Jochen Schlosser:
Big Data für Anfänger: Wenn Xing mir einen Job vorschlägt
Hat Ihnen heute auch schon jemand erzählt, wie wichtig Big Data ist und dass es alles verändern wird? W&V-Kolumnist Jochen Schlosser kennt sich im Gegensatz zu vielen selbsternannten Datenaposteln aus - und wundert sich, wie wenig aus dem Thema wirklich gemacht wird. Beispiel: das heitere Beruferaten bei Xing.
Überall schallt es uns entgegen: Wir sind im Zeitalter von Big Data, Smart Data, die Filterbubble schlägt zu und das Internet of Everything steht direkt vor der Tür. Aber ist irgendjemand in dieser neuen Welt überhaupt schon angekommen? Die Antwort: Nicht wirklich.
Selbst die Digital Natives unter den Unternehmen tun sich schwer mit dem Thema "Data", den entsprechenden Insights und erst recht den passenden Maßnahmen. Egal ob es Zielgruppenzugehörigkeit, die berühmte "Next Best Action" im Online-Shop oder um etwas vermeintlich Triviales wie ein passendes Jobangebot geht.
Stellen sie sich vor, Sie sind ein führendes Business-Netzwerk und haben Daten en masse, über Bildung, den beruflichen Werdegang und die aktuelle Position ihrer User. Wer, wenn nicht Xing, sollte mir bei der Frage nach dem nächsten Job professionelle Empfehlungen erteilen können? Dem Netzwerk liegen immerhin acht Millionen Nutzerprofile, inklusive der entsprechenden Lebensläufe aus dem deutschsprachigen Raum vor. Das gilt auch für mich: Meine Ausbildungsstationen, mein Alter, mein beruflicher Werdegang, mein berufliches Netzwerk, meine Aktivitäten und Interessen sind sichtbar. Ergo: Es ist einfach alles da, was man sich für eine Job-Vorhersage und passende Stellenangebote wünschen kann. Es ist ein Eldorado an Daten. Das Matchmaking kann beginnen!
Jeden Montag um ca. ein Uhr in der Nacht ist es wieder soweit, der Xing-Newsletter trudelt in meine Inbox und wartet auf Öffnung. Das Datenorakel hält neue Optionen bereit. Aber passend für mich als Director Data und IT? Nur wenn ich beim nächsten Job gleich über einen kompletten Branchenwechsel nachdenken würde und meine bisherigen Erfahrungen ad acta legen will. Denn Xing empfahl mir skurrilerweise in den letzten Monaten zum Beispiel solche Positionen: Abteilungsleiter Bahnelektrifzierung und Krankenhausdirektor.
Diese Ergebnisse sind vermutlich eher auf meine Wünsche aus dem Jahr 1990 abgestimmt. Als 12-jähriger Junge waren Berufe rund um Krankenhäuser oder Eisenbahnen sicherlich äußerst reizvoll und coole Jobs im und rund um das Internet noch absolute Mangelware. Dennoch befremdlich, wenn man sich meinen Werdegang anschaut. Amüsant fand ich auch den Vorschlag für einen Job als führungserfahrener Quereinsteiger (m/w) zum Aufbau eines Seniorenbetreuungsstandortes. Zwar ist mir Sicherheit durchaus wichtig und auch ich versuche, die Versorgungslücke zu schließen. Auf die Idee, in diesem Kontext eine Seniorenresidenz aufzubauen, bin ich dabei noch nicht gekommen.
Bei der jüngsten Empfehlung fehlten dann selbst mir die Worte. Über die Position als Leiter Betrieb Waffen-, Einsatzmittel-, Kriminal- und Umweltschutztechnikwerkstätten nachzudenken, ist nun wirklich völlig abwegig. Mir drängt sich langsam der Verdacht auf, dass ich nach dem Algorithmus von Xing vermutlich sogar Papst werden könnte. Habemus papam, "driven-by-data"!
Auch wenn der Newsletter mir und bestimmt einigen anderen Nutzern regelmäßig einen amüsanten Start in die Woche beschert, habe ich eine Bitte an Xing. Solange solche absurden Jobangebote ausgespuckt werden – und in meinem Bekanntenkreis werden ganz ähnliche Erfahrungen gemacht -, sollte man diese Empfehlungen aus dem Newsletter besser entfernen, auch aus Eigeninteresse. Ich bezweifle, dass diese Angebote eine wirklich nachhaltige Werbung für die Job-Plattform sind.
Meine Empfehlung: Bitte nachbessern und zwar massiv. Es muss ja nicht gleich der Einsatz von "Künstlicher Intelligenz" sein. Es geht doch viel einfacher. Häufig mangelt es bereits an der Datenqualität und dem zu Grunde liegenden Datenmodell: Kategorien von Jobs und Industrien, sowie unterschiedliche Senioritätsstufen basierend auf Verantwortung, Unternehmensgrößen und Zeitverläufen, gemixt mit typischen Karrierepfaden und sauber gepflegten Hierarchien sind die Basis. Auf dieser können dann neue Bewertungsfunktionen generiert oder (maschinell) gelernt werden. Diese Maßnahmen und größere Mengen von Stellenausschreibungen sollten bereits zu deutlich besseren, weil relevanteren Ergebnissen führen. Wenn Xing jedoch weiter macht wie bisher, muss man auch deutlich sagen: Manchmal ist keine Empfehlung besser als irgendeine.
Jochen Schlosser ist promovierter Informatiker und Director Data & IT der Agentur Uniquedigital in Hamburg, einem Unternehmen der Syzygy-Gruppe. Für W&V Online schreibt er über Big Data und das, was viele Marketer nicht daraus machen.