"heute"-Chef Fornoff: "Wir haben über die Jahre viel verloren"
Matthias Fornoff leitet ab 2012 die traditionielle "heute"-Sendung im ZDF. Über seine Aufgaben, über den zunehmenden Schwund junger Zuschauer und die Nachrichten in der digitalen Welt spricht W&V Online mit dem neuen "Anchor".
Matthias Fornoff übernimmt ab 1. Januar beim ZDF die Leitung der "heute"-Sendung und wird außerdem stellvertretender Leiter der Hauptredaktion Aktuelles. Sein Gesicht ist bestens bekannt: Im September 2010 trat er als Hauptmoderator der 19.00 Uhr-Nachrichten die Nachfolge von Steffen Seibert an. Am 26. Dezember führt Fornoff im Anschluss an die "heute"-Sendung durch die Sendung "Album 2011 – Bilder eines Jahres". Erstmals bei diesem Nachrichtenrückblick fungiert Fornoff - Jahrgang 1963 - auch als Autor. W&V Online hat mit Fornoff über seine Aufgaben als Nachrichtenchef, über die Zukunft von "heute" und über die Nachrichten in der digitalen Welt gesprochen.
Herr Fornoff, ab 1. Januar sind Sie ZDF-Nachrichtenchef. Es kommt viel Arbeit auf Sie zu: Ab 2012 will das ZDF vormittags bei den Nachrichten eigene Wege gehen und hat angekündigt, die Kooperation mit der ARD zu beenden. Statt der "Tagesschau" soll es nun immer werktags um 9.00 und um 12.00 Uhr "heute"-Nachrichten geben.
Die Entscheidung, nicht wie bisher jede zweite Woche die "Tagesschau" zu senden fiel, weil das ZDF in der ARD-Woche bisher personell zu schwach aufgestellt war, um auf große Breaking-News Ereignisse schnell und kompetent zu reagieren. In Zukunft wollen wir auch in einer ARD-Woche absichern, dass wir auf wichtige Ereignisse reagieren können. Außerdem wollen wir uns mehr auf das Internet fokussieren. Dadurch, dass wir nun auch um 9.00 Uhr eine Sendung machen, sind wir in der Lage, die Inhalte ins Internet zu übertragen.
Was wird sich konkret verändern?
Wir werden den nachrichtlichen Teil des Internetauftritts des ZDF mit der "heute"-Sendung verweben. Es werden Leute an einem Newsdesk sitzen, damit es einen Austausch zwischen der TV-Redaktion und den Onlinern gibt. Umstrukturierung bedeutet auch, dass wir auch Zeiten auf der Nachmittagsschiene verändern. Die 17 Uhr-Ausgabe wird um fünf Minuten gekürzt, die 15 Uhr-Ausgabe wird ganz anders aussehen als bisher. Wir können nur Mehrkosten einsparen, wenn wir am Nachmittag etwas abzweigen. Denn unterm Strich muss es kostenneutral sein, das war die Vorgabe der Chefredaktion.
Das ZDF will 2012 Nachrichten verstärkt im Netz platzieren. Wie wird sich das Erscheinungsbild verändern?
Auf heute.de geht die Entwicklung sehr stark dahin, wegzugehen von geschriebenen Texten, wie ich sie auch früher als Washington-Korrespondenz häufig zugeliefert habe. Die Entwicklung wird hin zu Blogs und Videoinhalten gehen. Der User sucht nicht zuerst Wortmeldungen, sondern Videos. Und hier schließt sich der Kreis: Denn da wir bald schon Nachrichten um 9.00 und um 12.00 Uhr liefern, wird auch der heute.de-Auftritt dynamischer, vor allem in den frühen Stunden des Tages.
Wie sind denn die Abrufzahlen der "heute"-Sendungen in der ZDF-Mediathek im Internet?
Die Abrufzahlen sind ganz gut. Zumindest können wir uns mit der Konkurrenz in dem Genre Nachrichten messen. Aber gemessen an der Zuschauerzahl im Hauptprogramm ist dies nur ein ganz kleiner Anteil. Die Größenordnung ist eine völlig andere. Natürlich ist sind die Konsumenten im Internet viel jünger als die Zuschauer im Fernsehen. Deshalb ist das Internet auch für das ZDF so interessant. Hier kommen wir an eine Zielgruppe ran, die wir im Fernsehen nicht kriegen.
Wie wollen Sie konkret junge Menschen für die "heute"-Nachrichtensendung interessieren?
Ich kann versuchen, am Format vieles zu verändern, mehr Überraschungen reinzubringen, mehr positive Elemente einzustreuen, jeden Tag Sport bringen, was auch bald passieren wird. Ich werde mich bemühen, dass die Nachrichten auch für ein jüngeres Publikum verständlich sind. Aber ich bin mir bewusst, dass wir mit all diesen Veränderungen nicht in kurzer Zeit das zurückholen können, was wir über lange Zeit verloren haben.
