Der zuvor skizzierten Auslegung nach klingt das Dasein als Influencer eher nach harter Arbeit. In der Wahrnehmung der Followerschaft dominiert indes ein Leben mit Strandurlauben in sonnigen Destinationen, zugeschickten Luxushandtaschen und Smartphones der neuesten Generation mit möglichst explosionssicheren Akkus – alles immer kostenlos zur Verfügung gestellt und am besten noch ein dickes Honorar obendrauf.

Kein Wunder also, dass nachfolgende Generationen angesichts der medialen Berichterstattung nicht mehr davon träumen, über den mühsamen Weg der Castingshow Popstar oder Supermodel zu werden, wenn der Traumjob Superinfluencer zum Greifen ungleich näher erscheint.

All dies weckt natürlich Begehrlichkeiten und bringt den einen oder anderen angehenden Social-Media-Star auf die falsche Spur. Noch immer ist es ein Leichtes, für den eigenen Instagram-Kanal Follower, Likes und Kommentare mittels automatisierter Bots zu generieren oder – noch einfacher – gleich für einen überschaubaren Betrag zu kaufen.

Wer etwas geschickter vorgeht, verabredet sich in sogenannten Comment Pods mit seinen Freunden zum gegenseitigen Kommentieren und Liken der jeweiligen Fotos, sobald diese veröffentlicht wurden. Der Algorithmus dankt dies mit besserer Sichtbarkeit und ggf. sogar Würdigung des Beitrages auf der Explore Page, was wiederum weitere Interaktionen mit sich bringt. Mit wahrem Interesse oder gar Einfluss auf Kaufentscheidungen haben die unlauter erlangten inflationären Zahlengerüste freilich nichts zu tun. Sie sind für Unternehmen wertlos.

Auch wenn Instagram mittlerweile versucht, Fake-Accounts auf der eigenen Plattform regelmäßig zu löschen und mit Instagress erfolgreich gegen den ersten großen Bot-Anbieter vorging, ist dort, wo viel Licht ist, auch viel Schatten. Man muss schon genau hinsehen wollen und über ein gewisses Know-How verfügen, um die kleinen und großen Manipulationen zu erkennen. So manches Unternehmen würde sich vermutlich wundern, welch namhafter Influencer es mit Tricksereien ziemlich weit gebracht hat.

Wer es mit eigenen Augen sehen möchte, muss sich in einer schlaflosen Nacht nur einmal die Interaktionen der eigenen Abonnenten genauer ansehen: Wer da im Minutentakt neuen sinnlosen Accounts mit zweifelhaften Fotos folgt und ununterbrochen deren Material liked, der schläft derweil selbst hoffentlich seelenruhig, während ein Bot versucht, in seinem Namen automatisiert Aufmerksamkeit zu erlangen.

Bots und Followerkauf sind wie Doping im Sport

Aber wie bei Doping im Sport gibt es zahlreiche Profiteure und eine Kultur des Wegschauens. In den letzten Monaten sind unzählige Plattformen aus dem Boden geschossen, die versuchen, (Mikro-)Influencer und Unternehmen zusammenzubringen und Kampagnen weitgehend automatisiert abzuwickeln.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Gerade bei Kampagnen mit vielen beteiligten Influencern vereinfacht dies die Abwicklung ungemein. Die Preisbildung für Influencer und somit auch der Umsatz dieser Marktplatzanbieter richtet sich jedoch zumeist nach den bloßen Zahlen. Aber auch bei einer handverlesenen Auswahl von Influencern spielen Abonnentenzahlen und Likes oft noch eine große Rolle.

Geschädigte des Influencer-Dopings sind nicht nur die Auftraggeber, die zu hohe Honorare bezahlen. Hier könnte bei Businessprofilen ganz einfach ein Blick in die nicht öffentlichen Statistiken weiterhelfen. Werte wie Reichweite, Impressionen und demographische Daten sind tatsächlich schwieriger zu manipulieren. Allerdings dürfte wohl manchem Auftraggeber bei einem Blick hinter die Kulissen angesichts klassischer TKP-Betrachtung wohl etwas schwindelig werden, wenn ihm klar wird, dass Instagrammer mit einer Abonnentenzahl von 500k tatsächlich oft nur mit Mühe Reichweiten von 70k erzielen (selbst wenn man die Kosten für die Kreation des Postings einpreist).

