Interview:
Das Calmund-Prinzip: "Große Klappe und was dahinter"
Fast zehn Jahre nach seinem Ausstieg aus dem Bundesliga-Geschäft hat sich Reiner Calmund zur eigenen Werbemarke entwickelt. Bei seinem umstrittenen Marketing-Partner Fluege.de greift "Calli" sogar höchstpersönlich in den Kundenservice ein. Ein Interview über leidenschaftliche Markenpflege, unverblümte Kommunikation und die Grenzen von Social Media.
Reiner "Calli" Calmund ist eine starke Marke, auch wenn er sich selbst lieber als "Type" sieht. Schon den Manager des Bundesligaklubs Bayer 04 Leverkusen (bis 2004) kannte man als jemanden, der redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Nach dem Aus bei Bayer 04 folgte eine für einen Fußballmanager außergewöhnliche Karriere als TV-Moderator, Werbe-Ikone und Internet-Star. Markenschau-Blogger Karsten Lohmeyer wollte von ihm wissen, wie er das gemacht hat. Ein Interview über leidenschaftliche Markenpflege, unverblümte Kommunikation und die Grenzen von Social Media.
Herr Calmund, wie würden sie die Marke Reiner Calmund beschreiben?
Große Klappe – und was dahinter! Das ist die Kurzformel. Wenn ich nur dummes Zeug erzählen würde, wäre es bald vorbei mit der Präsenz und Akzeptanz. Meine gemessenen Sympathie-Werte sind sehr gut. Man beschreibt mich als authentisch, oft auch mal als provokant, auf jeden Fall als selbstbewusst.
Manchmal vielleicht zu selbstbewusst?
Ich bin ein Mensch mit Fehlern, Ecken und Kanten. Ich rede Klartext, spare mir übertriebenes Universitätsblabla. Und natürlich stehe ich mit meiner Figur für ein unverwechselbares Äußeres.
Wie wichtig ist ein unverwechselbares Äußeres? Muss man vielleicht heute einen roten Irokesenschnitt, ein paar Pfunde zu viel auf den Hüften und ein gutes Mundwerk haben, um zur Marke zu werden?
Ein besonderes Aussehen sorgt sicher für einen höheren Wiedererkennungswert. Aber auch die dickste und bunteste Verpackung bringt nichts, wenn der Inhalt keine Qualität hat. Ich bin kein Weltverbesserer und kein Missionar. Aber mir liegt einiges daran, den Menschen, die mir zuhören wollen, etwas zu sagen. Mein Motto heißt "Kompetenz und Leidenschaft – das ist die Formel zum Erfolg!" Was ich damit sagen will: Eine intelligente und kompetente Schlaftablette kann ohne Leidenschaft keinen Blumentopf gewinnen.
Was bedeutet Leidenschaft für Sie?
Leidenschaft heißt: Identifikation mit Job, Produkt, Kunden und Lieferanten. Wichtig sind Disziplin, Einsatz, Teamgeist, Herzblut, Begeisterung und Siegeswillen. Und über allem steht: Nicht quatschen, machen!
Halten Sie sich eigentlich selbst für eine Marke?
Was sagen Sie dazu? Die W&V kann das doch viel besser beurteilen...
Ich halte sie für eine Marke, sonst würde ich das Interview nicht führen.
Ich sehe mich nicht unbedingt als Marke, eher als Type. Eine Marke steht für Qualität, Bekanntheit und hat dadurch einen großen treuen Kundenstamm.
Was hat Sie zur Type oder Marke gemacht?
Wenn man im Fußball auf der Kommandobrücke steht und dem Publikum authentisch begegnet und fachlich einigermaßen unfallfrei in den Medien argumentieren kann, dann hat man auch automatisch einen hohen Bekanntheitsgrad. In Deutschland ist Fußball der absolute TV-Quoten-König. Dagegen haben die Klitschkos, Sebastian Vettel, Günter Jauch, Thomas Gottschalk, Markus Lanz oder Heidi Klum keine Chance.
Nun war es ja 2004 vorbei mit der Position auf der Kommandobrücke. Wie haben Sie danach den Wandel vom Fußballboss zur eigenständigen Marke geschafft?