Bei den 14 bis 29-Jährigen schauten im Oktober im Schnitt nur noch 60.000 junge Menschen die "heute"-Ausgabe um 19 Uhr. Wie erklären Sie sich den rapiden Quotenschwund?
Das, was Sie beschreiben, ist das Ergebnis einer Entwicklung über Jahrzehnte. Das hängt mit dem Auftreten der privaten Konkurrenz in den 80er Jahren zusammen, die den Markt völlig neu ordnete und sich auf diese Zielgruppe fokussiert hat. Wir haben über die Jahre viel verloren. Das Zurückzuholen ist nichts, was ich als Leiter der "heute"-Redaktion mal eben so hinkriegen kann. Denn Quoten haben auch immer etwas mit dem Gesamtprogramm eines Senders zu tun. Wir können dieses Problem nur gemeinsam lösen.
Seit September beantworten Sie einmal wöchentlich im Anschluss an die Sendung in "heute plus" auf ZDFinfo Fragen zur Nachrichtenaufbereitung des Tages. Nutzen Sie das Feedback der User und Zuschauer für die inhaltliche Gestaltung der "heute"-Sendungen?
"Heute plus" ist für uns ein interessantes Experiment. Wir werden versuchen, das Feedback der Zuschauer ins Hauptprogramm miteinfließen zu lassen. Wir sprechen darüber auch in Konferenzen.
Wird es "heute plus" auch im kommenden Jahr geben?
Ja, klar. Das Format wird es auch weiter geben. Ab Januar wird es allerdings einen Sendeplatzwechsel geben. "heute plus" kommt dann immer freitagabends.
Kritik gab es zu dem vor zwei Jahren eingeführten Erklärgrafiken. Werden Sie sie weiter nutzen?
Natürlich. Wir haben da ein Tool, das in dieser Form kein anderer hat. Deshalb will ich die Erklärgrafiken weiterentwickeln und häufiger verwenden. Dafür muss noch das Personal umjustiert werden, wir brauchen hier nicht mehr Leute, sondern eine andere Struktur. Bereits seit den letzten Monaten bringen wir täglich mindestens eine Erklärgrafik. Ich halte das für gut, denn wenn eine Erklärgrafik gut gemacht ist, kann sie sehr viel verständlich machen, was ich als Moderator mit vielen Worten so nicht leisten könnte.
Was halten Sie von Twitter, Facebook oder Youtube, um Nachrichten zu generieren?
Youtube nutzen wir regelmäßig. Zwar kann man die Quellen nicht prüfen und man muss auch hinterfragen aus welchen Interessen jemand ein Video auf Youtube stellt. Aber bei Ländern wie Syrien, wo seit Monaten kein ausländischer Journalist mehr hingekommen geschweige denn ein Kameramann, da ist die Welt fast ausschließlich auf die verwackelten Youtube-Bilder angewiesen. Natürlich nutzen wir das dann, denn was, wenn nicht das, sollen wir senden?
Knapp vier Jahre waren Sie Korrespondent in Washington. Sie kennen also auch den US-amerikanischen Nachrichtenmarkt. Dort gehen die Entwicklungen momentan dahin, dass Sender wie Fox News oder MSNBC mit Meinungsjournalismus sehr erfolgreich sind, wohingegen CNN mit Faktenjournalismus deutlich verliert. Planen Sie, gewisse Elemente aus dem TV-Journalismus in den USA zu übernehmen?
Ich hab das genauso wie Sie beobachtet. Leider ist das so, dass Fox News und MSNBC mit einer parteipolitischen Konditionierung erfolgreicher waren als die CNN mit dem Versuch, neutralen Journalismus zu betreiben. Ich hoffe, dass das nicht nach Deutschland kommt. Denn bisher haben wir mit unseren Nachrichten den Amerikanern etwas voraus: Wir halten Distanz und machen eben keinen Meinungsjournalismus. Gut gefallen mir bei den Amerikanern die Serienblöcke, etwa über Indien, die dann über eine Woche laufen. Das würde ich mir für uns auch wünschen, ein tieferes Einsteigen vorausgesetzt, es gibt einen Anlass. Und dann natürlich das Einstreuen von guten Nachrichten. Das meinte ich mit Überraschungen. Wie zum Beispiel einen Bericht über eine deutsche Ärztin, die ihre Koffer packt und in Somalia kranken Menschen hilft. Hier zählt die Botschaft: Mensch guck mal, es gibt nicht nur Erdbeben in Neuseeland. Es ist nicht nur Pest und Cholera, was Nachrichten ausmacht.
Gibt’s sonst noch beim ZDF "good news"? Wann kommt denn die "heute"-App?
Ich kenne noch keinen genauen Termin. Ich habe den Zeitraum Juli/August gehört. Ich hoffe also, dass die App nächstes Jahr kommt.