Geschädigt sind aber natürlich auch – und das sind die meisten – Influencer, die auf organisches Wachstum und Interaktionen setzen. Angesichts schnell aufstrebender neuer Sternchen sehen sie sich vor dem Problem, dass sie nicht nur weniger Aufträge erhalten, sondern – dem Algorithmus sei Dank – auch noch weniger sichtbar werden als ihre dopenden Mitbewerber. Der ehrliche Influencer ist der Dumme, denn welches Unternehmen spannt schon gern einen vermeintlichen Underperformer vor seinen Karren?

Natürlich sind gefakte Follower- und Like-Zahlen ein Problem für die gesamte Branche, weil sie die Glaubwürdigkeit, die mittels Influencer Marketing ja ursprünglich transportiert werden sollte, kaputt macht. Mittels manipulierter Zahlen werden Auftraggeber, Agenturen, Mitbewerbs-Influencer und schließlich auch Fans bewusst hinters Licht geführt.

Im Influencer Marketing dominiert zunehmend Beliebigkeit

Auch beginnt die zunehmende Beliebigkeit zu langweilen. Kann man als Außenstehender vielleicht noch Bibbi und Daggi mit etwas Mühe von Lisa und Lena unterscheiden, so hat sich die Influencer-Szene auf Instagram in den vergangenen drei Jahren stark professionalisiert. Zu viele Berufsinfluencer machen auf ihren Kanälen genau das gleiche wie alle anderen: Sie sehen sehr gut im Bikini aus, fotografieren weitläufige Landschaften oder inszenieren gut ausbelichtete Salatblätter. "Wo bleibt der Unique Selling Point?", mag sich da manch ein kritischer Beobachter zu recht fragen, während sich die so viel beschworene Authentizität auf dem Rückmarsch befindet.

Sogar für Influencerinnen, die es geschafft haben, selbst zur Marke zu werden, dürfte es immer schwerer werden, zu ihren Followern durchzudringen. Ob die 1 Mio. Fans von Caroline Daur (@carodaur) beim 1000. Badeanzug, den sie präsentiert, noch genauso wirksam entzückt sind wie beim ersten, mag fraglich erscheinen.

Erschwerend kommt hinzu, dass es mittlerweile eine unüberschaubare Anzahl von Caro-Daur-Doppelgängerinnen gibt, die auf ihren Kanälen ebenfalls alle für unterschiedliche Badeanzughersteller ins Wasser gehen. Ähnliches lässt sich für alle Ausprägungen beobachten: Landschaftsfotografen wie Maximilian Münch (@muenchmax) und Foodfotografinnen wie Marta Greber (@whatforbreakfast) – sie alle sind führend auf ihrem Gebiet und haben unzählige Nachahmerinnen, die ein Stück auf ihren Influencer-Zug aufspringen wollen.

Ganz abgesehen davon tut das One-Trick-Pony namens Konzept sein Übriges – wird es doch zumeist sehr einseitig mit "Produkt platzieren", "irgendwo hinfahren/teilnehmen" und "zum Mitmachen bei irgendwas aufrufen" gefüttert. Been there, done that.

Influencer ist kein Ausbildungsberuf

Im Mittelfeld des Influencertums zwischen 100-500k Followern tummeln sich immer mehr Player, die das Influencertum für Unternehmen zu ihrem Hauptberuf gemacht haben. Zwar gibt es eine steigende Anzahl von Unternehmen, die auch "mal was mit Influencern machen wollen", aber angesichts der großen Zahl an möglichen Kooperationspartnern auf der anderen Seite wird der Wettbewerb härter. Es herrscht sozusagen ein Überangebot an Mid-Range-Influencern.

Hinter vorgehaltener Hand klagen nicht wenige Influencer über tendenziell rückläufige Honorare pro Job. Gerade im Travel-Bereich tummeln sich einige Influencer mit sechsstelligen Followerzahlen, die sich gern von Anbietern zu kostenlosen Reisen einladen lassen, ganz ohne darüber hinaus die noch vor zwei Jahren üblichen Honorare aufzurufen. Warum auch, schließlich ist Instagram ihr Hobby und sie können sich darüber freuen, dass ein Reiseunternehmen für ein paar Fotos ihren Urlaub finanziert. Hauptberufliche Influencer, die mit der Kreation von Content auf Reisen ihren Lebensunterhalt finanzieren müssen, haben da immer häufiger das Nachsehen.