Ich hatte nach meinem Ausscheiden bei Bayer 04 keinen Karriereplan. Es gab gute Angebote aus der Bundesliga als Manager einzusteigen. Doch ich wollte erst mal drei Monate durchschnaufen. Das erwies sich als goldrichtige Entscheidung. Denn während dieser Pause habe ich sofort überraschende und interessante Angebote bekommen. RTL verpflichtete mich zuerst als "Big Boss" und danach als WM-Experte, außerdem drehten wir in Brasilien die erfolgreiche Dokumentation "Calli do Brasil". Der damalige Ministerpräsident Peer Steinbrück machte mich 2004 zum offiziellen WM-Botschafter für Nordrhein Westfalen. Seitdem habe ich immer viel zu tun – von "Callis kleines Fußballmärchen" mit dem ZDF bis zur "Kocharena" auf Vox.
Und aus dem Fußball-Manager ist damit ein TV- und Werbestar geworden...
Das alles macht mir großen Spaß. Fußball, Reisen, Vorträge, Werbung und Essen – das ist die Achse, um die sich mein Berufsleben heute dreht.
Sie machen Werbung für das Portal Fluege.de der Leipziger Firma Unister. Die ist ja nicht gerade unumstritten…
Ich mache nur Werbung, wenn ich dafür auch gerade stehen kann. Bei Fluege.de ist das so.
Warum?
Weil ich die Seite – genau wie vor meiner Werbung – auch heute noch aktuell regelmäßig nutze. Selbst wenn mich eine Firma beauftragt und die Reise zahlt, gehe ich vorher auf fluege.de, um mir die passende Flugverbindung und Preise heraus zu suchen. Ich fahre sehr gut damit.
Wenn andere da nicht so gut mit fahren, melden die sich dann bei Ihnen?
Ja, ich bekomme dazu gelegentlich Feedback. Gutes, aber es gibt auch Beschwerden. Und natürlich lese ich mir das genau durch, was da an Kritik kommt.
Und wie reagieren Sie auf die Kritik und Beschwerden?
Ich kann den Fall ja nicht prüfen, aber ich gebe ihn an das Unternehmen weiter mit dem Betreff: "Reklamation – bitte abstellen." Das ist mein Selbstverständnis und auch Kundendienst. Wenn ein Kunde ein Problem hat, müssen die sich darum kümmern.
Wirken Ihre Mails oder landen sie in einem speziellen Calli-Spam-Ordner bei Unister?
Das Unternehmen findet das gut. Und ich kriege immer wieder ein Dankeschön von Kunden, wenn es geklappt hat und ihr Problem gelöst wurde.
Das heißt, Sie reagieren auf alle Anfragen, die zum Beispiel über Facebook und Twitter an Sie herangetragen werden?
Anfangs haben meine Frau und ich uns immer die Zeit genommen, jede Nachricht persönlich zu beantworten. Doch mit zunehmendem Umfang war dies von uns nicht mehr leistbar.
Sie könnten einen Dienstleister beauftragen.
Ich will die Fragen auf keinen Fall von einer Firma beantworten lassen. Wenn da Calmund als Absender draufsteht, muss es entweder ich persönlich schreiben oder meine Frau – und sonst niemand.
Das heißt aber im Umkehrschluss: Wer per Twitter, Facebook oder E-Mail an Reiner Calmund schreibt, braucht nicht mit einer Antwort rechnen.
Nein, wir reagieren so oft es möglich ist. E-Mails werden alle beantwortet, bei Facebook gibt es häufig Grundsatzstatements bei Themen die viele betreffen. Ansonsten entscheiden wir, wo wir reagieren und was arbeitstechnisch machbar ist.
Wo und wann reagieren Sie?
Jetzt ging es zum Beispiel nach meinen Tipp für die kommenden Bundesliga Tabelle in der "Bild am Sonntag" in meinem Netz richtig rund, weil viele User ihren Klub von mir nicht gut genug bewertet sahen. Ob Facebook, Twitter, oder Email wir hatten richtig viel zu tun. Ich habe auf allen Portalen meinen Tabellen-Tipp erläutert und darüber hinaus Stellung zu besonders kritischen Fragen genommen.
Sie haben ja rund 115.000 Twitter-Follower und mehr als 37.000 Facebook-Fans. Was bringt Ihnen das?
Facebook und Twitter sichern mir ein ehrliches und schnelles Feedback nach Fernsehauftritten, Zeitungs-Kolumnen und Talks. Mir ist es wichtig, nicht nur über die klassischen Medien Resonanz oder über eine TV-Quote Feedback zu bekommen, sondern persönliche individuelle Rückmeldungen von Fans und Followern zu erhalten.
Bedauern Sie, dass Sie nicht mehr auf jede einzelne Anfrage reagieren können?
