Gastbeitrag:
Corona wird den Büromarkt drastisch verändern
Konzerne und andere große Mieter entdecken jetzt die Flexibilität der mobilen Arbeit – und Milliardeneinsparpotenziale. Sven Wingerter über die langfristigen Folgen der aktuellen Home-Office-Situation.
Wenn wir heute fast ohne Firmenbüro auskommen, werden die Unternehmen ihren Büroflächenbedarf drastisch hinterfragen – und sich von starren Strukturen trennen. Fast alle Büroangestellten sind derzeit im Home Office tätig. Die aktuelle Lage zwingt Unternehmen dazu – und sie sind arbeitsfähig. Wer von den Angestellten möchte auf Dauer noch an den Firmenarbeitsplatz zurück, den er vor Corona verlassen hat?
Konzerne und andere große Mieter überlegen bereits, ihre angemieteten Büropaläste aufzugeben. Dass mindestens ein Fünftel der Arbeitsplätze dauerhaft dem Büromarkt entzogen wird, halten Marktexperten es für realistisch. Bei 380 Millionen Quadratmetern Bürofläche hierzulande (IW, 2018) würde also rechnerisch mehr als die gesamte Bürofläche Bayerns wegfallen – wo es immerhin 54.000 Bürogebäude gibt. Das Arbeiten von Zuhause aus war vor Corona ein Angebot für ausgewählte Mitarbeiter, oft auch ein Zeichen von Innovation und Fortschritt. Corona hat viele Lebensbereiche verändert und zeigt, dass klassische Büroimmobilien überflüssig sein können.
Die schreckliche Situation heute ist eine Chance für ein vollständiges Umdenken von Betriebsabläufen. Großunternehmen und ihre Mitarbeiter werden mit den gewonnenen Erfahrungen andere Ansprüche an das Arbeiten haben. Das verändert die künftige Interaktion zwischen Mensch und Büroimmobilie. Denn Verhalten wird durch Verhältnisse geprägt – und diese wurden in nur wenigen Tagen auf den Kopf gestellt. 32 Millionen Deutsche arbeiten sonst an rund 27 Millionen Büroarbeitsplätzen. Funktionieren wir wirklich ohne unser angestammtes Büro? Das wäre unglaublich – aber machbar. Dabei hat das sogenannte Home Office – was im Englischen nicht so heißt, sondern beispielsweise „working from home“ – generell seine Tücken und war bei Arbeitnehmern und Chefs weniger beliebt als angenommen.
Auf Vermieter kommt einiges zu
Nun haben sich alle daran gewöhnen müssen. Die Angestellten schätzen die Freiheit und Lässigkeit. Chefs und Unternehmen wiederum haben nun die riesigen Einsparpotenziale vor Augen. Sie werden sich im großen Stil von Büroflächen trennen. Das Büro braucht ein Lagerfeuer. Keine Frage: Wenn Corona mit seinen massiven Einschränkungen vorbei ist, werden viele nach der Einsamkeit mit höchster Freude in die Büros zurückströmen – und nach der Wiedersehenspartys weiter außerhalb des herkömmlichen Büros arbeiten wollen.
Auf Bürovermieter, Investoren und Projektentwickler kommt also – zusätzlich zu den Mietausfällen – einiges zu. Nach Corona wird der Umgang mit Büros und damit aus Investorensicht für die gesamte Assetklasse ein anderer sein: Prozesse und Aktivitäten werden zu den bestimmenden Faktoren bei der Planung – etwas, das vor Corona noch ungläubige Blicke hervorrief. Einfach nur seine „Anzahl von Personen“ unterzubringen, wird ebenfalls der Vergangenheit angehören. Denn Arbeitstypologien, die Individualarbeit bedeuten, benötigen keine Büros mehr – das lernen wir gerade momentan.
