Automatisierung:
Adobe-Manager: "Roboter werden die Marketer und Kreativen nicht ersetzen"
Die Automatisierung der Werbung verändert das Rollengefüge der Branche. Adobe-Vize Brad Rencher über die zukünftige Bedeutung der Kreativen.
Kreative und ihre Agenturen stehen vor einer großen Herausforderung: Der Automatisierung des Marketing. W&V sprach mit Brad Rencher, Senior Vice President und General Manager Digital Marketing Business bei Adobe, über die Folgen der Maschinisierung.
Mr. Rencher, eines der Hauptthemen des Adobe Summit war das technische Zusammenspiel zwischen den kreativen Lösungen von Adobe und der Marketing Cloud unter Verwendung von Daten. Internetriesen wie Facebook, Microsoft und Adobe können Nutzer über ihr Login wiedererkennen. Dieser Ansatz fehlt Adobe.
Wir sind keine Identity-Company, zu der sich Facebook gerade entwickelt. Wenn Marken eine durchgängige Erfahrung bieten wollen, müssen sie die Zielgruppe über jedes Gerät identifizieren können. Unser Audience Manager bringt die unterschiedlichen Logins von Facebook, E-Mail-Accounts und sonstigen Registrierungen zusammen. Heute geht es nicht mehr um den Cookie, sondern um die reale Person. Dann können wir diese Daten mit Informationen aus Kundenbindungsprogrammen oder CRM-Systemen anreichern.
Wird das System auch selbständig Werbung verkaufen?
Wenn Sie darauf anspielen, ob wir damit auch selbst zum Vermarkter werden, kann ich dies klar verneinen. Adobe verkauft nur Technik. Auch ein Arbitrage-Geschäft mit dem Aufkauf von Traffic streben wir nicht an. Wir treten nicht gegen Facebook und Google an, sondern sind ein Partner mit Software-Lösungen für Advertiser und Media-Publisher, für Werbung und Content.
Gegen wen geht es dann? Oracle, SAP oder Salesforce?
Wir haben momentan mit unserer Aufstellung keine Gegner. Natürlich gibt es andere Software-Firmen, die uns in Teilsegmenten Konkurrenz machen. Aber mit unseren kreativen Wurzeln und der Verbindung zu Content und Anzeigenplattformen sind wir einzigartig. Auf der Datenseite brechen wir die Barrieren zwischen den Werbeplattformen und Marketing-Daten auf. Normalerweise kommen E-Mail-Marketer und Display-Vermarkter praktisch nie zusammen. Aber nun bieten wir eine Plattform an, die Banner mit Newslettern sowie digitalen Plakaten verzahnt.
Eine totale Revolution ist das nicht. Einige E-Mail-Provider oder Außenwerber können das schon lange.
Aber alle waren bisher auf ihre Plattformen limitiert. Wir wollen an jeden Kontaktpunkt, egal ob E-Mail, Mobile, App oder Instore-Screen. Wir arbeiten übergreifend. Die umfassendsten Systeme werden sich durchsetzen, weil sie die meisten Daten integrieren können. In den USA machen wir bei einigen US-Händlern schon richtig coole Sachen.
In Deutschland herrscht nach der ersten Euphorie eher Ernüchterung. Die Technik funktioniert nur in engen Grenzen. Den Apps, die die Informationen verarbeiten, fehlt es an Reichweite, um einzelne Kunden anzusprechen. Sie kämpfen doch bestimmt mit ähnlichen Problemen.
Natürlich müssen die Reichweiten der entsprechenden Mobile-Apps steigen. Auch die meisten Händler zögern noch.
Es bleibt also bei Ausnahmen.
Aber genau die zeigen schon jetzt, wohin es geht. Nehmen Sie unseren Kunden Audi, der technisch sehr aufwändige aber herausragende Showrooms in der Londoner Innenstadt betreibt. Unsere Techniker haben eine Anwendung entwickelt, mit der Kunden vom mobilen Konfigurator ihr Wunschfahrzeug einfach auf den großen hochauflösenden Bildschirm schicken – per Wischbewegung mit Hilfe von Near-Field-Communication. Das ist die Zukunft der Berater beim Händler. Der Kunde ist digital vorbereitet und der Vertriebsmann holt nicht seinen Katalog vor, sondern setzt genau an diesem Punkt an und kann weitere attraktive Angebote machen.
Kommt die Hauptarbeit von Adobe oder von der betreuenden Agentur wie in diesem Fall Razorfish?
So etwas lässt sich nur gemeinsam mit der Kreativagentur und dem Kunden entwickeln. Wir haben globale Partnerschaften mit allen großen Networks wie Publicis, WPP und Omnicom. Innerhalb der Netzwerke verfügen einzelne Töchter über Spezialkompetenzen wie Razorfish im Segment Digital Signage. Wie arbeiten aber auch direkt mit den traditionellen System-Integratoren wie Deloitte und Accenture. Was diese Berater im Digitalen machen, ist wirklich beeindruckend.