Ja und nein! Ja, weil es mir schwerfällt, viele Bettelbriefe mit begründeter Sorge nicht positiv beantworten zu können. Aber sowohl mein finanzieller, als auch mein zeitlicher Rahmen lassen keine weiteren Engagements mehr zu. Es ist wirklich bitter, dass man bei soviel Schicksalsschlägen nicht jedem helfen kann. Und nein, weil mir der persönliche Kontakt immer noch am wichtigsten ist. Bei einem guten Abendessen sind mir die Stimmung und der Gästekreis wichtiger als die Qualität des Menüs. Ich quatsche und streite mich gerne mit Freunden, das geht für mich aber nur ganz persönlich.
Warum ist persönliche Kommunikation in Zeiten des Internets weiterhin so wichtig?
Ich bin in einer Bergarbeiter-Kolonie als kleiner Knirps unter ganz bescheidenen Verhältnissen glücklich aufgewachsen. Meine Mutter und mein Stiefvater haben mit harter Arbeit und sparsamem Leben sehr früh für ein eigenes Haus, das erste Auto und den Urlaub gesorgt. Da waren wir in unserer Siedlung ganz weit vorne. Bei meiner Karriere hatte ich das Glück, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, fleißig malochte und nicht zu den ganz Doofen zählte.
Was hat das mit persönlicher Kommunikation zu tun?
Entscheidend war dabei, dass ich in allen Lebenslagen live überzeugend quatschen konnte. Das Sprichwort: Erst lebten wir auf dem Land, dann in der Stadt und jetzt im Netz, ist zumindest in vielen Bereichen nicht meine Welt....
Also was jetzt: Reiner Calmund der Internet- und Social-Media-Profi – oder doch eher ein Web-Skeptiker?
Das Internet ist wie eine Welle. Entweder man lernt, auf ihr zu schwimmen oder man geht unter. Dieses Zitat von Bill Gates kann ich absolut unterstreichen. Ohne Internet ist man heute in keinem wichtigen Geschäftsbereich wettbewerbsfähig. Das gilt für Industrie, Handel, Medien, Tourismus, Krankenhäuser, Verkehr, Transporte, Telekommunikation – und natürlich für mich. Aber: Herz, Seele, Blut, Charakter, Wärme und Verständnis – diese wichtigen menschlichen Komponenten kann selbst in der heutigen Hightech-Zeit das Internet nicht leisten.
Wie erleben Sie die sozialen Medien im Privatleben?
Vor kurzem hat mich mein 16-jähriger Enkel via Facebook kontaktiert. Wir haben danach telefoniert und uns über seine Problemchen in der Schule unterhalten, den schlechten Gesundheitszustand des anderen Opas und den anstehenden Urlaub. Das Gespräch hat mir sehr gut gefallen, weil es Tiefe hatte. Ein Tag später kam über Facebook eine Nachricht von ihm: "Opa es geht aufwärts." Kurz, knackig – aber leider nicht verständlich für mich. Was meinte er? Ging es aufwärts mit dem anderen Opa? Mit der Schule? Ich musste meine Tochter anrufen, damit sie mir erklärt, was los war. Tja, das gute alte Telefon.
Glauben Sie als Vater und Großvater, dass die Kinder zu viel Zeit im Internet verbringen – und zu wenig in persönlichen Gesprächen?
Das Internet wird für unsere Kinder natürlich noch eine viel größere Bedeutung haben. Es wird keine leichte Aufgabe, der Jugend klar zu machen, dass es neben iPad, iPhone und PC noch ein richtig schönes privates Leben gibt. Das Handy wird doch heute auch oft bei Kleinkindern als Ersatz-Nuckel eingesetzt. Ich gebe zu, damit habe ich ebenfalls schon Kinder beruhigt. Aktuell kommt es darauf an, den richtigen Mix zwischen Internet, Schule, Beruf, Bewegung und Privatleben, zu finden.
Sie sind ja nicht die einzige Sportgröße, die in den sozialen Medien aktiv ist und auch viel Privates nach außen trägt. Boris Becker zum Beispiel…
… hat mit der Verbindung, Sportler-Legende und weltweite Popularität, Facebook und Twitter erfolgreich genutzt…
…und Hans Sarpei…
… hat mich am meisten beeindruckt. Obwohl er nur ein durchschnittlich guter Bundesligafußballer war, hat er mit seiner sympathischen und unterhaltsamen Art 372.000 Fans auf Facebook und über 70.000 Twitter-Follower aufgebaut. Mit dieser „Einschaltquote“ hat er sich für Medien und Sponsoren interessant gemacht. Ziel erreicht, würde ich sagen!
Herr Calmund, herzlichen Dank für das Gespräch!