TechTäglich:
Amazon: Müssen Arbeiter wirklich in Flaschen pinkeln?
Vor dem Mittagessen die wichtigsten Meldungen des Tages – das ist TechTäglich, die Technik-Kolumne von W&V. Heute mit neuen Vorwürfen gegen Amazon und mit dem Videochat von Markus Söder und Tim Cook.
Amazon: Müssen Arbeiter wirklich in Flaschen pinkeln?
Die Vorwürfe gegen Amazon wegen schlechter Arbeitsbedingungen werden wieder lauter. Und das Internet-Kaufhaus gibt sich uneinsichtiger denn je. Das US-Magazin The Verge hat beobachtet: "Amazon versucht eine neue Taktik im endlosen PR-Kampf gegen Meldungen zu seinen ermüdenden und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen: offenes Leugnen. Doch das funktioniert nicht." Den Anstoß gab gestern ein Tweet von Mark Pocan, einem Abgeordneten der Demokraten im US-Repräsentantenhaus. Er warf Amazon vor: "Auch wenn man Arbeitern 15 Dollar in der Stunde zahlt, ist man kein 'fortschrittlicher Betrieb', wenn man Gewerkschaften zerschlägt und Arbeiter in Wasserflaschen urinieren lässt." Die Reaktion von Amazon folgte prompt. Der News-Account des Konzerns twitterte: "Sie glauben doch nicht wirklich an die Sache mit dem Pinkeln in Flaschen, oder? Wenn das wahr wäre, würde niemand für uns arbeiten."
Daraufhin twitterten Journalisten, Ex-Mitarbeiter und Amazon-Insider aus aller Welt Berichte und Belege, laut derer die Vorwürfe des US-Abgeordneten durchaus zutreffend sind. Der englische Journalist James Bloodworth, der 2018 ein Buch über den Niedriglohnsektor bei Firmen wie Amazon veröffentlichte, schrieb: "Ich bin derjenige, der den Urin in der Flasche fand. Glaubt mir, es ist wirklich passiert." Der investigative Reporter Will Evans verlinkte auf einen Artikel, in dem ihm Amazon-Arbeiter berichten, dass sie Bestellungen mit auf die Toilette nehmen müssen, um sie überhaupt noch bewältigen zu können. Und seine Kollegin Lauren Kaori Gurley twitterte: "Als Reporterin, die viel über die Arbeitsbedingungen bei Amazon berichtet, kann ich sagen, dass es eines der meist verbreiteten Probleme ist, dass Kuriere keine Zeit oder keinen Ort haben, um zu pinkeln." Sogar ein Amazon-Dokument, in dem ausdrücklich von Urinflaschen die Rede ist, macht im Netz die Runde.
Vor gut zwei Wochen kündigte Apple an, dass es in den kommenden drei Jahren über eine Milliarde Euro in den Standort Deutschland investiert – den Großteil davon in Bayern. Dabei sollen laut Pressemitteilung die bestehenden Forschungs- und Entwicklungsabteilungen im Großraum München zum Europäischen Zentrum für Chip-Design von Apple ausgebaut werden. CEO Tim Cook lobt seinen größten deutschen Standort: "München ist seit vier Jahrzehnten ein Zuhause für Apple. Wir sind der Stadt und Deutschland dankbar für das gemeinsam Erreichte und freuen uns auf den Weg, der vor uns liegt."
Dies konnte der Apple-Chef dem Bayern-Chef jetzt auch nochmals persönlich übermitteln. Denn Tim Cook und Markus Söder trafen sich zu einem Videochat, wie der Ministerpräsident per Tweet in Stakkato-Sätzen PR-wirksam verkündete: "Videocall nach Kalifornien mit Apple-CEO Tim Cook: Apple freut sich auf München, Bayern freut sich auf Apple. Das Milliarden-Investment ist ein starkes Signal. Wir stehen für Hightech und Forschung. Bayern ist die richtige Heimat für Spitzentechnologie." Gut, dass Cook von Cupertino aus nicht sehen konnte, vor welchem Bildschirm Söder saß. Denn in der bayerischen Staatskanzlei stehen Displays von Apple-Erzrivale Microsoft, wie der aufmerksame Twitterer @Luga_YT erspähte.