Die Kreativagenturen mögen die Beratungsunternehmen nicht besonderes, weil sie ihnen die Etats für Strategieberatungen streitig machen und auch Mitarbeiter abwerben. Hat das einen Einfluss auf die Zusammenarbeit mit Adobe?
Im digitalen Marketingmarkt, der von den kreativen Agenturen beherrscht wurde, bewegen sich nun auch die Beratungsfirmen, die große Erfahrung darin haben, umfangreiche Software-Projekte zu implementieren. Beim digitalen Marketing spielt beides eine Rolle, aber Software wird immer wichtiger. Kreation und Software treffen sich schon bei der Kampagnenentwicklung. Meiner Meinung nach gibt es Platz für Agenturen und Berater. Wir arbeiten mit beiden Seiten zusammen: Dabei treffen wir Accenture Digital auf einem traditionellen WPP-Account., aber auch Publicis auf einem Deloitte-Etat. Letztlich entscheidet der Kunde, welche Perspektive und welche Kompetenzen am besten zu ihm passen.
Ein dritter Weg ist die direkte Betreuung im Marketing durch Adobe.
Auch dieses Geschäft wächst. Und zwar schnell. Dass Kunden direkt mit uns arbeiten wollen, ist okay. Aber wir bevorzugen es, den Markt mit Partnern zu durchdringen.
Sie machen die Arbeit von manchen Partnern überflüssig. Adobe hat die Wurzeln im kreativen Bereich. Gleichzeitig bedrohen sie aber Etats, indem Adobe Lösungen selbst entwickelt oder ganze Prozesse automatisiert.
Zugegebenermaßen ermöglicht Adobe in seiner Marketing Cloud einen beträchtlichen Teil an Automatisation beim Zusammenfügen der kreativen Elemente. Aber meiner Meinung nach entsteht so keine Dissonanz. Wir haben schon immer die Arbeit der Kreativen einfacher gemacht, indem wir etwa Photoshop ständig verbessern. Nun schließen wir eben noch direkt das Marketing mit an.
Nun kommt der Satz, dass es ohne den Mensch aber nicht geht.
Ohne die kreative Idee können nicht einmal die fundamentalsten Elemente des Marketings entstehen. Die Rolle der Automatisation ist es, die grundsätzlichen Prozesse zu verrichten, allerdings werden die Roboter die Marketer und Kreativen nicht ersetzen.
Kann ihre Software deren Arbeit per Versuch und Irrtum nachahmen?
Wir haben mit Adobe Target die größte A-B-Testing-Plattform der Welt. Dem konstanten Überprüfen und den kontinuierlichen Feedback-Loops gehören die Zukunft. Aber: Um einen A-B-Test zu machen, muss eine Hypothese bestehen. Es muss jemanden geben, der sagt, wo es lang geht.
Das hört sich danach an, dass nur noch für wenige Arbeit übrig bleibt.
Wir sehen eher das Gegenteil, weil sich die Möglichkeiten der digitalen Welt erweitern. Unsere Creative Cloud hat so viele Lizenznehmer wie nie zuvor, obwohl Photoshop in diesem Jahr 25 Jahre alt wird. Das liegt auch an unseren mobilen Creative Apps. Kreative Arbeit wird erreichbarer, direkt einsetzbar und allgegenwärtig.
Laufen Ihnen gerade beim Thema unmittelbarer Nutzung nicht Neulinge wie Instagram und Snapchat den Rang ab? Das Ergebnis mit diesen Apps ist noch schneller im Netz und wird auch von Werbungtreibenden immer häufiger eingesetzt.
Instagram und Snapchat werden eine große Rolle im künftigen Ausdruck der visuellen Kreativität und Kommunikation spielen. Aber auch wir profitieren vom Trend zur Visualisierung. Deshalb sehen wir die neuen Apps nicht als Bedrohung, sondern als neue Kanäle zur Veröffentlichung von Inhalten. Wo es Sinn macht, benutzen Advertiser zudem Photoshop, um Bilder zu veredeln. Unsere Marketing-Plattform hilft den Marken die Bilder und Videos auf den Kanälen zu verteilen.
Wie weit kann das gehen? Schließt Adobe seine technische Lösung einfach an alle Kanäle an?
Genau so wird es laufen. Das Problem des digitalen Marketers ist doch: Sobald wir als Industrie glauben, dass wir den Status Quo verstanden haben, geht es längst weiter. Denken Sie an den Elektronikhersteller Philips. Die stecken immer mehr Intelligenz in einen Rasierer und schließen ihn ans Internet an, nur um eine bessere Pflege des Barts zu liefern. Um uns herum kommen laufend mehr digitale Geräte auf den Markt.
Allerdings machen alle Unternehmen eines Segments meist das Gleiche. Ein Connected Car ist ein Connected Car.
Jeder Autobauer wird seine eigenständige Markenerfahrung liefern müssen. Wir arbeiten schon heute mit Audi, BMW, Renault und Nissan zusammen. Hier gibt es unterschiedliche Ansätze, etwa das Interface zum Bedienen. Wichtiger als ein einzigartiges Marketing sind eine konsistente und kontinuierliche Vermittlung der Botschaft.