Das Büro als Lagefeuer
Jeder, der zuhause arbeitet, wird auch einmal in das Unternehmen kommen. Der Chef will es, man braucht direkte Kommunikation und vom heimischen Arbeitsplatz kann man auch keine Karriere machen. Büros nach Corona werden also Orte für das qualitative Zusammenkommen, für das eine persönliche Präsenz erforderlich ist. Ein kulturstiftendes Zusammensein, wenn es benötigt wird, das ist die Planungsaufgabe für das Büro von morgen. Die Leute werden bewusst zum Büro kommen so wie man sich um ein Lagerfeuer versammelt. Und damit wird der typische Büroarbeitsplatz – Tisch 1,60 Meter x 0,80 Meter mit Drehstuhl und Sideboard – endgültig zu den Dinosauriern gehören. Frischer Wind, der ein flexibles Kommen und Gehen ermöglicht und Infrastrukturen vorhält, die auf Interaktion und Kommunikation geeicht sind, werden Unternehmen nach Corona neue Erfolge sichern. Jetzt WorkPlace-Daten systematisch erfassen – Voraussetzung für die spätere Büroplanung Während wir alle von zuhause aus arbeiten, können wir uns die Wechselwirkung zwischen Mensch und Immobilie im Detail ansehen; entdecken, lernen und verstehen, was möglich ist. Dieses aktuelle, millionenfache Versuchslabor macht einen Neuanfang bei der Organisation von Büroarbeitsplätzen und Arbeitswelten möglich – und nötig.
Rezession befeuert Strukturwandel
Die Menschen erleben eine Unabhängigkeit vom Büro wie noch nie. Unternehmen sollten daher die Erfahrungen und die zugehörigen Daten jetzt systematisch erfassen – um mit ihnen die Zukunft zu gestalten. Im Strukturwandel hat der Zehn-Jahresmietvertrag ausgedient Die absehbare Rezession befeuert den Strukturwandel: Der klassische Zehn-Jahres-Mietvertrag für einen beheizten Rohbau – nur um Platz für sämtliche Mitarbeiter zu haben – wird nicht mehr der Standard sein. Unternehmen werden in neue Businessmodelle und Arbeitsmethoden investieren (müssen) und die teure „Immobilität“ auflösen. Das Ergebnis dieses Wandels entscheidet auch über das Überleben der Firmen. Denn durch den Corona-Stillstand stehen etliche Großunternehmen unter besonderem Kostendruck und müssen Ballast abwerfen – zum Beispiel in Form von nicht betriebsnotwendigen Immobilien. „Asset light“-Immobilienstrategien sind ab sofort keine Option mehr, sondern zwingend. Denn sie erhöhen das Finanzierungspotenzial für das Kerngeschäft und verringern Kapitalkosten. Schließlich sind die Miete oder andere Aufwendungen für die Immobilien nach den Personalkosten oft der zweitgrößte Ausgabeposten von Unternehmen. Ein „weiter so“ ist also für Mieter und Vermieter sowie Investoren völlig ausgeschlossen. Wer Bürokonzepte von gestern und heute anbietet, aber auch anmietet, dessen Marktanteile werden drastisch schrumpfen.
Ohnehin befindet sich unsere Arbeitswelt in einem radikalen Wandel – technologisch, sozial und ökonomisch. Die Nachfrage nach intelligenten Arbeitsplatzlösungen nimmt auch so beständig zu. Für 92 Prozent der produzierenden Unternehmen in Deutschland ist „Flexibilität“ die wichtigste Herausforderung bezogen auf die Immobilie, hat Prof. Dr. Andreas Pfnür herausgefunden, Leiter des Fachgebiets Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität Darmstadt. 50 Prozent aller Firmen planten schon vor Corona eine Neuentwicklung ihrer Flächen innerhalb der nächsten zehn Jahre, so Pfnür. Diese Zahl dürfte nach Corona weitaus höher liegen. Konzerne merken, wie gut Home Office funktionieren kann. Die Prozesse sind eingeschliffen und erprobt. Mitarbeiter sind daran gewöhnt. Also wird ein großer Teil der Unternehmen dabei bleiben und deutlich Flächen einsparen – nachdem erst einmal alle in die Büros zurückgeströmt sind und sich an Chefs und Kollegen erfreut haben. Unternehmen die jetzt handeln, können sich auf die Zeit nach Corona gut vorbereiten und mit diesem Initialfunken das Lagerfeuer entfachen.
Autor Sven Wingerter ist geschäftsführender Gesellschafter der 1999 gegründeten Eurocres Consulting GmbH, ein auf Work-Place-Management spezialisiertes Beratungsunternehmen. Der Dienstleistungsfokus liegt dabei in der wirtschaftlichen Optimierung von Büroimmobilien und Arbeitsprozessen für Nutzer, Entwickler, Vermieter und Investoren gleichermaßen. Eurocres begleitet Unternehmen bei der Transformation in digitale, agile, effiziente und gesunde Arbeitswelten und versteht sich auf diesem Gebiet als Innovationsführer.