Kündigungsdrohung:
Amazon-Skandal: Fahrerin sollte trotz Tornado ausliefern
Nachdem bei dem Tornado in Illinois sechs Menschen in einem Amazon-Lager starben, sorgt ein weiterer Vorfall desselben Tages für Aufsehen: Einer Fahrerin wurde mit Kündigung gedroht, falls sie ihre Route nicht fortsetze.
Dass Amazon-Mitarbeiter:innen nicht gerade gut behandelt werden, ist nach zahlreichen Skandalen und Bekanntwerden schlechter Arbeitsbedingungen nicht überraschend. Dass der Konzern jedoch sogar bereit ist, das Leben seiner Angestellten aufs Spiel zu setzen, übertrifft einiges. Denn wie nun bekannt wurde, wurde eine Lieferantin in den USA heftigst unter Druck gesetzt, ihre Route trotz Tornadowarnung fortzusetzen. Auszüge aus dem Gespräch, in dem sie der Zentrale mitteilte, dass sie Warnsirenen gehört habe und den Radar beobachte, liegen dem amerikanischen Nachrichtenmagazin Bloomberg vor.
Der Tornado wütete am 10. Dezember im US-Bundesstaat Illinois. Dabei war auch in einem Verteilzentrum des E-Commerce-Riesen in Edwardsville das Dach eingestürzt, sechs Menschen starben, 45 wurden aus den Trümmern gerettet. Mitarbeiter:innen berichteten im Anschluss in US-Medien davon, dass Warnungen vor dem Unwetter nicht ernst genommen und keine Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten getroffen worden seien.
"Fahren Sie einfach weiter"
Dass die Gefahren durch den Tornado womöglich wissentlich ignoriert wurden, zeigen auch Textnachrichten zwischen der Amazon-Fahrerin und ihrem Vorgesetzten. Der Fahrerin wurde demnach sogar mit dem Verlust ihrer Arbeitsstelle gedroht, sollte sie nicht weiter Pakete ausliefern. "Der Funk geht immer wieder aus", schrieb die Frau demzufolge um 19.08 Uhr Ortszeit an ihren Vorgesetzten. Der antwortete: "Fahren Sie einfach weiter. Wir können Leute nicht wegen einer Warnung zurückrufen, solange Amazon uns das nicht vorgibt."
Eine gute halbe Stunde später schrieb die Frau, die sich den Angaben zufolge rund 50 Kilometer von dem Verteilzentrum in Edwardsville entfernt befand: "Der Tornadoalarm geht hier los." Das Versandzentrum antwortete: "Fahren Sie erst mal weiter. Wir müssen auf Anweisungen von Amazon warten." Man werde sie wissen lassen, falls sich die Situation ändere, und sei im Gespräch mit Amazon.
Die Rückkehr zum Lagerhaus: Routenverweigerung
Die Fahrerin schlug dann vor, zu ihrer eigenen Sicherheit zurückzukommen. "Hier weiterzumachen könnte das Auto in einen Sarg verwandeln. Ich habe noch eine Stunde Auslieferzeit vor mir. Und wenn ich auf das Radar gucke, ist die schlimmste Phase des Sturms in 30 Minuten direkt über mir." Der Vorgesetzte antwortete: "Es ist Ihre Entscheidung, wenn Sie zurückkommen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass es nicht als Maßnahme zu Ihrer eigenen Sicherheit angesehen wird. (…) Wenn Sie sich entscheiden, mit Ihren Paketen zurückzukommen, wird dies als Ablehnung Ihrer Route gewertet, was letztendlich dazu führen wird, dass Sie morgen früh keinen Job mehr haben."
Erst als die Unwetter eine Tür im Verteilzentrum aus den Angeln reißt, rät der Vorgesetzte sich in Sicherheit zu bringen. Tausende Menschen teilten den Textnachrichten-Verlauf auf Twitter und waren empört. Amazon geriet in einen Shitstorm.
Bei Amazon will man nun den Fall untersuchen
Eine Amazon-Sprecherin sagte Bloomberg: "Dies war eine sich entwickelnde Situation in einem weiten geografischen Gebiet und leider hat sich der Disponent des Lieferservicepartners nicht an die Standardsicherheitspraxis gehalten." Der Vorgesetzte hätte die Fahrerin sofort anweisen sollen, Schutz zu suchen, als Tornadosirenen ertönten. "Während dieses Textaustauschs stellte das örtliche Amazon-Team sicher, dass jeder Lieferservicepartner seine Fahrer angewiesen hatte, vor Ort Schutz zu suchen und die Zustellung für den Abend einzustellen." Unter keinen Umständen hätte der Vorgesetzte der Fahrerin mit einem Jobverlust drohen dürfen, so die Sprecherin weiter. Amazon werde die Erkenntnisse aus den Textnachrichten nutzen, um die Richtlinien und Anweisungen für Lieferservicepartner und die Fahrer:innen zu verbessern.
US-Behörde für Arbeitssicherheit wird den Fall untersuchen
Dass selbst ein Amazon-Lagerhaus kein sicherer Zufluchtsort ist, wurde klar, als beim Einsturz des Lagers in Edwardsville sechs Menschen ums Leben kamen. Laut Bloomberg habe man in dem Lagerhaus nie für den Notfall geübt oder die Mitarbeiter:innen für einen solchen geschult. Die für Arbeitssicherheit zuständige US-Bundesbehörde hat inzwischen angekündigt, sich mit den Todesfällen im Amazon-Verteilzentrum in Edwardsville zu befassen. Eine solche Untersuchung findet routinemäßig statt, wenn Beschäftigte in Ausübung ihrer Tätigkeit sterben. Auch das viel diskutierte Handyverbot am Arbeitsplatz, das Amazon einführte, wird seit dem Vorfall wieder heftig diskutiert. Die Mitarbeiter:innen fordern eine Lockerung, um sich während der Arbeit über Extremwetter wie Tornados informieren zu können, davor gewarnt zu werden und Hilfe rufen zu können.
Jeff Bezos twitterte nach dem Vorfall eine Beileidsbekundung.
Diese wird nach all den Vorfällen und Skandalen in der Vergangenheit ohnehin nicht ernst genommen. Währenddessen macht ein weiterer Screenshot im Zusammenhang mit dem Tornado die Runde. In diesem berichtet ein Mitarbeiter, dass ihm der Konzern mit einer Strafe gedroht habe, sollte er nicht zu seinem Arbeitsplatz - dem zerstörten Lagerhaus - erscheinen.