Interview mit Ira Reckenthäler:
Das Wettrüsten ums Influencer-Marketing
Ira Reckenthäler berät Marken wie BMW, Canon und Bosch. Im W&V-Interview erklärt sie, worauf es beim Influencer-Marketing wirklich ankommt.
Der Einsatz von Datenbanken und Analysetools wird im Influencer-Marketing immer wichtiger. Viele Agenturen und Dienstleister nutzen Daten der verschiedenen sozialen Netzwerke, um Kampagnen zu planen, durchzuführen und zu evaluieren. So auch die Agentur Wildcard Communications, die unter anderem schon für BMW, Canon und Bosch tätig war. Im Interview verrät deren CMO, Ira Reckenthäler, was passende Influencer ausmacht.
Frau Reckenthäler, wie schätzen Sie den Stand von Influencer-Marketing aktuell ein?
Influencer gab es schon immer. Genau wie das Bestreben, sie für Werbekampagnen einzusetzen. Früher waren Influencer meist Prominente. Heute ist es nahezu jedem möglich, durch Social-Media-Kanäle zu einem Influencer zu werden. Der Unterschied: Dort ist Influencer-Marketing messbar. Diese Entwicklung führt zu einem immer absurderen Metric-Wettrüsten.
Welche Voraussetzungen müssen Ihrer Einschätzung nach gegeben sein, damit eine Influencer-Kampagne überhaupt Sinn ergibt?
Wie jede Maßnahme muss auch eine Influencer-Kampagne mit den Unternehmenszielen harmonieren. In zweiter Instanz sollte sie Teil einer gesamten Marketingstrategie sein – und diese sollte - im Sinne von "Relations" - auf eine nachhaltige Bindung mit Influencern ausgelegt sein. Wenn das gegeben ist, müssen die Influencer zur Marke passen, insbesondere zum Produkt, zur Leistung oder zum Service. Erst dann schaffen es Influencer und Marke, die Bindung auch auf ihre Follower auszudehnen.
Auf Unternehmensseite muss gleichzeitig eine Bereitschaft gegeben sein, die eigene Kommunikation und das Marketing soweit zu öffnen, dass Influencer nicht nur reines Werbetabloid werden, sondern die Ideen der Influencer und Insights in deren Zielgruppe aktiv genutzt werden. Und zwar nicht nur in der Strategiephase, sondern auch in der nachgelagerten Analyse. Sonst bleibt es traditionelles, unidirektionales Oldschool-Marketing, trotz neuer Kanäle.
Sie haben eine "Scorecard" entwickelt, um diesen Prozess zu unterstützen. Könnten Sie ein paar Einblicke geben, mit welchen Daten Sie einen Influencer "in seine Einzelteile zerlegen"?
Wir empfehlen jedem Kunden, sich von den sogenannten "Vanity Metrics" zu lösen und sich mit uns stattdessen die wirklich wichtigen Faktoren anzuschauen. Unsere 70 bis 80 Indizes, die in eine Scorecard einfließen, sind eine Mischung aus toolbasierten, datengestützten Analytics und Qualitätsaspekten, die ein Influencer auf seinen Kanälen erfüllen muss. Für die quantitativen Daten ist nicht nur die jeweilige Like-Zahl entscheidend, vielmehr die Faktoren Interaktionsrate, Posthäufigkeit, Reichweite der Satelliten-Kanäle, Website-Traffic, Backlinks, Auffindbarkeit im Netz, Sponsoreneinbindung.
Die qualitativen Aspekte beurteilen unsere erfahrenen Analysten und bewerten diese auf einer vorher definierten Skala. Da ist die thematische Meinungsführerschaft genauso ein wichtiger Faktor wie Demografien. Auch der Umgang mit Werbekennzeichnungen ist ein Kriterium, das von uns miteinbezogen wird.
In der derzeitigen Qualitätsdiskussion: Gewinnen Daten nun mehr an Relevanz, weil sie eben weg von Subjektivität gehen? Oder ist es nicht eher so, dass man, um die Qualität von Kampagnen und Inhalten zu erhöhen, sich von automatisierten Systemen und Algorithmen lösen muss?
Daten und Subjektivität müssen sinnvoll kombiniert werden. Rein aus dem Bauch heraus entscheidet man zwar, was einem selbst gefällt, aber nicht unbedingt, was die eigene Zielgruppe schätzt. Das kann gutgehen, muss es aber nicht. Und die Kehrseite der Medaille, sich rein auf einen Algorithmus zu konzentrieren, wäre ebenso falsch. Gerade bei der Arbeit mit Influencern befürworten wir eine individuelle und vor allem empathische Analyse, die mehr in Richtung Qualität schaut. Die richtigen KPIs helfen, den eingeschlagenen Kurs im Blick zu halten.
Welche Lehren ziehen Sie aus dem Einsatz Ihrer Tools?
Dass es unter Umständen viel zielführender ist, sich mit Micro-Influencern auseinanderzusetzen, statt ausschließlich kurzfristige Aktionen mit hochpreisigen Macro-Influencern oder Celebrities anzuzetteln. Das Fan-Engagement von Micro-Influencern, die im selben Segment wie die Marke unterwegs und dort bereits als Experten verortet sind, ist teils um ein Vielfaches höher und der ROI deutlich besser.
Mehr zum Thema Messbarkeit und Werbewirkung von Influencer-Marketing lesen Sie in W&V 32/17. Hier können Sie das Einzelheft bestellen.
In unserem Online-Dossier finden Sie einen Überblick über Dos und Dont's.