
Tourismusmarketing:
Anruf in Schweden: Eine Tourismus-Aktion im Selbstversuch
Wer diese Telefonnummer wählt, wird mit einem ganz normalen Schweden irgendwo im Land verbunden. Mehr als 140.400 Anrufe aus 180 Ländern hat die schwedische Tourismusbehörde seit Kampagnenstart gezählt. Und mittendrin: W&V Online.

Foto: TheSwedishNumber / Screenshot
Mit einer feinen Tourismuskampagne fällt momentan Schweden auf. Das ganze Land hat sich eine einzige Telefonnummer zugelegt. Wer +46 771 793 336 wählt, wird mit einem Schweden irgendwo in dem nordischen Land verbunden, kann ihn Löcher in den Bauch fragen, über die Politik schimpfen oder über das Wetter plaudern. Ganz nach Belieben.
Rund 20.000 Schweden haben sich bereits die App der heimischen Tourismusbehörde heruntergeladen und machen sich damit freiwillig zu Botschaftern ihres Landes. Selbst der sozialdemokratische Premierminister Stefan Lövfen ist dabei, den der Radiosender Ego FM an der Strippe hatte. Doch es geht bei der Aktion nicht nur darum, Urlauber in das Land zu locken, sondern auch um ein politisches Statement.
"The Swedisch Number" wurde eingerichtet, um ein historisch wichtiges Ereignis zu ehren: 1766 war Schweden weltweit das erste Land, das die Zensur abschaffte und die Pressefreiheit in seiner Verfassung verankerte. Auch 250 Jahre später ist das keine Selbstverständlichkeit, wie aktuelle Ereignisse - etwa in der Türkei - zeigen.
Authentisch möchte das nordische Land für sich werben, alle Seiten des Landes präsentieren, die Einwohner von ihrem Alltag erzählen lassen. Ohne Marketingplattitüden und Ach-wie-schön-ist-Bullerbü-Blabla. Das Konzept, das Grey Stockholm erdachte, scheint aufzugehen. Mehr als 140.400 Anrufe aus 180 Ländern hat Schweden seit Kampagnenstart Anfang April bereits gezählt, die meisten aus den USA und Großbritannien. Drei Prozent kommen aus Deutschland. Und mittendrin: Ich.
Erstaunlich aufregend ist es, "The Swedish Number" zu wählen. Und erstaunlich schnell klappt die Verbindung. Eine freundliche Frauenstimme erklärt noch mal kurz das Prinzip und dann wird man auch schon weiterverbunden.
Es läutet dreimal und ein Mann meldet sich. Am Anfang ist die Verständigung etwas schwierig, mein Gesprächspartner hat vielleicht mit einem schwedischen Anrufer gerechnet und muss erst mal ins Englische wechseln. Doch dann plaudern wir. Die bereitgelegte Schwedenkarte ist nicht nötig, Bo lebt in Stockholm, das ist leicht zu lokalisieren. Er findet die Kampagne für sein Land grandios.
Stolz erzählt er, wie viele Menschen sich schon gemeldet haben. Während des Gesprächs scheint er die Spülmaschine auszuräumen. Die Geräusche im Hintergrund klingen jedenfalls so. Das gefällt mir. Denn auch ich neige dazu, beim Telefonieren nebenbei Hausarbeit zu erledigen und finde das ziemlich authentisch. Zwischendurch hakt die Verbindung etwas und Bo ist schlecht zu verstehen.
Ich krame meine Stockholm-Erinnerungen hervor, vor zehn Jahren war ich zu Besuch in der schönen Stadt. Bo erzählt, wie sehr sich die schwedische Hauptstadt seitdem verändert hat, wie groß sie geworden ist, wie viele Menschen dort leben wollen. Und wir schimpfen gemeinsam auf die Immobilienpreise, die in Stockholm genauso verrückt hoch sind wie in München. Ich frage ihn, welchen Ort ich in Schweden besuchen sollte, wenn ich dazu nur noch eine Chance im Leben hätte. Natürlich schwärmt er von Stockholm, wo er seit 1986 lebt. Von den schönen Schäreninseln und der einzigartigen Natur.
Ich habe noch viele Fragen, würde ihn gerne nach Europa, der Flüchtlingskrise und seinem Deutschlandbild fragen. Aber man muss sich ja erst mal warmreden und irgendwann habe ich das Gefühl, einem Wildfremden vielleicht doch zu viel von seiner Freizeit zu stehlen. Nach einigen Minuten beende ich deshalb das Gespräch - immerhin dauert es länger als der Durchschnittsanruf: Der liegt laut Kampagnenwebsite bei 2 Minuten 50 Sekunden. Nicht viel Zeit, um alle Seiten eines Landes kennenzulernen und heikle Themen anzusprechen.
Danach bleibt ein wohliges Gefühl. Der Anruf hat Spaß gemacht und bestätigt das positive Bild, das man von Schweden ohnehin hat: gastfreundlich und entspannt.
Mittlerweile gibt es übrigens auch lokale Nummern, um die Kosten für die Anrufer aus aller Welt gering zu halten. Und man erfährt, warum manchmal kein Schwede erreichbar ist: Weil das Land schläft, schließlich leben viele Anrufer in einer anderen Zeitzone. Oder weil die Schweden feiern und sich um riesige Feuer versammeln, zum Beispiel in der Walpurgisnacht Ende April.
Kleiner Wermutstropfen: Mittlerweile tummeln sich offenbar auch rechtspopulistische Trolle in der Schweden-Hotline und nutzen die Anrufe, um ihre politische Meinung und ihren Hass auf die schwedische Politik auszudrücken. Aber auch das gehört zur Wirklichkeit in Schweden und zur Meinungsfreiheit.
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