ESC:
ARD widmet ESC-Abend der Ukraine
Die ukrainische Eurovision-Song-Contest-Gewinnerin des Jahres 2016, Jamala, tritt am Freitagabend live beim deutschen Grand-Prix-Vorentscheid in Berlin auf. Der wird entgegen ersten Plänen nun doch im Ersten übertragen.
Willst du Deutschland oben sehen, musst du die Tabelle drehen: Das war zuletzt meist das Fazit nach dem Eurovision Song Contest. 2022 soll wieder ein Vorentscheid zu einem besser abschneidenden Lied führen. Doch die Show am Freitagabend steht auch unter dem Einfluss des Ukraine-Kriegs. Die ukrainische Eurovision-Song-Contest-Gewinnerin des Jahres 2016, Jamala, wird bei der Show zu Gast sein. "Sie ist der weitere Stargast bei 'Germany 12 Points - der deutsche ESC-Vorentscheid' und wird dort unter anderem ihren Gewinnersong singen, '1944'", teilte der innerhalb der ARD verantwortliche NDR am Donnerstag mit.
Moderatorin Barbara Schöneberger werde mit Jamala auch über deren Flucht aus Kiew wegen des Einmarsches russischer Truppen sprechen. Gemeinsam mit ihren Kindern sei Jamala bei ihrer Schwester in Istanbul untergekommen. Der Ehemann sei in der Ukraine geblieben.
In der Live-Show "Germany 12 Points" entscheidet sich am Freitag, wer im Mai für Deutschland zum ESC nach Turin fährt. Die Sendung soll nach NDR-Angaben - wie der ganze Abend im Ersten, in den Dritten Programmen der ARD, in ONE, auf eurovision.de und in der ARD Mediathek - im Zeichen der Solidarität mit der Ukraine stehen.
Die Ukraine ist ein erfolgreiches Land beim ESC: Seit 1991 ist die ehemalige Sowjetrepublik unabhängig. 2003 startete die Ukraine in Riga erstmals beim ESC und gleich im zweiten Jahr, 2004 in Istanbul, gewann Ruslana mit "Wild Dances".
2016 beim ESC in Stockholm gelang der zweite Sieg mit Jamala. Deren Siegerlied "1944" handelt von der Deportation der Krimtataren durch Josef Stalin. Auch das Schicksal ihrer eigenen Familie hatte Jamala darin besungen, denn unter den Vertriebenen war damals auch ihre Uroma. 2005 und 2017 fand der große internationale Musikwettbewerb jeweils in Kiew statt.
Vielen in Erinnerung ist auch die Dragqueen Verka Serduchka als ukrainische Teilnehmerin. Sie belegte 2007 in Helsinki mit dem sinnfreien Songtitel "Dancing Lasha Tumbai" den zweiten Platz beim ESC. Hinter Verka Serduchka, einer bunt gekleideten alten Dame, steckt der Künstler Andrej Danilko. Der 48-Jährige hatte vergangene Woche ein Stinkefinger-Bild auf Instagram Richtung kriegsführendes Russland veröffentlicht.
In diesem Jahr schickt die Ukraine die Band Kalush Orchestra mit dem Titel "Stefania" zum ESC. Das Lied muss sich erst noch in einem der Halbfinals (10. und 12.5.) qualifizieren. Eine zunächst gekürte Kandidatin war Mitte Februar abgesprungen. Hintergrund waren offene Fragen zu einer Reise der Sängerin auf die von Russland annektierte Halbinsel Krim im Jahr 2015.
Russland dagegen wurde nach der Invasion in die Ukraine vom Senderverbund EBU (Europäische Rundfunkunion) als ESC-Veranstalter vom diesjährigen Song Contest ausgeschlossen.
Die ARD hat für den deutschen Vorentscheid diesmal den Titel "Germany 12 Points" gewählt. Die Fernsehshow ist also nach der Höchstpunktzahl benannt, die Deutschland im internationalen Finale bekommen könnte. Doch das ist zuletzt bekanntlich kaum passiert. Die Beiträge der Bundesrepublik landeten meist ganz hinten.
Neue Pläne: Charity und ESC
Bis vor wenigen Tagen hatte die ARD diese Live-Show nur in allen Dritten und ab 20.15 Uhr ausstrahlen wollen. Infolge des Kriegs in der Ukraine wird das Programm aber derzeit täglich umgebaut. Nun gibt es am Freitag im Ersten statt eines Familienfilms ("Käthe und ich - Freundinnen für immer") nach der 20-Uhr-Tagesschau erst die Sendung "Solidarität mit der Ukraine" mit Ingo Zamperoni und dann zur üblichen ESC-Zeit 21 Uhr (zu der auch das internationale Finale immer beginnt) den 90-minütigen Vorentscheid aus Berlin.
