Shanghai Corona Days Teil 1:
Das Restaurant liefert – kochen muss man selbst
Stefan Justl hat 45 Tage Corona-Schockstarre in Shanghai hinter sich. Der General Manager von Storymaker China schildert seine Erlebnisse in einer Mini-Kolumne. Teil 1: Hamsterkäufe und Lebensmittel.
Heute habe ich mal wieder online bestellt. Das ist eigentlich nichts Ungewöhnliches. Eigentlich. Chinesen lassen sich schließlich alles liefern – von Elektrogeräten bis zu Eiern. Gerade in den Quarantäne-Wochen standen Lebensmittel besonders hoch im Kurs. Hamsterkäufe gab es aber nie. Die Supermärkte hatten durchgängig geöffnet, allerdings zu eingeschränkten Ladenzeiten. Wer hinein wollte, musste aber durch die obligatorischen Temperaturkontrollen am Eingang.
Also wurde der Einkauf immer häufiger online erledigt. Geliefert wird in China nicht selten innerhalb weniger Stunden. Es gibt Tausende von Fahrern, die mit ihren E-Scootern durch die Straßen Shanghais heizen. Normalerweise liefern die bis direkt an die Wohnungstür. Doch damit ist schon seit einigen Wochen Schluss.
Die Pakete stapeln sich auf der Straße
Denn Lieferdienste haben bis heute aus Sicherheitsgründen keinen direkten Zugang zu ihren Kunden. Die Kunden wohnen oft in großen Compounds, also in überwachten Wohnanlagen. Dort leben gut und gerne mehr als tausend Menschen. Wohin nun mit den ganzen Paketen, die jeder dieser Compounds täglich bekommt? Chinesen sind pragmatisch. Über Nacht wurden an den Zugängen Regale und provisorische Zelte aufgebaut. Dort stellt der Fahrer seine Lieferung ab, irgendwann kommen die Bewohner und nehmen ihre Pakete mit.
Das erinnert mich vom Prinzip her ein wenig an die deutschen Packstationen. Bei Gebäuden außerhalb von Wohnanlagen stapelten sich die Pakete auch schon mal auf der Straße oder es wurde ein Kiosk mit Regenschutz gebastelt. Pragmatisch eben. Einige Händler haben auf diese neue Situation reagiert. Unser Online-Supermarkt zum Beispiel liefert nicht mehr in Tüten, sondern in recyclebaren Kartons. Jeder Lieferung sind zudem zwei Schutzmasken beigelegt.
Wir würden die Kartons auch gerne wieder zurückgeben. Allerdings haben wir keinen Kontakt zum Fahrer, und so stapeln sich die Boxen erst einmal im Wohnzimmer. Ins Büro lassen wir übrigens grundsätzlich liefern. Nicht nur Büromaterial, sondern auch Mittagessen. Das stärkt unser Gemeinschaftsgefühl, besonders in Zeiten wie diesen.
Der Koch liefert – kochen muss man selbst
Was machen Restaurants, wenn sie geschlossen bleiben müssen? Sie liefern nach Hause. Viele sind in schon lange bei Lieferdiensten angemeldet. Andere organisieren sich nun selbst und kommen mit ganz neuen Ideen daher. Zum Beispiel Miguelito. Er betreibt zwei beliebte mexikanische Restaurants in der Stadt und liefert jetzt kurzerhand rohes Fleisch und rohen Fisch nach Hause. Kochen sollen die Leute aber bitte selbst. Wie geht das? Marketing.
Miguelito hat seine Freunde und Bekannte, mit denen er ja sowieso schon über WeChat verbunden war, kurzerhand in eine eigene WeChat-Gruppe eingeladen. Das können per Beschränkung durch Tencent bis zu 500 Teilnehmern sein. Die Gruppe hat Miguelito „Maya Premium Foods Home Delivery“ genannt. Der Name ist Programm. Wir sind jetzt alle VIPs mit exklusivem Zugang zu seinen hochwertigen Lebensmitteln.
Miguelito setzt voll auf den Gemeinschaftsgedanken. Er ist jetzt ein Community Manager. Er postet die neuesten Angebote, selbstgemachte Videos mit Kochtipps vom Chef persönlich, und er vergibt Awards für das beste Gericht der Woche. Die Mitglieder senden tatsächlich Bilder von ihren eigenen Kreationen: Burger, gegrillter Fisch mit Gemüse, Würstchen auf Tomaten.
Die Bar versendet Cocktail-Zutaten
Essen zu Hause wird zum Premium-Event und zum exklusivem Cluberlebnis. Und trinken? Auch hier gibt es eine echte Stilblüte. Das Shake ist eine super angesagte Bar, bekannt für lange Nächte, exzellente Live Bands und Signature Cocktails. Letztere gibt es jetzt zum Bestellen. Das Shake verschickt Pakete mit Zutaten und Rezepten zum Cocktail-Mixen für lange Nächte zu Hause – gut geschüttelt, nicht gerührt!
Inzwischen sind die Supermärkte und auch die meisten Restaurants und Bars wieder geöffnet. Eine Art von Normalität kehrt zurück. Doch weiterhin steht an jedem Eingang ein Wächter und kontrolliert, ob ich erhöhte Temperatur habe. Und seit wenigen Wochen muss ich immer häufiger den digitalen QR Code zeigen, der von Gesundheitsapp der Stadt Shanghai generiert wird und mich einer definierten Risikogruppe zuordnet. Wie das funktioniert und welche Konsequenzen es hat, kommt in der nächsten Folge. Bleibt gesund und entspannt!
Stefan Justl verantwortet als General Manager das Geschäft von Storymaker in China. Die Kommunikationsagentur sitzt in Tübingen, München, Berlin, Beijing und Shanghai. Direkt vom Shanghai-Homeoffice aus berichtet er nun zweimal pro Woche auf wuv.de über die Auswirkungen von Corona in China, den Umgang mit der Krise und wie es dort jetzt weitergeh. Den Pilot der Miniserie "Arbeiten in Shanghai: 45 Tage Corona-Schockstarre" lesen Sie hier.