PR-Berater:
Aus dem Leben eines Taugenichts 2: Die Schnapsidee von den Ostpaketen
Die Berater-Branche hat nicht unbedingt den besten Ruf. Manchmal scheint, was schließlich Erfolg bringt, am Anfang wie eine verrückte Schnapsidee. Hasso Mansfeld berichtet zum zweiten Mal "Aus dem Leben eines Taugenichts".
Die Berater-Branche hat nicht unbedingt den besten Ruf. Manchmal scheint, was schließlich Erfolg bringt am Anfang wie eine verrückte Schnapsidee. Hasso Mansfeld* berichtet zum zweiten Mal "Aus dem Leben eines Taugenichts". Hier geht es zum ersten Teil.
Grundgütiger, was ist dieser Mansfeld wieder für ein Taugenichts! Mein erstes Pressegespräch als Marketingassistent, Anfang der Neunziger, lief richtig schlecht. Meine Vorgesetzten schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Worum ging's? Wir hatten den Plan erarbeitet, Nischenprodukte aus ökologischem Anbau breiter im Einzelhandel zu vertreiben und damit in den Massenmarkt zu drängen. Weg vom reinen alternativen, antikapitalistischen Image hin zu einem vollwertigen positiv besetzten Produkt. Dagegen gab es Widerstände, am massivsten aus der Ökoszene.
Der Start verlief dann auch entsprechend holprig. Und unser Taugenichts? Der plauderte das – als wäre es nicht schon schlimm genug – leutselig gegenüber einem freundlichen Pressevertreter aus. Die, die mir damals etwas zu sagen hatten, grollten über mein "zu viel" an Offenherzigkeit.
So viel vorweg. Derartige Erfahrungen prägen uns, und wie wir damit umgehen, erzählt viel über uns selbst. Ein paar Jahre später nahm der Taugenichts dann als stellvertretender Geschäftsführer der Agrar-Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt (AMG) sein nächstes großes Projekt in Angriff. Die Wiedervereinigung war noch frisch in den Köpfen und mich hatte es in den Osten der Republik verschlagen. Die Nachwehen der deutschen Wiedervereinigung prägten noch die Befindlichkeiten des bundesrepublikanischen Alltags. Das kunterbunte Füllhorn kapitalistischer Produktsegnungen des Westens sorgte damals dafür, das Ostprodukte einen schlechten Stand auf dem Markt hatten: Während die großen westlichen Handels- und Konsumgüterunternehmen zielstrebig und in Richtung Osten expandierten, schien dem Osten der Weg in den Westen vorerst verstellt. Besonders die mittelständisch geprägte Lebensmittelindustrie der neuen Bundesländer sah ihre Situation als hoffnungslos. Das wollten wir ändern.
Im wilden Osten
Doch leider kommunizierte der Osten diese Hoffnungslosigkeit auch. Die eigene Kommunikation wirkte oft wie ein kaum verhohlenes Jammern und sich Beschweren. In Kombination mit der Tatsache, dass der westliche Einzelhandel und Konsumenten die Ostprodukte in erster Linie mit der DDR und dem untergegangenen Sozialismus verbanden, war das eine geradezu toxische Mischung. Manche suchten über die Preise zu konkurrieren und stellten sich selbst so erst recht ins Abseits. Dabei hätte der Osten gute Gründe gehabt, mit breiter Brust aufzutreten, viele Ostprodukte waren sozusagen das Original, jeweils das erste ihrer Art auf deutschem Boden. Etwa die erste deutsche Dosenwurst aus Halberstadt oder das Knäckebrot aus Burg. Nicht zu vergessen: Auch der Freyburger Rotkäppchensekt, der – wie jeder weiß – heute wieder zum deutschen Marktführer emporgeperlt ist. Feine Marken, die alle ihren Ursprung lange vor der Gründung der DDR haben. Klar, Marken mit Patina. Aber entsprechend mutig mit der Drahtbürste aufpoliert durchaus mit Potenzial zum Bestseller.
Einen solchen ostdeutschen Stolz ohne provinzielles Gehabe wollten wir durch unsere staatliche Fördergesellschaft kommunizieren. Ein engagierter Freelancer fertigte uns einige Scribbles an, darunter den provokanten Satz "Langsam ist es an der Zeit, sich beim Westen für die Pakete von damals zu bedanken". "Das machen wir!", sagte ich spontan. Also nicht einfach den Slogan, nicht einfach Plakate und Anzeigen. Wir rufen den Osten auf, sich für die Westpakete von damals zu bedanken. Wir verschicken Ostpakete für den Westen!
Und da waren sie wieder: die Philister. "Das können Sie doch nicht machen", sagten die uns vorgesetzten Ministeriellen. "Das ist viel zu dreist", sagte so mancher Fachmann, mit dem wir uns berieten. "Das reißt alte Wunden auf, das schlägt in Kerben, in die man besser nicht mehr schlägt." Und: "Jetzt ist der Mansfeld endgültig verrückt geworden", sagten sogar Bekannte, denen ich mit aller vorhandenen Begeisterung von der geplanten Kampagne erzählte.
Zeit, Danke zu sagen!
Unter der Last der Bedenkenträger einknicken? Nein, diesmal blieb der Taugenichts bei seiner Version und wir setzten die Idee auch gegen die Zweifelnden unter den Gesellschaftern durch. "Schicken auch Sie im Weihnachtspaket Leckeres aus Sachsen Anhalt. Wir machen Deutschland glücklich", lautete der endgültige Claim für Radiospots und Großflächenplakate, die die Bewohner der neuen Bundesländer aufrufen sollten, ihre Westverwandschaft reichlich zu beschenken.
