"Spiegel" verteidigt Amok-Titel:
"Wir sind überzeugt, unserer Verantwortung nachgekommen zu sein"
Die "Spiegel"-Berichterstattung über die Morde in München zeigt, dass ausgerechnet das renommierteste Magazin der Republik nichts über angemessene Berichterstattung gelernt hat.
Peinliche Wahrheit aus Hamburg. Während sich Deutschlands Medien offen der Ethikdiskussion stellen und sich für die eine oder andere Berichterstattung über die letzten Terrorakte entschuldigen oder zumindest rechtfertigen, hält sich der "Spiegel" an keine Grenzen. Hier einige Beispiele aus der aktuellen Ausgabe:
Das Titelbild zeigt in heroischer Form einen Täter, der auf den Leser zielt – durch eine zerschossene Glasscheibe in Form einer Deutschlandkarte.
Amoktäter, auch aus Erfurt, Norwegen oder Winnenden, werden mit vollem Namen genannt.
Der Täter aus München wird großflächig als Opfer der Gesellschaft dargestellt, oftmals ohne Belege, ein Beispiel:
"Du Opfer" sagen sie auf dem Schulhof zu Kindern, die sich nicht wehren können.
Hier ist kein Bezug zum Täter gegeben.
Die Verherrlichung der Tat und der Waffe mit gruseliger Wortwahl; "Die Wahl fiel auf eine Glock 17, die gleiche Pistole, die ...(hier nennt der "Spiegel" zwei Täter mit vollem Namen) ... benutzt hatten. Mit der Glock können selbst ungeübte Schützen gut umgehen, weil sie wenig wiegt und sich der Abzug leicht bedienen lässt."
Die Tatwaffe wird auch optisch verherrlicht, mit einem riesigen Foto.
Der Zugang zum Darknet wird ausführlich beschrieben.
W&V hat bei "Spiegel"-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer nachgefragt. Immerhin gibt es den Pressekodex, der in Ziffer 11 regelt, wie mit Sensationsberichterstattung umzugehen ist. Unter dem Begriff "Sensationsberichterstattung" formuliert der Presserat etwa den Umgang der Berichterstattung über Gewalttaten:
"Bei der Berichterstattung über Gewalttaten, auch angedrohte, wägt die Presse das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen die Interessen der Opfer und Betroffenen sorgsam ab. Sie berichtet über diese Vorgänge unabhängig und authentisch, lässt sich aber dabei nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen."
Es ist bekannt, ist der Münchner Täter von Norwegen und Winnenden inspiriert worden. Auch wissen wir, durch welche Faktoren Nachahmertaten entstehen. Dazu zählt u.a. die Heroisierung des Täters durch Titelbild, Namensnennung und Waffenbeschreibung. Medien haben also eine besondere Verantwortung.
Was sagt also "Spiegel"-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer dazu? Zunächst einmal gar nichts.
Wir wollen beispielsweise von ihm wissen, was er mit dem aktuellen Cover bezwecken will und ob die Medienkritik an ihm vorbeigerauscht sei. Oder welche Konsequenzen er daraus ziehe.
Nach 5 Stunden und 33 Minuten teilt uns Kommunikationsabteilung des "Spiegel" mit:
"Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass wir die von Ihnen geschickten Fragen, in denen Sie dem "Spiegel" Sensationsberichterstattung unterstellen, nicht einzeln beantworten möchten. Wir sind überzeugt, unserer Verantwortung angemessen nachgekommen zu sein."
Laut "Spiegel" gab es "weder Leserreaktionen über die Social-Media-Kanäle am Wochenende, noch eine Beschwerde über den Presserat, noch eine Thematisierung unseres Heftkritikers heute Morgen in der Konferenz."