Nun muss er mit Söder als Enkel leben. Sein berühmtester Vorgänger im Amt, Franz Josef Strauß, hatte einst Helmut Kohl als Kanzler verhindern wollen. Sein Kriegsgeschrei klang damals so: "Kohl ist total unfähig zum Kanzler". Aber nicht nur der CDU-Chef bekam sein Fett weg, diesem kantigen Politiker Strauß waren alle "Postenjäger und Schwätzer" in der eigenen Partei ein Graus, über die er sich einmal im Interview mit dem "Spiegel" ausgiebig empörte.

Nun mag sich Horst Seehofer für den Moment an solche Strauß-Rundumschläge erinnert haben, die ja mit dazu beigetragen hatten, den Vorgänger zur politischen Ikone zu machen. Seehofers Söder-Schelte allerdings geht hier ins Leere. Zum einen ist der innere Widerspruch zu groß: jene Charakterstärke, die er Söder absprach, taugt sowieso wenig im politischen Tagesgeschäft. Zum anderen geht es komplett an der Realität innerparteilicher Weichenstellungen vorbei. Denn wenn sich Seehofer hier reflexartig Strauß zum Vorbild nimmt, dann kann er Söder nicht kritisieren. Denn wenn man der "Süddeutschen Zeitung" glauben mag, dann steht eben dieser Söder für so eine Strauß‘sche "skrupellose Rhetorik" wie sie der Bürger vom bayrischen Urgestein kannte und liebte.

Lernen von Franz Josef Strauß

Nun sind Parteipolitiker mit dem erfolgreich, was sie durchsetzen können. Am Ende des Tages ist Charakter hier keine passende politische Kategorie. Die "Zeit" fasste es kurz und bündig zusammen, wenn sie über beide Politiker gleichermaßen böse urteilte, Seehofer und Söder seien sich durchaus ähnlich, beide "ehrgeizig, durchtrieben und machtbewusst." Böse? Nein, man hatte es nicht einmal böse gemeint. Es liest sich fast anerkennend.

Legendär die Indiskretion des Entertainers Harald Schmidt, der auf die Frage, ob er mit der Kategorie "Moral" etwas anfangen könne antwortete:  Moral? Da kann ich nur Markus Söder zitieren, der zu mir nach einer Sendung beim Bier sagte: 'Moral ist in der Politik selbstverständlich keine Kategorie, außer wir wollen jemandem schaden."

Und Seehofer weiß es wie Söder: Auch die große bayrische Ikone Franz Josef Strauß war alles andere als moralisch einwandfrei um nicht zu sagen korrupt. Aber so etwas hatte dessen politischer Ikonenbildung null Komma null geschadet.

Wie ist das denn eigentlich, wenn man heute von ausgestorbenen politischen Charakteren spricht und dabei Wehner, Brandt und Strauß im Munde führt? Letztlich ist das ein Beleg für eine große Sehnsucht. Und genau da möchte sich Söder in die gleiche Reihe stellen, wenn er auf Facebook eine Fotografie seines Jugendzimmers postet mit einem Plakat von Franz Josef Strauß an der Wand  Nun gut, er hätte nicht schreiben müssen, dass der Übervater "über meinem Bett" hing, aber die Botschaft ist noch durch die Lacher hindurch perfekt platziert worden. Angekommen.

Die Fremdwahrnehmung folgt ausschließlich der Selbstwahrnehmung, erzählt die Psychologie. Und Markus Söder gibt nicht einen Bruchteil eines Millimeters des Selbstzweifels preis. Wer ihn beispielsweise im politischen Talk beobachtet, der erkennt da eine fast haptisch greifbare Unerschütterlichkeit der eigenen Positionen. Nun könnte das zwar für jeden anderen Politiker auch gelten, aber Söder vermittelt allzu gerne den Eindruck, er sei der Urtypus dieser Verhaltensweise. In seine Selbstvermarktung ungeschickt, gar unsympathisch?

Die Ikonenbildung ist schon im Gange

Auch das nicht. Aber selbst wenn: Dahinter steckt auch eine kalkulierte Gnadenlosigkeit, eine Vortäuschung von Positionen, er selbst mag mitunter wissen, dass nicht stimmt, was er zum Besten gibt. Aber es ist ihm gleich. Es ist ihm nützlich. Kaltschnäuzigkeit wird hier zur eigentlichen Charakterstärke. So soll es der Zuschauer gerne sehen und der Wähler entsprechend belohnen. Söder ist hochintelligent und schlagfertig. Wie stark diese Eigenschaften ausgeprägt sind, musste einmal auf leidvolle Weise die ZDF-Moderatorin Marietta Slomka erfahren, als ihr Söder erklärte, es gäbe keine Lagerbildung in der CSU und auch auf verzweifelte Nachfrage dabei blieb. Basta.

Aber was passiert da nun genau? Letztlich wirken hier doch Mechanismen, die wie stetes Wasser zu mehr Akzeptanz führen sollen hin zu einer Söder-Ikonenbildung in der bayrischen Politik. Die SPD wünschte sich zwar gerade nach Selbstbekunden jemanden wie Söder, weil man offensichtlich naiv genug ist, zu glauben, an so einem können man sich gütig tun, sich abarbeiten. Wer glaubt, sich den Söder zurecht legen zu können, der könnte eine Überraschung erleben. Der nächste Ministerpräsident in Bayern heißt jedenfalls Markus Söder. Eine guter Beleg dafür, dass es in der Politik nicht zuerst um Charakter, um einen guten oder einen schlechteren Ruf geht.

In der Politik heiligt allein der Erfolg die Mittel. Und wenn man für diesen Erfolg auch mal als Altruist durch die Welt gehen muss, dann ist das eben so. Für den Moment.