Die Einzelhändler im Osten spielten begeistert mit und boten in der Vorweihnachtszeit ihren Kunden an, fertig zusammengestellte Ostpakete direkt aus den Filialen zu versenden. Unterstützend handelten wir mit der Deutschen Post einen Rahmenvertrag aus, der garantierte, dass jedes Paket pauschal für nur fünf Mark ausgeliefert wurde. Und dann ging es los!
Am nächsten Morgen, nachdem die Kampagne gestartet war, tickerte die DPA einen Korrespondentenbericht. Titel: "Aktion zu Weihnachten/Westdeutsche dürfen auf ein Ostpaket hoffen." Bald stand das Telefon nicht mehr still. Ich, der bis dahin kaum mehr als ein wenig rühmliches Pressegespräch hinter sich gebracht hatte, gab nun den deutschsprachigen Medien Interviews am laufenden Band.
Noch besser: Später sprangen auch US-Sender, das mexikanische Fernsehen und sogar Medien aus Japan auf die Kampagne auf. Man lud mich in den ZDF "Sommergarten" ein. Ich gab der damals gerade erst am Anfang ihrer Karriere stehenden Marietta Slomka ein Interview für die Deutsche Welle. Und im Gespräch mit dem National Public Radio versuchte ich mich darin – sehr zur Gaudi des amerikanischen Journalisten - für amerikanische Zuhörer schwierige Worte wie "Hallorenkugeln", "Salzwedler Baumkuchen" oder "Spreewälder Gewürzgurken" zu übersetzen.
Das schöne Ergebnis: An Weihnachten waren Ostprodukte nicht nur wieder im Osten, sondern auch im Westen, im wahren Sinne des Wortes, in aller Munde.
Eine gemeinhin klassische PR-Kampagne mit Plakaten, Anzeigen und Deckenhängern in den Läden war dank unserer Pakete zu dem geworden, was man heute vollmundig "viral" nennen würde. Auf dem Postweg wurde das sozialste aller Netzwerke, persönliche Freundschaften und Verwandtschaftsbeziehungen, direkt eingebunden. Und diesmal kam auch die Ehrlichkeit bei der Presse gut an. Sie währte lange und es währte für die Unternehmen aus dem Osten besonders gut.
"Ostpakete für den Westen – und alle machen mit" fasste die Kulturzeit auf 3 Sat zusammen. Und so war es ja tatsächlich. Die Feuilletons großer Zeitungen kommentierten unsere Aktion, es hatte sich eine völlig eigene Dynamik entwickelt. Auch in den Nachrichtenformaten der Öffentlich-rechtlichen berichtete man kontinuierlich über jeden neuen Schritt. Norbert Blüm bekam von einer Ministerin aus dem Osten ein Ostpaket nach Bonn geschickt und ich durfte beim öffentlichen Auspacken, vor der Haupstadtpresse, dabei sein. Blüm bekam Rotkäppchensekt, Kathi Kuchenmehl und Rondo Melange-Kaffee geschenkt und freute sich ehrlich in die Kameras.
Die Parteizeitungen der CDU und der SPD, "Vorwärts" und "Union", gaben ihre einzige jemals erschienene gemeinsame Ausgabe zum Thema Ostpakete heraus, eine Lebensmittelmesse auf Initiative des Bundeskanzlers, nur für den Osten, schloss sich an. Plötzlich saß der Taugenichts auf der Bundespressekonferenz, zwischen Peter Hintze und Franz Müntefering, damals die Generalsekretäre der tatsächlich noch beiden großen Volksparteien Deutschlands.
Und schließlich dankte, vielleicht ein wenig dick aufgetragen, sogar Bundeskanzler Helmut Kohl der Kampagne für ihre "Verdienste um die deutsche Einheit". Puh ... das war ein Rummel. Auf Initiative von Prof. Dr. Joachim Klewes bewarb ich mich mit der Kampagne schließlich noch auf den Deutschen PR-Preis und erhielt ihn tatsächlich schon im ersten Anlauf. Gut 300 Interviews gab ich in den sechs Kampagnenwochen seit November 1996, als die Ostpakete für den Westen starteten. Fortune oder Mut und gewiss die Gunst der Stunde – eine fulminante Feuertaufe und für mich der eigentliche Beginn meines Daseins als Öffentlichkeitsarbeiter, auch wenn bis zur Metamorphose in die Selbstständigkeit noch ein paar Jahre ins Land gehen sollten.
Die Lehren des Taugenichts
Zumindest war ich, natürlich nur bis zur nächsten "verrückten" Idee, in den Augen vieler nun doch kein Taugenichts mehr. Wie nachhaltig das auf mich wirkte? Ich nahm die Ostpakete-Kampagne gerne als eine persönliche Blaupause an, die noch heute meine Arbeit prägt. Und die ist leicht nachzuvollziehen: Wenn man es besser machen möchte, dann führt kein Weg daran vorbei es anders zu machen. Ich will den Dingen zunächst bedingungslos auf den Grund gehen und ehrlich die eigenen Stärken ins Licht rücken, ohne gleich wieder nur die Schwächen zu bemänteln. Ich will mir immer einen persönlichen Raum offenlassen, wo ich nicht mehr auf die Philister und Bedenkenträger höre. Dazu gehört es sich, den Kunden nicht zu sehr in Watte packen und ihn ruhig einmal zu seinem Glück zu drängen.
*) Der Autor: Hasso Mansfeld ist Kommunikations- und Strategieberater. Er gehörte zum Autorenkreis von The European und schreibt heute für das Meinungsportal Die Kolumnisten. Mansfeld kandidierte 2014 als FDP-Mitglied für das Europäische Parlament. Er lebt und arbeitet in Bingen am Rhein.