Wird das Smartphone die Fernbedienung und Zentrale sein, um eine persönliche und konsistente Erfahrung zu liefern?
Viele Menschen vertreten diese Ansicht. Aber ich selbst bin nicht davon überzeugt. Warum sollen beispielsweise die anderen Geräte nicht selbststätig agieren, wenn sie ihren Besitzer erkennen können? Der Umweg über das Smartphone ist dann unnötig. Zum jetzigen Zeitpunkt ist das Smartphone sicherlich das persönlichste Gerät dar, das wir zur Verfügung haben. Andere setzen vielleicht künftig auf die Smartwatch oder den Chip im Körper. Wir als Adobe bauen eine Plattform, die all diese Geräte unterstützen kann. Am Ende ist unsere Marketing Cloud nichts anderes als eine Infrastruktur zur Interaktion in Echtzeit. Indem unsere Lösung die interaktiven Nutzer beobachtet und analysiert, können Marketer darauf reagieren.
Marketer sind darauf aber noch kaum eingestellt oder haben nicht die nötigen Ressourcen.
Die ganze Branche muss hier noch lernen. Nur weil Unternehmen nun Werbenachrichten auf Smartwatches schicken können, sollten sie dies auch tun? Ich persönlich würde das nicht wollen. Auch wenn da eine neue Leinwand steht, muss nicht jeder darauf herummalen. Brands sollten vorsichtig mit dem Bespielen dieses Kanals sein. Gerade am Anfang sind die Nutzer sehr empfindlich.
Sie sagten Marketing geht über das Marketing hinaus. Werden wir zukünftig also anstatt der Marketing Cloud eine universelle Digital-Connectivity-Plattform sehen?
Momentan passen unsere separaten Bezeichnungen für Marketing, Creative und Document Cloud noch. Aber alles wird immer vernetzter. Wie wir ein übergeordnetes Angebot nennen werden, überlasse ich natürlich unseren eigenen Marketing-Verantwortlichen, aber sie wird noch viel mehr können als jetzt.
Das wird auch auf die weiteren Zukäufe und Weiterentwicklungen ankommen.
Wir haben gerade den Launch von Adobe Primetime angekündigt, einer TV-Plattform, mit der Bewegtbildproduzenten ihre Inhalte verbreiten und vermarkten können. Video ist ein gewaltiges Thema für uns in den kommenden Jahren. Insgesamt gehen die Investitionen in vier Bereiche: Zunächst in Daten und Datenmanagement. Zweitens in Inhalte, Content-Management sowie Asset Intelligence. Wir haben beispielsweise eine neue Lösung namens Smart Pics vorgestellt, die Bilder automatisch scannt und verschlagworten kann. Drittens in die Auslieferung. Mit all den neuen Geräten wird die angepasste Verbreitung von Inhalten und Marketingbotschaften an die richtigen Personen sehr aufwändig – Mobile, E-Mail, Internet of Things, Plakat und Instore-TV. Und viertens natürlich in Lösungen für die Entscheidungsfindung. Wir bauen Algorithmen, die die Marketingleiter schlauer machen. Wie muss ich die Daten interpretieren, wie mache ich sie überhaupt erst interpretierbar.
Gehört zu den Content-Investitionen auch die Bildagentur Fotolia dazu, die Adobe für rund 800 Millionen Dollar gekauft hat?
Noch läuft Fotolia getrennt und selbständig von unseren Software-Clouds, aber das wird sich ändern.*
Sie sprechen viel darüber, dass ihre Software auch noch selbst viel lernen kann.
Unsere Maschinen analysieren ständig Daten und leiten daraus Verhaltensregeln ab. Von diesen Erkenntnissen profitieren alle Segmente, weil sie die komplexen Zusammenhänge zwischen Kreation, Marketing und Vertrieb verständlicher machen können. Das gilt auch für Content: Wann blende ich welchen Content ein: Seitenbetreiber und Publisher werden ihre Inhalte effizienter verbreiten können und Marketer darin ihre Botschaften einbetten. Künftig werden auch Algorithmen darüber entscheiden, welche Nachrichten aus dem Postfach etwa an die Smartwatch weitergeleitet werden.
Und Adobe bekommt all die Informationen von den verschiedenen Quellen und vereinigt sie?
Aus datenschutzrechtlichen Gründen haben wir folgenden Vorteil: Wir verkaufen keine Daten. Wir sind kein Werbenetzwerk und stellen nur Technik zur Verfügung. Die Marken selber haben die Informationen und die Erlaubnis, mit den Kunden zu interagieren. Sie gehen voran.
* Anmerkung: Am 16. Juni hat Adobe seine neue Bilddatenbank Adobe Stock vorgestellt, die aus Fotolia-Inventar besteht. Adobe Stock steht ab sofort in 36 Ländern und 13 Sprachen zur Verfügung. Der US-Softwarekonzern bietet unterschiedliche Preismodelle an, bei denen die Kunden einzelne Bilder kaufen oder ein monatliches oder jährliches Abonnement abschließen können.