Kolumne Markenlage:
Der Social-Media-Herrscher hat sein Reich verloren
Donald Trump ist als US-Präsident bald Geschichte, der erste Herrscher der Sozialen Netzwerke tritt ab. Twitter hat mit Trump ein Millionen-Reich gebaut und ihn entmachtet. Mike Kleiß ist fassungslos und gleichzeitig begeistert.
Soziale Netzwerke sind seit langer Zeit nichts anderes mehr als moderne News-Plattformen. Sie stehen in direkter Konkurrenz zu etablierten Medienmarken. Und diese haben es seit Jahren immer schwerer, sich gegen Twitter, Instagram, Facebook, TikTok, LinkedIn und viele mehr durchzusetzen. Es geht um Marktanteile, Reichweiten und Werbekunden. Etablierte Medienmarken sind oft gezwungen, ihre journalistischen Inhalte auch über die sozialen Netzwerke zu verbreiten. Um die Zielgruppen zu erreichen, die sie auf den eigenen Kanälen längst verloren haben oder einfach nicht erreichen können. Den Plattformen gefällt ihre Rolle und auch die Macht als Informations- und News-Leader, verständlich. Im Gegensatz zu journalistischen Online-News Formaten lassen sie jedoch eines stark vermissen: Sie tragen praktisch keinerlei Verantwortung. Im Gegenteil. Und wenn sie es tun, dann sorgen sie dafür, dass beispielsweise Fotos auf denen weibliche Brustwarzen zu sehen sind, gelöscht und dazugehörige Accounts gesperrt werden. Wie mutig. Wie keck.
Pausenlos hat Donald Trump gegen sämtliche Regeln von Twitter verstoßen, ohne jegliche Konsequenz. Er hat bereits seinen ersten Wahlkampf auf diesem Kanal gespielt, Twitter wurde mehr und mehr der Steigbügelhalter des US Präsidenten. Eiskalt hatte man sich ausgemalt, dass Trump Twitter Reichweiten verschaffen würde, wie es nach ihm kaum jemand wieder schaffen können würde.
Aber es kam noch besser: Trump wurde somit zur Cash Cow des Unternehmens. Der Deal: Twitter lies Trump gewähren, machte ihn zum ersten und wohl für lange Zeit mächtigsten Social-Media-König. Ungehindert schaute man zu, wie ein moderner Imperator und Diktator geboren und erwachsen wurde. Auf der anderen Seite wurde Trump so der perfekte unbezahlte Markenbotschafter und Influencer für Twitter. Nahezu jeder Chefredakteur, nahezu alle Medien folgten und zitierten Trumps irre Twitterei. Ein Vertrag aus der Hölle, für alle. Vor allen Dingen aber für den Journalismus, denn der ging dem Twitter-Trump-Komplott fast ein halbes Jahrzehnt lang immer wieder auf den Leim und hing an der Trumpschen Twitter-Nadel.
Die Marke Twitter ging dabei ein großes Risiko, denn bis heute weiß niemand, welchen Image-Verlust die Marke Twitter durch den Pakt mit dem Teufel erlitten hat. Jedoch auch die Glaubwürdigkeit des Journalismus könnte extrem gelitten haben. Erstaunlich ist ja: Medien haben immer einen Rettungsanker. Sie können prima jede Zeile über das Zwitschern des US Präsidenten als journalistische Informationspflicht rechtfertigen. Wahr ist aber, dass nicht nur Twitter von Trump profitiert hat. Trump-Magazin-Titel Stories waren oft Quoten-Bringer, Online-Artikel klickten super. So wurde Twitter als Propaganda-Kanal des Präsidenten eines der wohl wichtigsten und effektivsten Marketing-Tools der Welt.
Zudem auch die perfekte Blaupause für AfD, modernen Faschismus und Rassismus. Für Querdenker und Verschwörungs-Theoretiker. Es gibt keine demokratische Kontrolle bei Twitter, ebenso wenig wie bei Facebook oder Instagram. Die Kontrolle und die Verantwortung überlässt man den Unternehmen selbst. Auch die Entscheidung darüber, wann sie einen Donald Trump sperren. Selbstverständlich am Ende seiner Amtszeit. Dann nämlich, wenn die Cash Cow gemolken ist. Wenn der letzte Tropfen Milch geflossen ist, wenn alle ihren Schnitt gemacht haben. Was für ein schöner Zufall.
Wollen wir hoffen, dass im Vertrag zwischen Twitter und Trump nicht stand, dass dieser mit dem Sturm auf das Kapitol im beiderseitigen Einvernehmen aufgelöst werden würde. Bevor Sie mich jetzt mit anderen Verschwörungstheoretikern in einen Topf schmeissen: Nutzer von sozialen Netzwerken am rechten Rand hatten bereits Wochen vor dem Sturm offen angedeutet, dass es Chaos im Kongress geben würde, am Tag der Ergebnis-Verkündung. Im Zuge des Angriffs haben sie Anhänger dazu ermutigt „dem Plan zu vertrauen“, und (man achte auf den Sound) „die Front zu halten“.
Trump hat via Twitter regiert, internationale Brände gelegt, Menschen beleidigt und bedroht, er hat hier seine Jünger gezüchtet und hat Massen manipuliert, die Demokratie mit Füßen getreten. Ohne jede Konsequenz. Politiker auf der ganzen Welt haben dabei nicht nur zugesehen. Es kommt noch dicker: Viele von ihnen haben Twitter noch „greater“ gemacht, denn sie legten sich teilweise öffentlich auf Trumps Propaganda-Kanal mit dem Markenbotschafter an.
Dass Twitter diesen Kanal nun abgeschaltet hat, und das viel zu spät, spielt kaum eine Rolle. Kaum zu ertragen ist die Tatsache, dass ein Unternehmen wie Twitter völlig unkontrolliert selbst bestimmen kann, wo Demokratie und Meinungsfreiheit beginnt und wo sie endet. Das muss uns zu denken geben. Dieser Einfluss der sozialen Medien auf die Gesellschaft gefährdet die Demokratie.