Podcasts in Deutschland:
"Wir verstopfen uns den Markt mit Produktionen auf Kaffeeklatsch-Niveau"
Zu viel Angebot für zu wenig Nachfrage: In den USA sieht es nach einer Marktbereinigung im Podcast-Geschäft aus. Auch in Deutschland wird der Boom hinterfragt.
Das "Wir sind jetzt auch bei Second Life" der Nullerjahre heißt heute "Wir starten einen Podcast". Ob mit ähnlich enttäuschendem Ergebnis, ist noch nicht abzusehen. Aber zumindest in den USA scheint der Audio-Boom abzukühlen. Buzzfeed hat angekündigt, die meisten Podcasts einzustellen, das interne Audio-Team aufzulösen und weitere Projekte von Freealancern erledigen zu lassen. Auch das Podcast-Network der Slate Group will keine neue Formate mehr entwickeln. Die Redaktion wurde entlassen. "Es gibt zu viele Podcasts, die um ein begrenztes Werbebudget konkurrieren", zitiert das US-Blog Poynter einen Branchen-Insider.
Auf dem deutschen Markt hat das Thema schon immer polarisiert. Es gibt 3 Gruppen: Die Fans, die schon immer von Podcasts fasziniert waren, die Skeptiker, die damit nichts anfangen könnnen und die Mitläufer, die jeden digitalen Hype cool finden.
Platzt eine Podcast-Blase?
Zur ersten Fraktion gehört Vincent Kittmann, der Audio-Chef der Online-Markerting Rockstars. Kittmann verantwortet an der Seite von OMR-Chef Philipp Westermeyer eines der wichtigsten Podcast-Portfolios der Digitalbranche. Er sieht die Vorgänge in den USA eher als "Marktkonsolidierung, nicht als das Platzen einer Blase." In Deutschland seien "bisher keine negative Anzeichen" erkennbar.
Erst zur Dmexco hatte Westermeyer im Interview mit W&V ein großes neues Podcast-Projekt angekündig: Die Vermarktung des Promi-Formats "Joko und Paul" mit Joko Winterscheidt und Paul Ripke:
Einer der Pioniere des deutschen Podcast-Marktes ist Alex Wunschel. Der Münchner Digitalberater betreut u.a. Audioformate für die Dmexco und die Telekom. Er glaubt, dass sich die Branche von der Idee des billigen Massenware verabschieden muss: "Wir verstopfen uns hier aktuell den Markt durch halbherzige Produktionen, Interview-Marathons auf Kaffeeklatsch-Niveau oder niederschwelligen Dirty-Talk-Formaten auf Dr. Sommer-Niveau. Und verkrampfen dabei mit gierigem Blick auf Reichweiten. Wenn wir hier endlich über Werbewirkung anstatt TKPs diskutieren würden, dann stünden die Kosten für gute Podcast-Produktionen auch in einem anderen Licht."
Podcasts machen keinen Vermarkter reich
Michael Praetorius, Journalist, Moderator und Consultant aus München, sieht es noch kritischer. Podcasts seien zwar aber "ein brauchbares Instrument" für Eigen-PR und Kundenbindung, aber allein schon die eingeschränkten Möglichkeiten der Datenauswertung setze der Vermarktung Grenzen: "Der gesprochene Werbe-Break wird keinen Podcaster reich oder einen Werbekunden happy machen."
Tatsächlich spielen Podcasts im deutschen Werbemarkt noch keine nennenswerte Rolle. Im vergangenen Mai schätze Frank Bachér, Leiter digitale Medien beim Hamburger Vermarkter RMS, das Umsatzpotenzial für Podcastwerbung in Deutschland für das Jahr 2018 auf rund 700.000 Euro. "Klassisches Zusatzgeschäft mit moderatem Umsatzvolumen", umschreibt es Oliver Adrian, Geschäftsführer AS&S Radio Zum Vergleich: In den USA wurden für das laufende Jahr Werbe-Erlöse in Höhe von 256 Milllionen Dollar prognostiziert.
Nico Lumma, Managing Partner der Hamburger Next Media Accelerators glaubt nicht, dass der deutsche Podcast-Markt jemals aus der Nische herauskommt: "Ich habe den Hype nie verstanden und frage mich immer, wie Leute so viel Zeit für den Konsum finden sollen."