Der Bärenmarke-Bär dagegen verkörpert ungebrochene Tradition. Er hat nicht allzu oft den Besitzer gewechselt. Nach einer langen Zeit bei Nestlé steht er nun im Dienst der Hochwald-Tochter Allgäuer Alpenmilch GmbH. Noch heute befindet sich deren wichtigste Produktionsstätte in Bayern. 2003 erwarb die Hochwald-Unternehmensgruppe aus Thalfang die Marke. Ähnlich wie der Bär erlebte die bäuerliche Genossenschaft aus dem Hunsrück eine erstaunliche Karriere. Heute gehören die Trierer, die zusätzlich mit dem Kauf von Glücksklee und Lünebest vehement ins Markengeschäft einstiegen, zu den größten Playern im deutschen Milchmarkt. Im Geschäftsjahr 2011 verarbeitete das mittlerweile 1600 Mitarbeiter starke Unternehmen zwei Milliarden Kilogramm Milch und erzielte einen Gesamtumsatz von 1,2 Milliarden Euro. Ein Drittel des Umsatzes wird heute schon im Ausland erwirtschaftet, der Export ist ein wichtiges Standbein. Nord- und Westafrika gewinnen ebenso wie der arabische Raum zunehmend an Bedeutung. Der vielbeschworene chinesische Milchdurst trägt immer mehr zum Umsatz bei.

Im Dunstkreis der Milch geht es nicht überall so harmonisch wie in der Bärenmarke-Idylle zu. Manche, nämlich die Erzeuger, macht das Thema Milch aggressiv. Erst Ende November haben europäische Milchbauern in Brüssel gegen die in ihren Augen zu niedrigen Preise gewütet. Sie setzten ihre Anhänger mit Heu in Brand und versprühten 15.000 Liter Frischmilch auf Polizisten und in Richtung Europaparlament, um den „Brand auf dem Milchmarkt“ zu löschen. Nach den Krisenjahren 2008/09 hat sich die Situation zwar etwas entspannt. Dennoch klagen die Betriebe, dass sie ihre Kosten nicht decken können. Dazu tragen die extrem gestiegenen Futterkosten und die in Deutschland vergleichsweise niedrigen Milchpreise bei.

In die heile Bärenwelt passen diese Streitigkeiten nicht. Jürgen Dittrich, Marketingleiter der Allgäuer Alpenmilch, hat sich noch nie mit der Frage beschäftigt, ob wütende Milchbauern negativ auf das Image von Bärenmarke abstrahlen, sagt er. Auch die Diskussion, ob man Milch, ähnlich wie inzwischen Mineralwasser, als Premiumprodukt positionieren sollte, ist nicht seine. Der Vergleich zum Schweizer Milchmischgetränk Rivella etwa, das in Deutschland mit Hilfe von TV-Spots und Markenbotschafter Michael Mittermeier einen Siegeszug angetreten hat, liegt ihm fern. „Bärenmarke ist kein Szene-Gastrogetränk“, insistiert der Marketingmann. Er setzt lieber auf den ungebrochenen Kultstatus seiner Marke. Und auf das ehrliche und einfache Image.

Das brannte sich mit dem Bären als Hauptperson ab den 1960ern ins kollektive Fernsehgedächtnis ein. Schon 1957 gab es erste Kinospots.

1967 startete Bärenmarke im Fernsehen.

Bis heute entstanden fast 100 Werbefilme. Denn traditionell dominiert bei der Milchwirtschaft die TV-Werbung. Derzeit bleibt für das Tier bei Bärenmarke eher eine Statistenrolle. „Der Bär hat immer verschiedene Rollen eingenommen“, sagt Dittrich, „mal war er sehr dominant, dann wieder eher im Hintergrund.“ Im jüngsten Schneekugel-Spot  stehen die Produkte im Mittelpunkt.

Beim Publikum stößt das auf geteiltes Echo, wie die Einträge bei wuv.de zeigen. „Ganz furchtbar schrecklich langweiliger Spot“, motzt dort ein Kommentator. Das wird die Hamburger Werbeagentur Newport3, die zur Zeit alle klassischen Maßnahmen außer dem Internet betreut, weniger freuen. Vielleicht tut es dem Key Visual nicht gut, dass Hochwald nur auf Projektbasis mit Agenturen arbeitet. Im direkten Vergleich: Anlässlich des 40. Geburtstags der lila Milka-Kuh 2011 ist Crispin Porter + Bogusky zum Claim „Trau dich zart zu sein“ ein pointenreiches Filmchen eingefallen. Ein bisschen mehr Witz könnten die aktuellen Bärenmarke-Spots auch vertragen. Crispin Porter + Bogusky erzählt eine Geschichte, Newport3 inszeniert nur den Abverkauf.

