ARD und ZDF drehen die Werbung leiser
Ab Januar nimmt die ARD-Werbung nur noch Werbespots entgegen, die nach der "lautheitsnormierten Tonaussteuerung" produziert sind. Dahinter steht ein neuer Richtwert fürs Programm. Das ZDF folgt, Privatsender überlegen.
ARD und ZDF werden künftig "leisere" Werbespots ausstrahlen. Die ARD-Werbetochter ARD-Werbung Sales & Services (AS&S) gibt als Startzeitpunkt den 1. Januar 2012 aus. Zum Jahreswechsel nimmt das ARD-Sendezentrum nur noch korrekt nach Lautheit gepegeltes Material entgegen - was übrigens für das gesamte Programm gilt. Es wirkt generell deutlich leiser als nach dem bisherigen Spitzenwert-Verfahren. Beim ZDF und seinem ZDF Werbefernsehen steht der genaue Termin für den Wechsel noch nicht fest. Beide Vermarkter haben ihre Werbekunden bereits über das Novum informiert, wie auf Anfrage zu erfahren ist.
Die AS&S verweist zur Begründung auf die neue Produktionsrichtlinie "EBU R-128", die das Erste für Spots und Programm ab Januar anwenden und damit die "lautheitsnormierte Tonaussteuerung" zum Einsatz bringen wird. Sie beruht auf einer europaweiten Einigung der öffentlich-rechtlichen Sender in der EBU, dem europäischen öffentlich-rechtlichen Netzwerk. Sie peilt an, dass auf lange Sicht das gesamte Programm in der Lautstärke harmonischer werden soll - im absoluten Verhältnis werden vor allem die Werbefilme leiser. Damit wollen die Sender auf Zuschauerbeschwerden über die Lautstärke reagieren. Der Frankfurter Vermarkter ARD-Werbung führt als "Zuckerl" für Kunden und Agenturen – sie müssen immerhin bei der Spotproduktion umbauen - erste Erfahrungen an, wonach TV-Werbung so angepasst eher akzeptiert werde und sich die Zuschauerbeschwerden wegen zu lauter Werbung reduzieren würden.
Zur Erklärung des Phänomens: Um Aufmerksamkeit zu erzeugen, werden Werbespots häufig "am oberen Limit" produziert, also im oberen Dynamikbereich. Die gegenüber dem Programm geringere Dynamik des Werbespots führt durch die Trägheit des menschlichen Ohrs zu einer subjektiv lauteren Wahrnehmung, ohne dass die absoluten Lautstärkepegel angehoben werden. Das Ohr benötigt eine gewisse Zeit, um sich von laut auf leise anzupassen. Umgekehrt geschieht dies sofort. Außerdem hängt der Lautstärkeeindruck mit dem redaktionellen Umfeld zusammen: Während Werbespots ein konstantes Lautstärke-Niveau haben, ist der Pegel in Filmen oder Serien stark von der jeweiligen Szene, der Hintergrundmusik, den Geräuschen und Sprechern abhängig. Deshalb kann für das menschliche Ohr wieder der subjektive Eindruck einer höheren Lautstärke des Werbespots entstehen.
Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit sucht man seit Jahren nach Lösungen für das Problem, dass Spots vom Ohr des Zuschauers gerne lauter wahrgenommen werden als das Programmumfeld. Im vergangenen Jahr sind unter anderem von der EBU neue Richtlinien erarbeitet worden. Um ins Technische zu gehen: Im Unterschied zur bisherigen Praxis ist nicht mehr der Pegelspitzenwert maßgeblich, sondern ein gewichteter Mittelwert, der in LUFS (Loudness Units Full Scale) gemessen wird. Zielwert ist -23 LUFS. Für die Messung ist ein spezielles Messgerät erforderlich. Mit den neuen Maßeinheiten ist es erstmals möglich, die Lautheit eines Beitrags objektiv, reproduzierbar und vergleichbar zu messen. Längst haben die USA in Sachen Hörschutz ein Gesetz, den "Calm-Act" erlassen, in England wirken die Gesetze des "BCAP-Rules". In Frankreich und in den Niederlanden wird mehr Ruhe ab 2012 gesetzlich verankert. Skandinavische Sender und einige europäische Privatsender wenden die neuen Regeln derzeit freiwillig an.
Auch deutsche kommerzielle Sender machen sich Gedanken: "Wir werden die Umsetzung zunächst in der praktischen Wirkung beobachten", heißt es bei der Mediengruppe RTL Deutschland. Ihre Sender seien im Übrigen immer darauf bedacht, den Lautstärkepegel zwischen Filmen, Trailern und Werbung so anzupassen, dass ein gleich bleibender Höreindruck erreicht wird, so die Kölner TV-Familie, zu der RTL, Vox, Super RTL und n-tv sowie diverse Pay-TV-Sender zählen. Beobachtet wird die Entwicklung ebenso von RTL II und seinem Vermarkter El Cartel Media. Auch beim ProSiebenSat.1-Vermarkter SevenOne Media laufen Vorbereitungen: "Wir prüfen derzeit, inwieweit die Richtlinie uns betrifft und werden dann entsprechend reagieren." Generell betreffe die Richtlinie nicht nur die Werbespots, sondern auch das gesamte Programm - die Diskussion wird von europäischer Ebene angeregt.
Weitere Privatsender wie etwa Tele 5 oder auch der Sky-Vermarkter Premium Media Solutions setzen sich schon mit dem Thema auseinander. Das Pay-TV-Unternehmen und sein Vermarkter unterstützten aktiv die Initiative zur einheitlichen Regelung der Lautstärke von Programm und Werbung, heißt es. Die Anpassung der Sky-Sender an die neue Pegel-Norm sei für das Frühjahr 2012 geplant. Dort müssen 67 unterschiedliche Sende-Feeds "mit einem größeren technischen und organisatorischen Aufwand" umgesetzt werden. Im Privatfunkverband VPRT wird das Thema derweil senderübergreifend geprüft.