Vor 40 Jahren hieß der deutsche Grand-Prix-Vorentscheid "Ein Lied für Harrogate" und war mit Nicoles späterem Siegertitel "Ein bisschen Frieden" besonders erfolgreich. Vor 30 Jahren wurde in der ARD "Ein Lied für Malmö" gesucht, vor 20 Jahren hieß die Vorentscheidshow "Countdown Grand Prix 2002" und vor zehn Jahren "Unser Star für Baku". In den letzten beiden Jahren bestimmten Jurys ohne Einbindung des Publikums und ohne große Show den deutschen Beitrag.
2022 heißt es nun also "Germany 12 Points". So lautete der Titel des Vorentscheids auch schon mal vor 17 und 18 Jahren, damals allerdings mit Ausrufezeichen. 2004 moderierten Sarah Kuttner und Jörg Pilawa und 2005 tat es Reinhold Beckmann. 2004 kam Max Mutzke im internationalen Finale dann auf Platz acht, 2005 Gracia nur auf den letzten Platz, Rang 24 damals.
In der Liste der Moderatorinnen und Moderatoren der nationalen Vorentscheide finden sich erstaunlich prominente Namen: Hans-Joachim Kulenkampff, Carolin Reiber, Thomas Gottschalk, Sabine Sauer, Hape Kerkeling, Carmen Nebel, Jens Riewa, Thomas Hermanns oder auch Anke Engelke. Auch Sängerinnen präsentierten schon die Show, etwa Katja Ebstein (1981), Wencke Myhre (1986) und Nena (1998).
Sechsmal moderierte Axel Bulthaupt (1998 bis 2003). Er ist damit gleichauf mit Barbara Schöneberger, die bislang 2014 bis 2017 sowie 2019 dran war und nun auch diesmal wieder moderiert. 2015 hatte sie den außergewöhnlichen Fall zu bewerkstelligen, dass der soeben gekürte Vorentscheid-Sieger Andreas Kümmert in Panik und voller extremer Angst die Wahl plötzlich ablehnte. Nachrückerin Ann Sophie wurde dann später mit null Punkten Letzte in Wien.
Die Radiosender sind eingebunden
Diesmal hat die ARD ein senderübergreifendes Prozedere installiert. Die neun Pop-Radiosender der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind erstmals integraler Bestandteil des Auswahlverfahrens. Die Popwellen Antenne Brandenburg, Bayern 3, Bremen Vier, hr3, MDR Jump, NDR2, SR1, SWR3 und WDR2 spielen am 4. März die ausgewählten Lieder und rufen zur Abstimmung auf. Seit Montag (28.2.) kann auch schon online abgestimmt werden. Diese Stimmen sollen am Ende zusammen mit Stimmen während der Show zum Ergebnis führen.
944 Musiker und Bands hatten sich von den jüngsten Niederlagen beim Song Contest nicht abschrecken lassen und sich für den ESC 2022 beworben. Eine Jury wählte sechs Acts aus, die manchem ESC-Fan zu ähnlich klingen und arg auf radiotauglich getrimmt scheinen. Es sind die Lieder "Rockstars" von Malik Harris, "I Swear to God" von Maël & Jonas, "Alive" von Eros Atomus, "Soap" von Emily Roberts, "Anxiety" von Felicia Lu und "Hallo Welt" von Nico Suave & Team Liebe.
Für Aufsehen gesorgt hatte die Bewerbung der Metal-Band Eskimo Callboy, die am Ende aber eine Absage von der ARD erhielt. Auch eine Petition mit Zehntausenden Unterschriften änderte daran nichts.
Mit der neuen alten Variante des Vorentscheids hofft die ARD, Deutschlands ESC-Pechsträhne zu beenden. 2021 war der Hamburger Sänger Jendrik auf dem vorletzten Platz gelandet (Platz 25). Beim ESC 2019 (vor der Corona-Zwangspause 2020) hatte das Duo S!sters mit "Sister" ebenfalls nur den vorletzten Platz erwischt, genauso Levina 2017. Aus der jüngeren deutschen ESC-Geschichte ragen nur Michael Schulte (2018 Platz vier), Roman Lob (achter Platz 2012) sowie natürlich Lena heraus, die vor zwölf Jahren auf Platz eins landete.
Beim Vorentscheid soll laut verantwortlichem Norddeutschem Rundfunk (NDR) eine besondere Version des ESC-Klassikers "Ein bisschen Frieden" erklingen. Außerdem hieß es von der ARD: "Der Eurovision Song Contest steht wie kein anderes Event für die Verbundenheit der Länder Europas und für ein friedliches Miteinander. Die Sendung bringt diese Zusammengehörigkeit musikalisch zum Ausdruck und erinnert daran, dass Kiew 2005 und 2017 Gastgeber des Eurovision Song Contests war."