
Social Media, Podcast & Co. :
Das macht Netflix zum Content-Marketing-King
Wie schlau der Streaminganbieter seine Social-Kanäle, jede Menge Podcasts und sogar ein Print-Heft einsetzt, um neue Nutzer zu gewinnen und zur Lovebrand zu werden, erklärt W&V-Autor David Streit.

Foto: Unsplash
Content Marketing ist, wenn die Nutzer am Ende schlauer, besser unterhalten oder informierter sind, als vorher. Eine Marke beherrscht diese Kommunikationsstrategie so gut, wie keine zweite: der Streamingriese Netflix. Dort produziert man nämlich nicht nur Unmengen an Inhalten für die diversen Social-Media-Kanäle auf Facebook, Twitter und Instagram, sondern schafft es auch der Marke eine unverkennbare und authentische Stimme zu verleihen. Und auf diese Weise immer neue Kunden zu gewinnen und die bestehenden 158 Millionen Abonnenten überall auf der Welt noch enger an sich zu binden.
Liebe für das eigene Produkt
Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass Netflix im Social Web anders klingt und auch anders agiert, als es für eine Marke dieser Größe typisch ist. Es fehlen jegliche Spuren von Links, Werbesprech und Kaufaufforderungen. Stattdessen finden sich jede Menge Ironie, Nerdtum und vor allem Liebe für die eigenen Originals. Man könnte fast meinen, dass da jemand seinen Job verdammt gerne macht! Oder noch besser: Dass Netflix selbst sein größter Fan ist.
Die Ich-Perspektive zieht sich durch fast alle Postings durch und vermittelt eine ungemeine Nähe zum Follower. Ich bin wie du. Ich kann es kaum erwarten, dass Serie X weitergeht. Oder ich schaffe einfach nicht den Absprung, weil es gerade so spannend ist. Diese Aussagen sind nicht nur verdammt relatable, sondern auch shareable. Ein Nutzer, der sich darin wiederfindet, macht sie mit nur einem Klick auf den Retweet-Button zu seiner eigenen. Da darf man sich auch hin und wieder mal widersprechen.
Weiterschauen, weiterhören und weiterlesen
Immer öfter verlängert Netflix seine Inhalte auch in andere Formate, Genres und Plattformen. Ob in Form von einem Retro-Videospiel wie von "Stranger Things" für die Nintendo Switch, einem Hörspiel-Spinoff wie für die erste Staffel von "Daybreak" oder schlicht den vollständigen Talks aus dem "Between Two Ferns"-Film. Dabei geht es Netflix darum, die Welt ihrer Originals zu erweitern - ohne gleich in die teure Produktion von neuem Bewegtbild-Material investieren zu müssen. Eine ganze Batterie eigener Podcasts mit Gesprächen über Originals, mit den kreativen Köpfen dahinter und Einblicken in die eigene Organisation, rundet dieses Bild ab:
- "Because I Watched" (wie Originals die Leben von Menschen beeinflusst haben)
- "I’m Obsessed With This" (Gespräche über die meistdiskutierten Originals)
- "Watching With…" (vollständiger Audiokommentar zu Netflix Filmen)
- "WeAreNetflix" (Netflix stellt seine Departments vor und lässt Mitarbeiter zu Wort kommen)
- "What to Watch on Netflix" (thematische Streamingtipps)
- "The Call Sheet" (Macher*innen über ihre Werke)
- "Present Company" (Darsteller*innen über ihre Werke)
- "You Can’t Make This Up" (über die Begebenheiten hinter wahren Originals)
- Diverse Serien-Podcasts zu "The Irishman", "The Crown", "Dark", "Tote Mädchen lügen nicht" uvm.
Der richtige Zeitpunkt, Memes und interaktive Elemente
Viel Geschick beweist Netflix auch immer wieder damit die richtigen Formate zum richtigen Zeitpunkt zu droppestreuen und damit für Gesprächsstoff zu sorgen. Beispiele dafür sind etwa die überraschende "Gloverfield"-Fortsetzung "The Gloverfield Paradox", die pünktlich zum Superbowl angekündigt und zur selben Zeit veröffentlicht wurde. Oder der Sandra Bullock-Thriller "Bird Box". Letzterer lief pünktlich zu den Weihnachtsferien an - die perfekte Zeit für einen Filmabend auf der Couch. Hinzu kommt, dass Netflix gleich selbst reichlich Gifs zum Film produzierte, bei Giphy bereitstellte und die Community daraus schnell eigene Memes erstellen konnte.
Netflix-Streamingtipps sind besonders beliebt
Erst als die sogenannte #BirdBoxChallenge bei YouTube viral ging, in der sich Menschen die Augen verbunden haben und (teils gefährliche) Aufgaben bewältigen mussten, sah sich Netflix bemüßigt eine Warnung auszusprechen. Ein schlechtes Licht will man schließlich nicht auf das eigene Programm werfen. Aus demselben Grund werden die Darsteller bei ihren Pressetouren auch angehalten nicht zum Bingen der Neustarts aufzurufen – das Wort steht auf einer schwarzen Liste. Dann doch lieber weiter Spaß haben mit den Inhalten! Zur lang erwarteten zweiten Staffel von "Haus des Geldes" änderte Netflix etwa seinen Nutzernamen auf Twitter in 'Bielefeld' und rief seine Follower auf, sich dem Widerstand anzuschließen. Plötzlich tauchten alle nur denkbaren Städtenamen im Twitter-Universum auf und sorgten dafür, dass die Serie im Handumdrehen ihre Bekanntheit steigern konnte. Und spätestens wenn Netflix auf Twitter persönliche Streamingtipps ausspricht, verfällt ihnen die Community restlos.
Und jetzt auch noch ein eigenes Magazin?
Kaum zu glauben, dass Netflix in diesen Zeiten ausgerechnet auf die Idee gekommen ist, ein eigenes Magazin herauszubringen. Doch nun ist das (unaussprechliche) "Queue" da. Das von der Design-Agentur Pentagram konzipierte und gestaltete, sowie überdimensional große Journal umfasst eigene Interviews, Fotostrecken, Film-Biografien und natürlich viele Behind-the-Scenes-Moment von aktuellen Produktionen.
Leider sollten wir uns keine großen Hoffnungen machen, allzu bald selbst einmal in dem Hochglanz-Magazin herumblättern zu können. Erstellt wurde es, um den diversen Award-Votern in Hollywood für die Oscars, Golden Globes und Emmys die prestigeträchtigsten Produktionen und ihre Geschichten vorzustellen. Sie erhalten Queue kostenlos auf Netflix-Events wie Screenings und Partys in Los Angeles – und sorgen so bestenfalls für den nächsten Awardregen. Das ist Content Marketing für die kleinst-denkbare Zielgruppe! Wir folgen derweil einfach dem Instagram-Account zum Heft und können so trotzdem teilhaben an den Geschichten.
Autor:
David Streit ist Gründer der Empfehlungsplattform Shelfd. Mit seinem Indie-Startup bietet er innovative Tools an, um der Überforderung durch zu viele Streamingdienste und Inhalte zu begegnen. Als Strategist berät er Medienhäuser in den Bereichen User Insights, Usability-Trends und Content Marketing.