Auch der von Instagram Mitte letzten Jahres eingeführte Algorithmus macht den professionalisierten Influencern zu schaffen. So lässt sich wohl kaum ein ambitionierter Instagrammer finden, der aussagt, froh zu sein über die Abkehr von der chronologischen Ordnung der Timelines. Nahezu alle reichweitenstärkeren Instagrammer haben seitdem mit einem deutlichen Rückgang der Interaktionen zu kämpfen.

Manch einer ist im verzweifelten Kampf um Aufmerksamkeit schon dazu übergegangen, etwas zu viel nackte eigene oder fremde Haut zu zeigen. Wohl dem, der in Zeiten der Goldgräberstimmung nicht leichtfertig seinen Brotjob gekündigt hat, um Vollzeitinfluencer zu werden. Influencer ist kein Ausbildungsberuf. Davon ausgehend, dass man gar nicht für beliebig viele Produkt(gruppen) glaubwürdig stehen kann, ist Influencer sogar gar kein Beruf – sondern bestenfalls eine Berufung.

Dass vielen der Akteure der Hype selbst nicht ganz geheuer ist, zeigt sich mittlerweile in den Biographien: Während man früher noch ganz selbstbewusst in seinem Profil von sich behauptet hat, Influencer zu sein, bezeichnet man sich heute lieber etwas bescheidener als Content Creator oder Social Photographer. Ganz banal ausgedrückt sind die allermeisten von ihnen schlicht mehr oder weniger kreative Fotografen mit einer wahrnehmbaren Reichweite auf Instagram, die einen Job machen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.  

Influencer Marketing - quo vadis?

Trotz aller Kritik: Influencer Marketing geht nicht wieder weg. Also, lasst es uns reparieren. Darf man den Fachmedien Glauben schenken, so werden die Budgets für Influencer Marketing in den nächsten Monaten eher steigen (selbst wenn man die zahlreichen nicht ganz uneigennützigen Wortmeldungen der Gründer von Influencer-Plattformen und -Agenturen einmal außen vorlässt). Noch nie zuvor haben so viele Kreative ihren Lebensunterhalt als Influencer bestritten. Vielleicht wird es irgendwann so etwas wie einen Peak Influencer geben. Für Spitzeninfluencer wird es dann noch ein Vollzeitjob sein, aber das gesamte Mittelfeld wird dann wieder einer geregelteren Tätigkeit nachgehen müssen.

Wenn sich alles wieder etwas beruhigt hat, besteht die Chance für Unternehmen, bevorzugt mit ausgewählten wahren Influencern zu kooperieren, für die sie eine wirkliche Love Brand sind. Wir werden dann hoffentlich weniger kopflose Kampagnen sehen, sondern verstärkt nachhaltige Relations und Ansätze, kreativen Content von Influencern für das Unternehmen nutzbar zu machen. Dazu braucht es keineswegs den jüngst gegründeten Influencer-Marketing-Verband ohne politischen Einfluss, der wohl eher als Gatekeeper für Journalisten und potentielle Kunden verstanden werden muss.

Was wir brauchen, sind konstruktive Diskussionen mit allen Beteiligten: Influencern, Unternehmen, Agenturen. Vielleicht könnte das von Johannes Lenz und Sachar Klein initiierte Influencer Marketing Camp (#imcamp17) am 23.9. in Hamburg ein guter Ort für einen solchen Austausch sein. Ich würde mich darüber freuen.

Und da Sie schon bis hier gelesen haben: Thomas Gottschalk, das war der Mann aus dem Fernsehen. Damals gab es noch keine Influencer, aber dafür große Samstagabendshows. Er hat so eine moderiert und für Gummibären geworben (aber den Gummibärcontent zum Glück nicht selbst produziert). Eine gefühlte Ewigkeit lang. Und man hat es ihm irgendwie abgekauft.

André Krügers Analyse zum Thema Influencer-Marketing aus dem Jahr 2016 finden Sie übrigens hier.


Autor: André Krüger

André Krüger ist Freelancer in Hamburg und Berlin. Er entwickelt Kommunikationskonzepte für den digitalen Raum. Seit den Anfängen von Instagram ist er dort als @bosch unterwegs. Er ist Dozent an der JvM-Academy und Lehrbeauftragter an der Texterschmiede.