Debatte:
Agentur-Nachwuchs: Das Problem mit der 70-Stunden-Woche
Häufig haben Agenturen über den Nachwuchs geklagt: schlecht ausgebildet sei er und nicht ehrgeizig genug. Wahrscheinlich aber liegt das Problem eher bei den Werbehäusern selbst. Sie haben die Zeichen der Zeit bis heute nicht erkannt.
Häufig haben Agenturen über den Nachwuchs geklagt: schlecht ausgebildet sei er und nicht ehrgeizig genug. Wahrscheinlich aber liegt das Problem eher bei den Werbehäusern selbst. Sie haben die Zeichen der Zeit offenbar bis heute nicht erkannt. "Die heute 20- bis 30-Jährigen haben wenig Lust, sich zu Sklaven ihres Jobs zu machen", schreibt die Wochenzeitung "Die Zeit" am heutigen Donnerstag (7.3.) in ihrem Aufmacher. Unter der provokanten Überschrift "Faul und schlau" heißt es: Für manche Personalchefs seien sie zwar ein Albtraum. Doch sie würden mit ihrer Haltung die Arbeitswelt verändern: und zwar zum Guten.
Es sei "pervers", wenn gerade die schöpferischen Berufe die "Grundbedingungen von Kreativität und Innovationsfähigkeit ignorieren", meinte der Psychologe und Marktforscher Stephan Grünewald jüngst im W&V-Interview. Wer mehr als 40 Stunden pro Woche arbeite, "müsste mit Gehaltsentzug bestraft werden, weil er Raubbau an seiner Kreativität betreibt", so Grünewald. "Früher war man stolz auf das vollbrachte Werk, heute ist man stolz auf den Grad der Erschöpfung, den man sich erarbeitet hat." Auch wenn Grünewalds Forderung nach einer 40-Stunden-Woche und Gehaltsentzug bei Überschreitung mehr als kühn erscheint, so stimmt doch eines recht bedenklich: nämlich wie wenig sich die Agenturen auf die neue Situation - demografische Entwicklung einerseits, vor allem aber die veränderten Wertvorstellungen beim Nachwuchs - einlassen.
W&V Online hat die Chefs von zehn großen und renommierten Werbehäusern nach ihrer Meinung zu Grünewalds Thesen gefragt. Nur ein einziger, nämlich Stefan Kolle von Kolle Rebbe, hat sich überhaupt zu dem Thema geäußert: "Man kann auch 70 Stunden pro Woche arbeiten. Solange man die Arbeit nicht als Arbeit empfindet, ist alles ok", findet der Kreativchef. "Hauptsache es macht Freude. Wenn einen das, was man tut, erfüllt, ist es gut; wenn man nur seinen Job erfüllen muss, schlecht. Dann ist auch eine 40-Stunden-Woche zuviel an Belastung."
Stefan Gessulat von der Münchner Agentur Gessulat/Gessulat sieht es etwas anders: "Den beschriebenen 'Erschöpfungsstolz' gibt es doch schon längst nicht mehr. Wer ständig erschöpft ist, ist nicht mehr der Held, sondern der Depp." Die jungen Leute seien sehr leistungsbereit, legten aber zugleich "ganz viel Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance." Am Ende würden davon auch die Kunden profitieren: "Die wollen nicht, dass alles mit heisser Nadel auf den letzten Meter gestrickt wird. Kunden wollen heute ausgeschlafene und intelligente Gesprächspartner."
"Nirgendwo wird so gerne gelogen wie beim Thema Nachwuchs in Agenturen", meinte der damalige Jung-von-Matt- und heutige Thjnk-Kreativchef Armin Jochum bereits vor zwei Jahren in einem W&V-Interview: "Die meisten machen gar nichts und bejammern nur den schlechten Zustand der Ausbildung in den Schulen." Wäre schön, wenn sich das wirklich irgendwann einmal ändert.