Ebenso wenig Beispiele wie #OpenYourWorld,  das als "Content Marketing-Geschichte des Jahres" gefeierte, soziale Experiment von Heineken. Womöglich ist es nur verdammt gutes Storytelling, bei dem die Marke nur eine winzige Nebenrolle spielt.

Babylonische Sprachverwirrung um Content Marketing

Oder nehmen wir den W&V-Beitrag von Matthias Wesselmann, Vorsitzender der Fokusgruppe Content Marketing im BVDW, übertitelt mit "Es herrschen chaotische Zustände im Content Marketing". Darin schreibt er:

"Content Marketing kennt inzwischen jeder. Kann auch beinahe jeder. Dieser Eindruck liegt zumindest nahe, wenn man einen Blick in die Fachpresse und die aktuellen Konferenzprogramme wirft. Aber: Was genau ist Content Marketing? Wofür ganz konkret werden aktuell 26 Prozent der gesamten Marketingbudgets ausgegeben? Ist Content Marketing das altbewährte Corporate Publishing in neuem Gewand, nur eben digital? Sind es Werbebotschaften, geschickt getarnt als redaktionelle Inhalte? Ist es die moderne Form von SEO? Ist Content Marketing Branding oder Performance Marketing? Sind Content Marketing faszinierende Geschichten oder gehört die Produktanzeige irgendwie auch dazu?"

Wer auch immer bis hierher glaubte, Content Marketing verstanden zu haben, dürfte nach diesem Beitrag endgültig verwirrt sein. Statt zu erklären, setzt der Verband ein gutes Dutzend Fragezeichen. Man erwähnt in einem Atemzug Corporate, Native, SEO, Branding, Performance, Storytelling und Anzeigen. Es hat was von babylonischer Sprachverwirrung.

Das Einzige, was bei mir hängenblieb, sind die 26 Prozent. Ein Viertel der Marketingbudgets werden für Content Marketing ausgegeben? Das ist, gelinde gesagt, purer Nonsens. So werden gestandene Marketingprofis Content Marketing niemals ernstnehmen. Und die CM-Protagonisten auf Agenturseite die unverzichtbaren Vorzüge von Content niemals erklärt und verkauft bekommen.

Unverzeihliche Stockfehler

Es ist überhaupt das wohl größte Manko der Onliner, die Content Marketing fälschlicherweise für sich alleine gepachtet haben: Vielen fehlt das grundsätzlichste Marketing-Einmaleins. Wer Märkte und Marketing nicht beherrscht, sollte von Marketinginstrumenten besser die Finger lassen. Sie entscheiden gerne erst über das Medium (natürlich Online!), bevor sie sich Gedanken über Zielgruppe und Inhalte machen. Das sind Stockfehler, die der Markt nicht entschuldigt. Entscheidet man nämlich richtigerweise zuerst über Zielgruppe und Inhalte, stellt man fest, dass verschiedenste Medien für die Ausspielung des Contents in Frage kommen. Manchmal sind es eben banale Papier-Broschüren.

Gleiches gilt für die berühmten "Personas", die eine der ganz großen Neuerungen sein sollen, mit denen Content punkten will. Die Personas stammen in Wirklichkeit aus den 70er Jahren. Diese "Lifestyle"-Typen waren eine Entwicklung von Leo Burnett, die damals versuchten, aus der Klammer demografisch definierter Zielgruppen zu entfliehen.

Kein Wunder also, dass Content Marketing niemand versteht. Dass Content nicht aus den Füßen kommt und einen der begehrten Plätze in der Prioritätenliste der Marketingentscheider erklimmt.

Content braucht Haltung

Content selbst fehlt es offensichtlich noch an Inhalt. Ebenso ist Haltung für das Betreiben von Content Marketing unerlässlich. Wenn das Unternehmen, seine Marke und ebenso die betreuende Agentur nicht beabsichtigen Haltung zu beweisen, also etwas Sinnstiftendes zu entwickeln, geht Content ins Auge. Dann ist es besser, sie bleiben auf der Ebene der guten, alten Werbung.

Hand aufs Herz. Würden Sie einen Content Marketing-Auftrag von Donald Trump annehmen? Von einer Administration, die Fakten nicht von Lügen unterscheiden mag? Die alle Wahrheiten verdreht, bis aus ihnen alternative Fakten werden? Das sind denkbar schlechte Voraussetzungen für erfolgreiches Content Marketing. Überlegen Sie also gut, bevor Sie den Auftrag annehmen. Das gilt im Augenblick, leider, auch für Unternehmen wie Volkswagen oder Audi.

Content ist eben keine Werbung, die übertreiben darf oder Zauberwelten erschafft, in denen es nur schöne, junge, glückliche Menschen gibt. Content gibt nicht "nativ" vor, Redaktion zu sein und entpuppt sich dann als banale Werbung. Das ist der Clickbait-Müll, den wir auf der Werbe-Halde auftürmen. Das ist reinster Content-Müll.

Noch einmal: Content ist größer. Next level. Content sind stimmige Inhalte und ehrliche Kommunikation. Content hat Inhalte, die auch kritischen Fragen standhalten. Content besitzt Haltung. Dann, aber auch nur dann, kann Content zur Königsdisziplin aufsteigen.

Die Unentbehrlichkeit des Seins

In der Unentbehrlichkeit liegt die wahre Abgrenzung zur Werbung. Content ist nicht nur relevant (das muss Werbung auch sein), sondern für die Zielgruppe bisweilen unentbehrlich. Dieser Gedanke, dieses Wort alleine hilft, Spreu von Weizen zu trennen.

Das Thema ist komplex. Versuchen wir es daher mit einem Bild: Einem Bild unseres Sonnensystems. Content ist die Sonne, um die alles kreist. Ihr Inhalt ist der Grundbaustein für das Entstehen von Leben - und von Kommunikation. Erst nach und nach entstehen die Planeten.

Die Content-Sonne ernährt mit ihrer Wärme (Inhalte) und Anziehungskraft das gesamte System an Kommunikationsmöglichkeiten und -formen. Die Planeten stehen für die Auslieferung und Ausführung der Inhalte: Für Werbung (die Erde), für Promotions (der aggressive Mars), CRM (die liebliche Venus), Search (der riesige Jupiter), Big Data (der beringte Saturn), für Native (der windige Uranus) und vielleicht sogar für Influencer (der gasige Neptun). Sie alle sind die Planeten, die das Sonnensystem erst zu einem System machen.

Mit diesem Bild und Verständnis könnte Content zur Königsdisziplin der Kommunikation werden. Zum Lead-Generator und zentralen Lenker der Botschaften. Ohne dieses Verständnis bleibt Content nicht mehr als ein Spielball für Buzzword-Hörige. Ein riesengroßes Missverständnis.


Thomas Koch  Foto: Clap Bruchhaus&Ingenweyen
Autor: Thomas Koch

Eine Ikone der Branche. Der Agenturgründer und frühere Starcom-Manager kennt in der Media-Branche alles und jeden. Thomas Koch ist Mr. Media.