
Die Straßen von San Francisco:
Die Lebensader im Silicon Valley
W&V-Chefredakteur Jochen Kalka hat ein paar andere Eindrücke aus dem Silicon Valley mitgebracht.

Foto: Jochen Kalka
Wer im Silicon Valley "Blockchain" und "Artificial Intelligence" in einem ersten Satz garniert mit "Algorithmen", "Augmented Reality" und "Voice Service in Real Time", der sagt, frei übersetzt: "Hi". Längst sind einige der Begriffe, die zwischen San Francisco, Mountain View und Menlo Park wie überzüchtete Gäule verantwortungslos heruntergeritten werden, auch hierzulande nicht mehr frisch. Und doch sieht sich das oft kindsköpfige Management mit Millionen-Einkommen, schnittigem Tesla und kleiner 5000-Dollar-Mietwohnung als Vorreiter oder gar als digitaler Herrscher der Welt.
Womöglich zurecht, wenn man bedenkt, dass all diese Weltfirmen wie Google, Facebook, Apple, Linkedin, Airbnb und Endlosweiter in einem Radius von nicht einmal 30 Meilen entfernt liegen. Nicht in einem Tal, wie der Begriff "Valley" fälschlicherweise vorgibt. Sondern an der südlichen San Francisco Bay Area, die sich bis ins rund 70 Kilometer entfernte San José erstreckt, nicht am wilden, inspirierenden Pazifik, sondern an der zahmen Bucht im Landesinnern. Das geografische "Valley" beginnt erst südlich von San José in Richtung Hollister.
Die wichtigste Lebensader zwischen San Mateo, dem Menlo Park von Facebook bei Palo Alto, Googles Domizil in Mountain View und Apples Heimat in Cupertino ist, so scheint es, der U.S. Highway 101, ein meist stehendes Fahrvergnügen auf einer der sechs Spuren je Richtung. Der Stillstand nehme hier zu, heißt es dort, wo "Valley" nicht die einzige Lüge ist. Alle paar Kilometer steht eines der unzähligen E-Autos am Randstreifen.
Das Silicon Valley ist längst das Las Vegas der Investoren. Ihnen geht es nicht um die nachhaltige Produktidee, sondern um den Bluff, um Rouge ou Noir, um die maximale Mehrung des Gewinns. Hätte George Orwell die Phantasie gehabt, Kapitalismus mit völlig überdrehten Mechanismen auszudenken, hätte er das Silicon Valley erfunden. 27 Milliarden Dollar stopfen Venture Capitalists in 1.400 Unternehmen pro Jahr, in Deutschland steht 900 Unternehmen lediglich eine einzige nette Milliarde Euro zur Verfügung.
Ein Venture Capitalist wie Pat Kenealy vom renommierten Ridge Ventures, dem einstigen IDG Ventures in San Francisco, prüft jährlich rund 1.000 Startups und junge Gründer. In 91 Unternehmen hat er 2017 investiert, darunter sind Firmen, die Anti-Adblocker-Software auf den Markt bringen, oder auch mal einen innovativen Büstenhalter. Was all die Erfinder eint, ist, dass keiner mehr mit seinem Namen für die Qualität seiner Geschäftsidee bürgt. Ein Werner Siemens, ein Gottlieb Daimler und Carl Benz, ein Claus Hipp, aber auch ein Richard Gruner und John Jahr bürgten mit ihrem Namen. Der spielt im Silicon Valley keine Rolle, kein Mark Zuckerberg, kein Stewart Butterfield traut sich das, denn Flickr, Slack und Facebook sind wie Einarmige Banditen, Slot Machines, die das schnelle Geld machen wollen. Fast alle new Companies tragen Neologismen als Markenname, coole Buchstabenkombinationen, die meist keinen Sinn ergeben oder das Akronym eines umständlichen Erklärungsversuchs sind, wie: Searchable Log of All Conversation and Knowledge, kurz Slack.
Und vor all diesem viel zu engstirnig, da rein digital denkenden Machtwerk fürchten sich Medienhäuser aus aller Welt? Natürlich kommt man sich als Verleger aus dem Niederrhein klein und hässlich vor, wenn man sieht, wie viele Menschen die Silicon-Medien erreichen, obwohl sie überhaupt keinen Content erstellen. Wie viel Werbeumsätze sie machen, obwohl sie weder qualitativ hochwertige, noch schadstoffarme Umfelder garantieren können. Hier wird nicht aus dem Glas getrunken, sondern aus dem Fass gesoffen. Und so ist es eine Art digitale Trunkenheit, die vom Silicon Valley aus die ganze Welt zum Taumeln bringt.
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