Mit anderen Worten, sie dürfen jetzt ausschließlich das tun, woran Sie Spaß haben.

Genauso ist es, schön oder?

Sie können sich beispielsweise mit Design und Bauhaus beschäftigen – in dieser Woche wird das 100-jährige Jubiläum gefeiert. Sie betonen oft, dass es Design-Agenturen ohne Bauhaus-Prinzipien gar nicht geben kann. Woher kommt bei Ihnen die enge Verbindung?

Ich darf sagen, dass ich ein Bauhaus-Fan bin, seit ich 18 Jahre alt war. Das liegt daran, dass ich in Chicago groß geworden bin und mich das dortige Design-Institut "The New Bauhaus" früh geprägt hat. Am Illinois Institute of Technology, zu der das Design-Institut gehört, hat später auch mein Bruder und RGA-Partner Richard gelehrt. Einen Teil des Campus durfte ich sogar selbst gestalten. 
(Anmerkung: The New Bauhaus wurde 1937 als Design-Schule von László Moholy-Nagy, einem Weggefährten von Walter Gropius aufgebaut. Gropius selbst war aus politischen Gründen aus Deutschland ausgewandert und nach Harvard gegangen. Bauhaus-Architekt Mies van der Rohe war ab 1938 Direktor der Architekturfakultät des IIT.) 

Aber warum kommt laut ihren Worten keine Agentur ohne Bauhaus-Prinzipien aus?

Der wichtigste Bauhaus-Gedanke ist offensichtlich: "weniger ist mehr". Das trifft zweifelsohne auf Werbung zu. Egal in welchem Medium, es geht immer um eine Reduktion, um eine Essenz der Produktaussagen. Die zweite Bauhaus-These, die für R/GA eine zentrale Rolle spielt: "Das Gesamte ist größer als die Summe der einzelnen Bestandteile."

Das erklärt im Wesentlichen, warum wir von Anfang an auf ein kollaboratives Organisationsmodell gesetzt haben. Wir starteten ursprünglich als Computer-Graphics-Firma im Film-Geschäft, dort wird seit jeher eng vernetzt zusammengearbeitet. Erst 1993 hatten wir beschlossen, mit R/GA ins Agenturgeschäft einzusteigen. Seinerzeit war uns bewusst, dass sich dank Technik und dem jungen Internet vieles in der Kommunikation verändern wird – und vor allem in der Werbung.

Inzwischen bauen auch große Networks auf kollaborative Organisationsformen. Ehrt sie das?  

Unser Kollaborationsmodell unterscheidet sich grundlegend von den Strukturen in anderen Agenturen und vor allem in Network-Agenturen. Historisch bedingt konkurrieren dort die einzelnen Units oder Offices untereinander. Das liegt schlicht am Business, denn ein Kundenbriefing für einen Spot lässt sich auch sehr simpel innerhalb von Agenturen oder Networks pitchen.

Wir wollen jedoch intern nicht konkurrieren. Es geht nur gemeinsam, dafür haben wir sehr früh unser R/GA-OS entwickelt. Dahinter steckt wie im PC ein Operating-System, das die Ressourcen innerhalb unserer 80 Büros managed, Kapazitätsspitzen ausgleicht, für unterschiedliche Blickwinkel durch verschiedene Mitarbeiter sorgt und auch einen 24/7-Service sicherstellt.

Innerhalb der Agentur gibt es also keinen Wettbewerb?

Zunächst, wir unterstützen keine andere Organisationsform als Kollaboration. Jemand, der sich mit dem Gedanken nicht anfreunden will, wäre vermutlich nicht lange bei uns. Aber natürlich haben wir auch ein System, das die Arbeit aller an einem Projekt bewertet und honoriert. Nur die Ergebnisse fließen bei uns am Ende in eine gemeinsame Bilanz – etwas, das wir schon vor über 20 Jahren eingeführt haben.

Aber wer weiß, wer mit wem arbeiten soll? R/GA hat mehr als 2000 Mitarbeiter.

Organisiert werden die Teams über eine Software, die Portfolio heißt. Jeder Mitarbeiter stellt quasi sein Portfolio ins System. So weiß jeder Verantwortliche weltweit, was jeder einzelne Mitarbeiter kann und was er für Erfahrungen mitbringt. Und so können für jedes Projekt globale Teams zusammengestellt werden.

Inzwischen ziehen Networks technisch nach, weil sie mit holistischen, ganzheitlichen oder 360-Grad-Ansätzen punkten wollen. 

