Content Marketing:
ADC-Jurychef Michael Conrad: Warnung vor der "Content-Falle"
Michael Conrad wird das letzte Wort haben, wenn sich die 378 ADC-Juroren in den nächsten Tagen nicht auf einen Grand Prix einigen können. Im W&V-Interview erklärt die Branchen-Ikone, worauf er besonders Wert legen wird.
ADC-Jury-Chairman Michael Conrad wird in dieser Woche das letzte Wort haben, wenn sich die 378 ADC-Juroren nicht auf einen Grand Prix einigen können. Im W&V-Exklusiv-Interview erklärt die Branchen-Ikone, worauf er besonders Wert legen will. Conrad spricht über Content Marketing, Social Cases, die (mangelnde) Innovationsfähigkeit der Deutschen und darüber, was Werbung leisten muss. Und er warnt Kreative davor, in die "Content-Falle" zu tappen.
Herr Conrad, beim ADC dreht sich dieses Jahr alles um das Thema Content. Worauf müssen Kreative besonders achten?
Sie müssen vor allem aufpassen, dass sie nicht in die Content-Falle tappen.
Was meinen Sie damit?
Sie erinnern sich sicher noch an den Viral-Hit "First Kiss", bei dem Menschen, die sich nicht kannten, aufgefordert wurden, sich zu küssen. Das Video wurde auf Youtube über 100 Mio. Mal geklickt. Wer war noch gleich der Absender dieses Werbevideos?
Ich fürchte, da muss ich passen.
Das meine ich mit Content-Falle. Die strategische Integration, das ist die eigentliche Herausforderung, wenn man eine Marke entwickeln will. Übrigens: Das, was wir vor 40 Jahren alles so produziert haben, war auch nichts anderes als Content. Es geht doch in erster Linie immer um die Vision und die Mission einer Marke.
Darf Werbung heute überhaupt noch aussehen wie Werbung?
Werbung muss interessant sein. Sie muss den Menschen etwas geben, etwas Positives hinzufügen. Das kann entweder vom Produkt selbst kommen - wie bei Apple, Tesla oder Lego - oder, indem eine Brand innerhalb der Markenkategorie ein Thema erfolgreich besetzt: Bei Dove "Real Beauty" oder Always "Like a girl" ist das zum Beispiel hervorragend gelungen.
Werbeagenturen konkurrieren heute mit Digitalschmieden, Social-Media- und Content-Marketing-Spezialisten, ja sogar mit Strategieberatern wie McKinsey. Worin liegt die Stärke der klassischen Agenturen?
Umparken im Kopf, Keep Walking, Verleiht Flügel, Just do it: Hier weiß jeder sofort, um welche Marken es geht. Das hat immer auch eine poetische Komponente. So etwas erfordert Intelligenz und echtes Interesse am Menschen. Wer schreibt denn solche Zeilen? Von wem kommen diese Ideen? Die klassischen Häuser verfügen über die entsprechende Erfahrung. Mit der richtigen Marken-Vision sind sie als Unternehmer in der Lage, eine Firma in all ihren Aspekten zu steuern. Dagegen scheitern die Strategien von Unternehmensberatungen bei ähnlichen Projekten oft an der Implementierung und Umsetzung.
Leider wird Kreativität von Unternehmen heute nicht mehr so honoriert wie früher. Ist daran die Digitalisierung schuld?
Die Unternehmen schießen sich damit jedenfalls selbst ins Knie. Doch auch die Kreativen tragen eine gewisse Mitschuld, weil sie dem "core business first" oft viel zu wenig Beachtung schenken. Umso mehr kommt es darauf an, welche Arbeiten wir in dieser Woche beim ADC-Wettbewerb mit Preisen auszeichnen.
Im vergangenen Jahr haben in Cannes und beim ADC Non-Profit-Cases wie „Rechts gegen Rechts“ dominiert. Im Moment scheint es, als wolle der ADC davon wieder weg.
Das Problem ist, so grandios und wichtig diese Cases sind, sie sind für Werbungstreibende kaum relevant. Mit diesen Cases dringen sie bei der Industrie nicht durch. Aber wir wollen ja erreichen, dass die Unternehmen zu ihrem eigenen Vorteil kreativer werben. Cannes mag diese Themen pushen. Doch beim ADC sollten wir lieber die Hand küssen, die uns füttert. Das heißt: Core Business First – und experimentelle Arbeiten, solange sie Produkte oder eine Marke wesentlich promoten.
Letzte Frage, Herr Conrad: Sind die Deutschen in Ihren Augen innovativ?
Innovativ sein heißt: Alte Verhaltensweisen zerstören und neue etablieren. Das ist nicht unsere Stärke. Unsere Kultur ist die Erfindung. Und Erfinder wollen erfinden. Man kümmert sich nicht um die Implementierung. Wir haben das MP3-Format erfunden. Doch erst Apple hat mit iTunes und iPod die Musikbranche auf den Kopf gestellt. Nike hat mit NikeTown vor 25 Jahren das Showroom-Konzept erfunden und damit den Einzelhandel revolutioniert. Unternehmen wie Google suchen zielstrebig nach dem ganz Großen. Wirklich große Probleme lösen: Sie nennen es "Moonshots". Larry Page sagt: Ich habe keine Lust, Probleme in kleinen Schritten zu lösen. Das sollte auch Werber und ihre Kunden motivieren. Auf der einen Seite das "Internet of Things", auf der anderen Seite "Communication of Things": Mit einer frischen Portion Synergie, Bekanntes um völlig neue Dimensionen erweitern. Experience Marketing, Influencer Marketing, PoS-Marketing, Intelligente Daten-Analyse, User Generated Marketing, Native Advertising, Content Marketing, Werbung - strategisch integriert. Spannend, oder?
Interview: Markus Weber
Über Michael Conrad:
Michael Conrad gründete 1975 zusammen mit Walter Lürzer in Frankfurt die Agentur Lürzer Conrad, die fünf Jahre später mit Leo Burnett Germany fusionierte. Von 1982 an firmierte die Agentur unter dem Namen Michael Conrad & Leo Burnett. 1986 wurde Conrad President and weltweiter Kreativchef von Leo Burnett am Agentur-Hauptsitz in Chicago. Dort hielt es ihn auch bis zur Pensionierung im Jahr 2003. Danach baute er mit dem ADC Deutschland die Berlin School of Creative Leadership auf, deren Präsident er nach wie vor ist. Conrad lebt mit seiner Familie in Zürich.