automat am Hauptweg von der Messe. Help!
Vom Flughafen aus lohnt das Taxi, für das man am Airport ewig anstehen muss, um dann einige hundert Meter entfernt von der Messe im kalten Nass auszuharren. Aber auch das war im extrem jungen Publikum eher cool, es wirkte fast wie eine künstliche Inszenierung der Veranstalter, es kamen Rockfestivalgefühle hoch. Mir fiel ein, wie Lemmy Kilmister, der einstige Sänger von Motörhead, mal auf einem Open Air auf dem Cannstatter Wasen von einem Bauwagen auf das Publikum pisste – I Ain't No Nice Guy!
Zugegeben, es war mein erstes Mal bei den Online Marketing Rockstars. Da kam die Frage auf: Was zieht man hier an? Holt man sich ein altes Rock-T-Shirt aus dem Schrank? Greift man zu Lack und Leder? Lass ich mir noch schnell ein Tattoo stechen, Piercings an die Nase bohren? Ich entschied mich für ein spießiges schwarzes Hemd, bin bekennender Spießer, der allerdings auch Tattoos für das spießigste Spießertum überhaupt hält.
Der Taxifahrer entlarvte das Publikum mit einem Satz: "Die sehen aus wie die autonome Szene". Und er hatte Recht. Es war eine Mischung aus Tübinger Studenten mit Hang zu postmateriellem Ökofaschismus, aus evangelischem Kirchentag und Vietnam-Veteranen in San Francisco. Und ein paar unverbesserliche Vertreter aus dem Hoodie-Bürgertum waren auch da, sowie einige alte Knochen, die sich tatsächlich in ihre alten Rockfetzen gehüllt haben, doch das war die Ausnahme.
Ein einsamer Schlagzeuger trommelte im Regen die Besucher ein, doch er wirkte wie ein ausgesetztes Kätzchen, das auf sich aufmerksam machen will. Der traurige Versuch, Rock in die Adern zu pumpen. You Really Got Me?
Wie sollten die Veranstalter mit Frontman und OMR-Erfinder Philipp Westermeyer aber nun reagieren? Die Zeit schritt dramatisch voran, die Server schienen vor der gigantischen Welle der Online-Surfer kapituliert zu haben, die Fangemeinde begann vor den Toren des Online Marketing Rockstar Festivals zu johlen, das Warten dauerte jetzt schon 45 Minuten. Man entschied sich, alle Gäste einfach einzulassen. Breaking the Law. Ohne elektronische Handfessel, ohne Registrierung, unkompliziert und schnell.
Im Gegensatz zur Dmexco stehen bei den OMR gefühlt deutlich mehr Einlasscounter zur Verfügung – und an "Europas größter Garderobe", so die Eigenwerbung, gibt es tatsächlich keine Staus. Liegt vielleicht auch daran, dass Hamburg wetterbedingt damit rechnet, dass ihre Besucher mit Mänteln kommen, während Köln Jahr für Jahr stets darüber völlig überrascht ist. Auf die Gebühr von zwei Euro wurde verzichtet. Tja, das Zahlen war ja auch nicht möglich, weil Cashless Payment ohne Server auch hier nicht funktionieren konnte. We're Not Gonna Take It …
Die Messe, endlich. Halle 3, die Haupthalle, übersichtlich. Kein Vergleich zur gigantisch gewachsenen Dmexco. Dort ein Google-Ständle, da Media Impact, schräg gegenüber Ströer, alles irgendwie niedlich, hier noch ein paar Quadratmeter von RMG, der Retail Media Group von Metro. "Die Preise für uns Aussteller sind hier viel teurer als in Köln", beklagt ein Geschäftsführer einer Münchner Performance-Agentur. Das Durchschnittsalter der vielen Menschen wirkt wie Anfang 20. Love me, Tinder, die Dichte an Entscheidern ist äußerst gering.
Ganz anders sei der heutige Freitag, der Konferenztag, der 379 Euro kostet, dafür alle Zugänge in alle Veranstaltungen, auch die Party, öffnet. Da sollen alle wichtigen Menschen sein, wurde mir wörtlich gesagt.
Ich entschied mich, Yesterday, für den Expo-only-Tag der unwichtigen Menschen, der 25 Euro Eintritt wert ist.
However, jedenfalls melden sich die Veranstalter gegen 10.30 Uhr über Lautsprecher. Sie entschuldigen sich ob der Panne am Eingang. Das zeugt von Stil. Und sie sagen, dass wegen des Server-Ausfalls alle Getränke und Speisen auf der Messe kostenlos seien. Das Publikum applaudiert. Alle Welt ist wieder in Ordnung. Let's rock!
Nur für Frauen ist die Welt nicht in Ordnung. Nicht auf der Dmexco, nicht auf der OMR, wenn es um die Benutzung von Toiletten geht. Woodstock-Feeling soll aufgekommen sein, wenn Frauen freiwillig in die aufgestellten Häuschen zwischen die Messehallen mit fragwürdiger Hygiene gekämpft haben sollen. In den Hallen auch hier wie in Köln riesige Schlangen vor den Toiletten. Aber: No Women No Cry. Rabiat übermalten weibliche Gäste dann einfach auf einem Schild das Männersymbol mit einem Röckchen.
Zwischen all den Ausstellern von Online-Vermarktern überraschte ein Stand: Das Wacken Open Air verteidigte wacker das Thema Rock. Als Give-away verteilten die Wackener: Ohrstöpsel.