Hochwald befindet sich auf dem steinigen Weg zu einem neuen Markenverständnis. Ist hin- und hergerissen zwischen Tradition und Moderne. Denn die herkömmliche Zielgruppe von Bärenmarke, die Kondensmilchtrinker, ist überaltert. „Wir haben zwar einen stabilen Anteil, aber dieser Markt ist seit langem rückläufig“, erklärt Dittrich, „die jüngere Generation trinkt mehr Kaffeespezialitäten.“ Um die Marke zum Wachstum zu führen, müsse man zunehmend auf Frischmilch setzen, sagt der Marketingmann. Dabei lassen die Milch-Hersteller noch nicht einmal Produktneuheiten wie Schaum aus der Sprühdose aus, um die Generation Starbucks zu begeistern.

Der Bär ist eines der frühesten TV-Testimonials. Andere Wirtschaftswunder-Klassiker aus den 70ern, wie das HB-Männchen Bruno, sind inzwischen ein Fall fürs Museum. Heute ist ein cholerischer Raucher aus vielerlei Gründen nicht mehr vermittelbar. Der Bär blieb. Dieses Jahr erreichte er ein selbst für Bären wahrhaft biblisches Alter. Die berühmte Dose mit dem blau-roten Logo wurde 100 Jahre alt. Das war dem Heidelberger Verpackungsmuseum sogar eine eigene Ausstellung wert.

Erfunden hatten die konservierte Milch eigentlich schon 1892 zwei Schweizer, die sich bei ihrem Signet vom Wappen des Kantons Bern inspirieren ließen. Im Oktober 1912 startete in Biessenhofen (Allgäu) die Produktion der ersten ungezuckerten Kondensmilch mit einem Fettgehalt von zehn Prozent.

Die kommenden politisch bewegten Jahrzehnte hielten auch ein Auf und Ab für die Bärenmarke bereit. Während der Inflation,1923, kostete in Köln die teuerste Dose Bärenmarke Kondensmilch 35 Billionen Reichsmark. Schon in den 1930er Jahren war der Milchmarkt nichts für schwache Nerven: Billigere ausländische Wettbewerber machten dem Hersteller das Leben schwer. Der positionierte seine Milch daraufhin als einheimisches Qualitätsprodukt und unterstrich die Herkunft aus den Alpen. Bergwelt und Stadt waren schon damals ein beliebter Kontrast.

Die Produktion musste in den 1940ern vorübergehend eingestellt werden. Durch die Kriegsjahre gab es nicht mehr genügend Fett für die Herstellung. Erst 1949 konnten deutsche Kunden wieder Bärenmarke kaufen. In den 1950ern erholte sich die Marke zusehends. Das bis heute bekannte Teddybären-Logo entstand. Im Auftrag der Marke waren eigene Werbewagen unterwegs. Eine Abteilung mit Dekorateuren kümmerte sich um die Schaufenster der Milchgeschäfte und stattete sie mit Plakaten aus.

1970 kam Bärenmarke zu Nestlé. Zu der Dosenverpackung gesellten sich Kännchen, Glas- und Plastikflaschen sowie Portionspackungen. Schließlich bekam die Marke Frischmilchprodukte und ab Ende der 90er eine Bio-Variante. Dann änderten die Schweizer ihr Markenportfolio und verkauften.
Ihr knuffiges Tier, das in Anfangszeiten lediglich mit Milchkanne durch Gebirgslandschaften schlenderte, muss heute selbst als Merchandising-Objekt dienen. Sogar Strampler ziert der Bär. Kein Wunder, dass der pelzige Vermarktungskünstler schon lange als Projektionsfläche von Satirikern herhalten muss. In „Otto – der Liebesfilm“ liefern sich der Bär und der Komiker ein handfestes Gerangel.

Ebenso polarisiert der gesungene Slogan „Nichts geht über Bärenmarke“. Die einen lieben den eingängigen Jingle, die anderen finden ihn nervtötend. Jürgen Dittrich kennt nur die Fans: „Bei ihnen leuchten die Augen.“ Sie können sich die Werbemelodie sogar als Klingelton fürs Handy herunterladen. Seit 2001 ist die zweite Hälfte des Slogans verändert: Statt „Bärenmarke zum Kaffee“ heißt es jetzt: „Bärenmarke Qualität“. Denn die ein bis zwei Produkte aus der Anfangszeit haben sich inzwischen auf ein Sortiment von über 30 Artikeln ausgeweitet. „Andere wechseln alle zwei Jahre ihren Claim“, sagt Dittrich. Die Bärenmarke, und darauf ist er stolz, bleibt selbst in der Melodie wiedererkennbar.