Im vergangenen Jahr hat Publicis sogar mit Marcel ein durchaus vergleichbares System gelauncht. Das ist doch letztlich ein Beweis dafür, dass wir richtig lagen. Es ist nicht einfach, eine solche Software zu schreiben. Nur es ist viel schwieriger, die Menschen dazu zu bringen, wirklich kollaborativ zu arbeiten und zu denken.

Wenn Sie wollen, gibt es auch hier ein Konzept, das Bauhaus-Gedanken aufgreift: "Jedes Teil muss die anderen stützen". Richard Buckminster Fullers hat daraus die geodätischen Kuppeln entwickelt. (Die Dreieckskonstruktion wurde als die Fuller-Kuppel „Biosphère“ auf der Expo 67 in Montreal als Pavillon der USA berühmt.) Aber vielleicht ist es auch ganz simpel: Wir können uns für R/GA schlicht nicht vorstellen, dass etwas anderes, als das kollaborative Modell funktionieren würde.

Die Technik hat ganz offensichtlich R/GA geprägt. Aber verändert sie auch Design, nachdem für alles inzwischen Daten herangezogen werden?

Technik verändert keine Designgrundlagen. Egal ob es um AR, VR, AI oder eine andere Technologie geht. Aber eines verändert sich durchaus: Sie arbeiten nicht mehr aus einer Intuition heraus, sondern ganz konkret auf Basis von Daten. Und das ist für alle Beteiligten sicher zielgerichteter.

Aber was herauskommt, sieht man bei großen Sites. Etwa Amazon und Facebook. Wenn lediglich Daten und A/B-Testings Design bestimmen, kommt etwas wenig Ansprechendes heraus.

Absolut korrekt. Aber es gibt durchaus auch einen anderen Trend zu all dem mittelmäßigen Design, das rein auf der Optimierung durch Daten basiert. Das liegt nicht zuletzt am mobilen Web. Es wird vieles auf Apps und kleine Screens hin sehr reduziert gestaltet. Ich bin optimistisch, gutes Design wird sicher wieder ein Unterscheidungsmerkmal und ein USP.

Aber sie dürfen nicht vergessen, dass die erfolgreichsten Websites so erfolgreich sind, weil sie eine gute User-Experience liefern, also nicht weil sie optisch hübsch sind, sondern weil sie funktionieren.

Das gilt nicht für die Objekte von Dieter Rams, die Sie für die Cooper Hewitt Sammlung zusammengestellt haben. Sie sind schön und funktional.

Es geht dabei aber auch um Technik. Jeder Designer kennt Dieter Rams. Aber es ist faszinierend, in welch engem Zusammenhang seine Produkte zu beispielsweise den Apple-Produkten von Steve Jobs und Jonathan Ive stehen. Beide sagen selbst, dass sie von Rams und seinen zehn Thesen für gutes Design vermutlich am meisten beeinflusst wurden. Also habe ich Objekte von Rams um andere Objekte herum kuratiert, die von Technik und Kommunikation beeinflusst wurden.
(Die Ausstellung Bob Greenbergs Selects war vergangenes Jahr im Smithsonian Design Museum in New York zu sehen.) 

Ich selbst habe irgendwann angefangen, konkret Rams' Produkte zu sammeln – auch wenn es damals seltsam war. Jemand, der eine Kaffeemaschine, einen Toaster oder einen Taschenrechner sammelt? Aber wenn ich zurückdenke war es ein solcher Taschenrechner, der mich in die Lage versetzt hat, ein multimillionenschweres Unternehmen wie R/GA zu steuern - und die wie gesagt ungeliebte Buchhaltung zu machen.

Ich hatte zwar schon früh Computer - vermutlich auch jeden Grafik-Computer den es gab, bevor PCs und Macs übernommen haben. Aber die schlichte Schönheit dieses Braun-Taschenrechners ET 55 hat seinerzeit wirklich einen Unterschied ausgemacht.

Der Braun ET 55 aus Bob Greenbergs Select im Cooper-Hewitt Smithsonian Design Museum

Der Braun ET 55 aus Bob Greenbergs Select im Cooper-Hewitt Smithsonian Design Museum


Autor: Leif Pellikan

ist Redakteur beim Kontakter und bei W&V. Er hat sich den Ruf des Lötkolbens erworben - wenn es technisch oder neudeutsch programmatisch wird, kennt er die Antworten. Wenn nicht, fragt er in Interviews bei Leuten wie Larry Page, Sergey Brin oder Yannick Bolloré nach.