Warum Fernseher jetzt teurer werden
Die Preise für TV-Geräte kennen seit Jahren nur eine Richtung: abwärts! Gute Smart-Fernseher in der Standardgröße 55 Zoll von Top-Herstellern wie Samsung sind längst unter 500 Euro zu haben. Und die Zeiten, in denen ein Fernseher eine Investition fürs Leben war, die 15 Jahre hält, sind längst vorbei. Doch nun dürfte Schluss sein mit dem Preisverfall. Die Futurezone zitiert aus einem Bericht der Marktforscher von TrendForce, laut dem der weltweite Absatz von internetfähigen Fernsehern dieses Jahr um 3,1 Prozent auf 223 Millionen Stück steigen soll. Corona, Lockdowns und Home Office sorgen für einen TV-Boom, der die Preise steigen lässt. Dabei spielen auch unterbrochene Lieferketten und Probleme bei der Versorgung mit Prozessoren eine Rolle.
Die große Nachfrage wirkt sich schon jetzt auf die Preise für TV-Panels aus – also für die Bildschirme, die das Herzstück eines jeden Fernsehers darstellen. Laut TrendForce haben die Einkaufspreise für Panels im Juni 2020 einen zwischenzeitlichen Tiefstand erreicht, und sind seither um 134 Prozent gestiegen. Besonders Anbieter von Billig-Fernsehern können ihre Discountpreise damit nicht mehr halten. Und auch Top-Hersteller von LG bis Samsung planen Preiserhöhungen – aber nur schrittweise, um die Käufer nicht zu verschrecken. Sie setzen in diesem Jahr vor allem auf große Geräte ab 60 Zoll. Trostpflaster: OLED-Fernseher sollen wegen steigender Produktionskapazitäten sogar etwas günstiger werden.
Sputnik V: So aggressiv wirbt der russische Impfstoff auf Twitter
Der Hersteller des russischen Corona-Impfstoffs Sputnik V setzt zunehmend auf Twitter-Werbung, um die Öffentlichkeit im Westen und vor allem auch in Deutschland von seinem Vakzin zu überzeugen. Paul C. Strobel, Social-Media-Chef der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), hat beobachtet: "Die Twitter-Ad, die mir derzeit am aggressivsten in die Timeline gedrückt wird, ist diese von @sputnikvaccine." In seinem Thread schreibt er: "Schauen wir uns doch mal den Account und seinen Hintergrund genauer an. Mein Verdacht: So seriös, wie er tut, ist er nicht." Der Standard aus Wien argwöhnt, dass der Sputnik-Hersteller "auf seinem Twitter-Account sachliche Informationen mit Regierungspropaganda" vermischt.
Während die Hersteller anderer Impfstoffe wie BioNTech, AstraZeneca und Moderna auf ihren Social-Media-Kanälen vor allem sachlich informieren, zitiert der russische Hersteller gerade auf Twitter vor allem Berichte, in denen die Qualität von Sputnik V angepriesen wird. Weiteres zentrales Thema ist dort das angebliche Impfversagen in Ländern, in denen der russische Impfstoff noch nicht zugelassen ist. Der Standard nennt diese Kommunikation "fast schon aggressiv". Entwickler von Sputnik V ist das Moskauer Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie. Um die Vermarktung kümmert sich der "Russische Fonds für Direktinvestitionen" (RFPI), der eng mit Wladimir Putin und dessen Tochter Katerina Tichonowa verwoben ist. An Lob für den Präsidenten fehlt es auf dem Twitter-Konto von Sputnik V deshalb nicht. Twitter hat auf diese offensichtliche politische Werbung bisher noch nicht reagiert.
Suez-Schiff: Gags überfluten das Netz
Das im Suezkanal gestrandete chinesische Frachtschiff Ever Given könnte für Versorgungsengpässe und für steigende Preise gerade bei Elektronikprodukten sorgen. Weil sich durch die Blockade eines der weltweit wichtigsten Handelswege mittlerweile Hunderte von Schiffen am Suezkanal stauen, funktionieren Lieferketten nicht mehr. Hersteller müssen auf dringend erwartete Zulieferteile und Komponenten warten. CNBC fasst die Konsequenzen so zusammen: "Einige der unmittelbaren Auswirkungen sind höhere Benzinpreise und längere Lieferfristen für die meisten Konsumgüter, von Möbeln bis hin zu Elektronik."
Derweil wird die Geschichte rund um den festgefahrenen Kutter immer skurriler. Wie die Schifffahrts-Experten von VesselFinder per GPS festgestellt haben, vollführte die Crew der Ever Given vor ihrer Einfahrt in den Suezkanal ein Manöver, bei dem sie das Bild eines Penis aufs Meer zeichnete. Über die Details berichtet der Spiegel. Und die sozialen Medien werden mit Memes und Gags rund um das gestrandete Schiff überflutet – Beispiele gibt es hier, hier und hier. Mit unserem Lieblings-Tweet von einem beschaulichen englischen Kanal verabschieden wir uns bis Montag und wünschen ein schönes Wochenende.