Stefan Körner:
Bayerns Piratenchef und der Fall Julia Schramm: "Dieser Widerspruch schmerzt uns sehr"
Die Hoffnung hatten wir fast aufgegeben. Nun geht doch ein hochranginger Pirat auf unsere Fragen ein und gibt Antworten, die nicht nur aus Programmzitaten bestehen. Bayerns Chefpirat Stefan Körner über den Fall Julia Schramm und seine Bedeutung für die Kreativwirtschaft.
Mehrfach haben wir in der vergangenen Woche bei den Piraten wegen der Debatte um Julia Schramm angefragt. Vergeblich - denn statt klarer Antworten gab es Auszüge aus dem Parteiprogramm und den Hinweis auf zahlreiche Links. Weil aus der Partei niemand konkret auf unsere Fragen eingehen wollte, gaben wir sie vor einigen Tagen an die Leser weiter. Nun hat sich der Pirat Stefan Körner, Vorsitzender des Bayerischen Landesverbands, doch noch ausführlich bei uns gemeldet. Hier ist seine Meinung:
Zunächst vier Kernsätze zu den Piratenpositionen:
- Ja zur privaten Kopie und der Freiheit von Werken
- Nein zu illegalen gewerblichen Kopien
- Ja zu neuen Geschäftsmodellen künstlerischer Selbstbestimmung
- Nein zu rücksichtsloser Durchsetzung von Verwerterinteressen
Nun zu den Fragen im Einzelnen:
1. Ist es für Piraten legitim, ein gerade veröffentlichtes Buch zu kopieren und kostenlos zum Download anzubieten?
Das Urheberrechtsgesetz ist hier eindeutig: Es ist nicht legal. Die Piratenpartei vertritt den Standpunkt, dass dieser Punkt (nichtkommerzielle, private Kopie und Weitergabe) geändert werden muss, zur Missachtung von bestehenden Gesetzen fordert sie explizit nicht auf.
2. Wenn es aus Sicht der Piraten legitim ist, warum geht Julia Schramm dagegen vor?
Nicht Julia geht dagegen vor, sondern der veröffentlichende Verlag. Im Übrigen ist allen Beteiligten klar, dass jeder, der möchte, das Buch nach kurzer Suche kostenlos aus dem Internet herunterladen kann, auch wenn das rechtlich nicht einwandfrei ist. Dass die vor Buchveröffentlichung häufig zugespitzten Äußerungen von Julia Schramm zum Urheberrecht und das Vorgehen ihres Verlages im Widerspruch stehen, lässt sich nicht bestreiten.
3. es aus Sicht der Piraten nicht legitim ist, wo ist dann das Problem?
Das Problem ist, dass Bürger durch die heutige Gesetzeslage kriminalisiert werden, nur weil sie eine der ältesten und wichtigsten Kulturtechniken anwenden: Das Kopieren. Eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Verwertung von geistiger Leistung ist vielfach behauptet, aber bis heute nicht nachgewiesen. Wir Piraten streben eine Reform des Urheberrechts an, die unter anderem die Möglichkeit kostenloser Privatkopien vorsieht. Schon bei der Musikkassette wurde der Untergang der Musikindustrie heraufbeschworen, gleiches geschah bei digital gespeicherter Musik. Die Position der Piraten hierzu war von Anfang an, dass eine Liberalisierung bei gleichzeitiger (!) Schaffung entsprechender Onlineangebote im Gegenteil zu einer Stärkung des Musikmarktes führen würde. Genau diese Tendenz zeigt sich seit Jahren bei Musikportalen, die entgeltlich Musik zum Herunterladen anbieten, obwohl ein Großteil der dort angebotenen Werke auch kostenlos heruntergeladen werden kann. Der noch vor zehn Jahren beschworene Untergang der Musikindustrie durch illegale Raubkopien ist ausgeblieben, im Gegenteil wird von der Musikindustrie selbst nach einer Konsolidierungsphase kontinuierliches Wachstum erwartet, vgl. http://www.musikindustrie.de/aktuell_einzel/back/84/news/umsatz-mit-musik-streaming-im-ersten-halbjahr-2012-um-mehr-als-40-prozent-gestiegen/ und http://www.musikindustrie.de/aktuell_einzel/back/84/news/studie-trendwende-im-deutschen-musikmarkt-in-sicht/ Damit hat die Musikindustrie eine Entwicklung umgesetzt, vor der die Buchverlage noch stehen. Diese Entwicklung bestätigt, dass wir Piraten mit unserer Position richtig liegen.
Das Problem der jetzigen Diskussion ist, dass Julia Schramm bei ihrem Verlag weder auf die Übernahme funktionierender Beispiele aus der Musikindustrie bei ihrem Verlag gedrungen hat und der Verlag (aus dessen Sicht legitim) indirekt auch Julias Rechte nach den alten Strukturen geltend macht, die die Piraten überwinden wollen. Gleichzeitig hat sich Julia Schramm als Politikerin im Sinne der Piraten gerade mit unserem Kernthema Urheberrecht positioniert. Dieser Widerspruch schmerzt uns sehr.
4. Wenn die nichtkommerzielle Nutzung von Daten unmittelbar nach dem Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung - wie es die Piraten fordern - erlaubt ist, wie viel ist dann das Urheberrecht überhaupt noch wert?
Das Urheberrecht ist für eine lebendige Wissens- und Kulturgesellschaft sehr wichtig, eine Entwertung durch nichtkommerzielle Nutzung durch privat (s.o.) findet nach Auffassung der Piratenpartei entweder nicht statt oder wird durch erhöhte Wertschöpfung an anderer Stelle mehr als ausgeglichen. Das Urheberrechtsgesetz schützt u.a. die Verwertungsinteressen der Urheber, auch wenn dieser Schutz durch die zurückliegenden "Novellierungen" des UrhG aufgeweicht wurde. Ebenso wenig wie die anfangs heftig diskutierte Privatkopie Umsatzeinbrüche für die Vermarktung von Werken nach sich zog, verursacht die freie Kopie Schaden, sondern hilft vielmehr den Konsumenten dabei, in einem gestiegenen Angebot der Werke jene ausfindig zu machen, die er honorieren möchte. Die analoge Welt liefert zahlreiche Beispiele für das harmonische Nebeneinander von privater und kommerzieller Kopie: Die Compactcassette hat die Musik nicht zerstört, sondern belebt, der Videorekorder hat die Filmindustrie nicht vernichtet, sondern gerettet, Fernsehen hat das Kino nicht abgelöst, sondern dient als Werbeträger und Zweitverwertungsplattform (etc). Dasselbe gilt für alle Formen von digitaler Vervielfältigung (privates CD-Brennen, Tauschbörden), ungeachtet der Behauptungen von Seiten mehrfach wegen Kartellbildung verurteilter Konzerne. Zu den Details verweisen wir auf den Gesetzentwurf der NRW-Piraten http://www.piratenpartei-nrw.de/wp-content/uploads/2012/09/Urheberrechtsgesetz-Release-013-Final-Logo-sw.pdf.