Shanghai Corona Days::
Corona-Selbstcheck bis Pass verlängern: Apps können alles
Stefan Justl von Storymaker China hat 45 Tage Corona-Schockstarre in Shanghai hinter sich. In Teil 5 seiner Kolumne schreibt er, wie Apps den Alltag organisieren und durch die Corona-Zeit helfen.
Heute verabredete ich mich mal wieder mit Freunden zum Essen. Die meisten Restaurants sind offen. Mittlerweile gehe ich ganz selbstverständlich ohne Portemonnaie aus dem Haus. Seit Ausbruch des Virus habe ich nicht ein einziges Mal mehr mit Bargeld bezahlt, kleinste Cent-Beträge eingeschlossen. Mobile Payment ist auch eine Maßnahme zum Schutz, denn Münzen und Geldschreine transportieren das Virus.
In China gibt es 1,7 Milliarden Mobilfunkanschlüsse. Die großen digitalen Ökosysteme von Alibaba und Tencent nutzen Chinesen generationenübergreifend und landesweit und organisieren damit ihren Alltag. Sie chatten, bestellen, kaufen und verkaufen, flirten, informieren sich umfassend – auch über Covid-19. Die digitale Infrastruktur ist beeindruckend und erlebte durch Corona einen weiteren Push.
Niemand zahlt mit Bargeld
Wenn ich das Haus verlasse, bestelle ich über die Didi-App mein Taxi. Didi ist übrigens auch in WeChat als Miniprogram integriert. Der Screen meines Smartphones zeigt mir Taxen in der Umgebung an und trackt die Bewegungen. Ich gebe mein Ziel ein. Irgendwann wird mir ein Fahrer angezeigt, der mich dann an meinem Standort abholt. Ich kenne sein Autokennzeichen, er durch GPS-Tracking meinen Standort.
Bezahlen kann ich auch über die App. Beim Aussteigen wird die Fahrt von meinem Konto abgebucht. In einigen Restaurants bestellen wir bereits über QR-Code und digitale Speisekarten. Die sind aber noch die Ausnahme. Bezahlt wird grundsätzlich nicht mit Bargeld. Einer aus unserer Gruppe bezahlt die Bedienung per WeChat oder Alipay. Die anderen überweisen noch am Tisch den persönlichen Betrag per WeChat.
Nutzen first, Bedenken second
Die Digitalisierung war ein wichtiges Mittel, um zahlreiche Chinesen aus der Armut zu bringen. Auch der Teeanbauer im entlegensten Eck kann über Taobao, die E-Commerce-Plattform von Alibaba, seinen Tee im ganzen Land online verkaufen. Viele Behördengänge fallen weg; selbst den Reisepass kann man via App verlängern. Im Unterschied zu Deutschland gehen Chinesen mit neuen Technologien offen um. Sie fragen zuerst nach dem Nutzen und erst – wenn überhaupt – in zweiter Linie nach der Datensicherheit.
In der Krise zeigte sich die ganze Power dieser Plattformen. Alibaba investierte in eine Software, die teils automatisiert das Fiebermessen an den Sperrpunkten übernimmt und beschäftigt Mediziner, die man via App konsultieren kann; in Spitzenzeiten sollen sie bis 100.000 Chinesen am Tag beraten. Das medizinische Personal hat einen bevorzugten Kanal für medizinische Ausrüstungen und Hilfsgüter.
Alle Corona-Infos in einer App – inklusive Corona-Selbstcheck
Die Tencent Health-App hat sofort ihre Startseite voll auf Corona-Informationen umgestellt. Sie zeigt auf einer Karte die Zahl der positiv Getesteten in China, in dem eigenen Stadtviertel oder in der unmittelbaren Nähe bis hin zu Zugabteilen an, vor wie vielen Tagen sich eine infizierte Person hier aufgehalten hat oder wo es wie viele Masken zu kaufen gibt. Über eine persönliche Seite kann man täglich einen Corona-Selbstcheck durchführen und diesen in der Community teilen. KI-gestützte Chatbots geben Auskunft rund um das Virus und helfen bei der Analyse von Symptomen.
Über WeChat ist man nicht nur mit Freunden, sondern auch mit Geschäftspartnern verbunden. Sofern sie ihre Moments freigeben, kann man diese liken oder kommentieren, ähnlich wie bei Facebook. Oder sehen, ob sie gerade in der Nähe sind – an Tracking ist man gewöhnt. Chinesen lieben es, Erlebnisse mit ihrer Community zu teilen. Beim Besuch eines Museums, einer Ausstellung oder eines Konzerts macht man schöne Fotos und Videos und postet diese, um andere daran teilhaben zu lassen.
Nicht selten sieht man junge Leute im Restaurant zusammen am Tisch sitzen, die sich kaum miteinander, sondern mit ihrem Smartphone beschäftigen. Chinesen leben viel mehr als wir Deutschen im digitalen Raum, mit ihren digitalen Communities. Man macht digital, was geht – bis hin zur Berechnung, wie klimaschädlich man sich verhalten hat. Über das Thema Klima reden wir dann beim nächsten Mal. Bleibt gesund.
Stefan Justl verantwortet als General Manager das Geschäft von Storymaker in China. Die Kommunikationsagentur sitzt in Tübingen, München, Berlin, Beijing und Shanghai. Direkt vom Shanghai-Homeoffice aus berichtet er nun zweimal pro Woche auf wuv.de über die Auswirkungen von Corona in China, den Umgang mit der Krise und wie es dort jetzt weitergeht. Den Pilot der Miniserie "Arbeiten in Shanghai: 45 Tage Corona-Schockstarre" lesen Sie hier. Hier geht's zu den Beiträgen über Einkaufen, die Gesundheits-App , Schutzmasken und Homeschooling.