Generation Z:
"Wir bilden an der künftigen Arbeitsrealität vorbei aus"
Lethargisch, inkompetent und überfordert: So denken viele Entscheider über die Generation Z. Gerald Lembke, Professor an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, fordert eine differenziertere Sicht.
Was ist dran an dem vielfach harten Urteil über die 18- bis 25-Jährigen? Steht es um die Schüler, Studenten und Berufsanfänger wirklich so schlecht? Ja und nein, sagt Gerald Lembke, Professor für Betriebswirtschaftslehre, Medienmanagement und Kommunikation an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim, im Interview.
Ob wir es wollen oder nicht – "unsere Arbeitskultur wird sich radikal verändern", sagt der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, der erst kürzlich das Buch "Verzockte Zukunft. Wie wir das Potenzial der jungen Generation verspielen" veröffentlicht hat.
Herr Lembke, können Sie die Vorurteile, die gegenüber der Generation Z vorherrschen, bestätigen?
Ich arbeite mit dieser Generation den ganzen Tag zusammen, das ist ja mein Job. Und ich bin an einer dualen Hochschule, was bedeutet, dass ich gemeinsam mit unzähligen Partnerunternehmen aus der Wirtschaft die jungen Leute in Bachelor und Master ausbilde. Von den Entscheidern kommt ein großes Unverständnis über die Werteentwicklung der jungen Menschen. Das fing bei der Generation Y, den 25- bis 30-Jährigen, schon an, und hat sich bei der Generation Z deutlich verschärft.
Inwiefern?
Anders ist, dass die tradierten Wertemuster, die in den letzten 30 Jahren zum Wohlstand unseres Landes und der Unternehmen geführt haben, nicht mehr vorhanden zu sein scheinen und diese Leistungspragmatik nicht mehr gilt. Was wir jetzt mit den jungen Leuten beobachten, sind die ersten Vorboten einer radikalen Veränderung von Gesellschafts- und Arbeitskultur, auf die wir als Gesellschaft und Wirtschaft heute in keinster Weise vorbereitet sind.
Was bedeutet dieser Wertewandel für die Arbeitswelt?
Wir werden in den nächsten 10, 15 Jahren eine Revolution in den Unternehmen erleben, die erstmalig nicht top down, also von oben politisch, vom Management oder von den Kunden initiiert wurde, sondern von den jungen Leuten hineingetragen wird und die Art und Weise der Zusammenarbeit verändern wird.
Wie sieht diese dann aus?
Wir werden in Zukunft sehen, dass das hierarchische Zusammenarbeiten, also Chef und Untergebener, völlig aufgeweicht wird. Die jungen Leute wollen und werden künftig – und zwar egal, mit wem – auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Und sie möchten die Leistung nicht mehr allein in einem Ein-Mann- oder Eine-Frau-Büro erbringen, in dem sie acht Stunden sitzen, sondern sie möchten völlig unabhängig vom Ort der Arbeit in der Gemeinschaft Ergebnisse erzielen. Wenn das vorhanden ist und funktioniert, dann sind sie zu Höchstleistungen bereit und in Teilen auch fähig.
Warum nur „in Teilen“?
In dieser Generation – und bitte, da muss man differenzieren – sind natürlich nicht alle unfähig. Dafür sind wir Menschen ja viel zu unterschiedlich. Aber was wir seit fünf, sieben Jahren signifikant beobachten ist, dass die jungen Leute doch einen stark ansteigenden Defizitpegel in bestimmten Fähigkeiten, Fertigkeiten und ihrer Persönlichkeit haben.
Wo „schwächeln“ sie denn?
Da sind Defizite insbesondere im kognitiven Bereich, konkret: Man denkt nicht mehr so gerne über Dinge nach, man möchte sie auch nicht zu sehr vertiefen. Das liegt auch daran, dass man gerne in die digitalen Medien ausweicht und schnell mal googelt oder ein Youtube-Video anschaut, wo man meint, die Lösung zu finden. Man möchte vorgefertigtes Wissen letztendlich repetieren, anstatt es sich selbst zu erarbeiten und zu neuen Erkenntnissen zu kommen.
Was nicht unbedingt mit dem Anspruch auf die Zusammenarbeit auf Augenhöhe zusammenpasst …
Ja, vor allem, weil wir auch deutliche Defizite im sozialen Verhalten beobachten, insbesondere was die Kommunikationsfähigkeit selbst angeht. Und da liegt ein ganz konkretes Dilemma: Auf der einen Seite möchten sie tatsächlich auf Augenhöhe mit fachlichen Experten arbeiten. Aber auf der anderen Seite können sie mit denen gar nicht richtig kommunizieren, weil sie nicht das entsprechende Fachwissen haben.
Woher rühren diese plötzlichen Defizite?
Das fängt schon bei der Bildung an. Was hier passiert, also an Schulen und auch bei uns an der Universität, ist eine regelrechte Katastrophe. Wir füllen die jungen Leute immer mehr mit noch mehr Fachwissen ab. Das führt dazu, dass sie zwar wunderbar auswendig lernen können und das auswendig Gelernte per „Bulimie-Lernen“ zum Zeitpunkt x auch aufs Papier bringen können. Aber in der unmittelbaren Anwendung am selben Tag abends wissen sie schon nicht mehr, womit sie sich beschäftigt haben. Ein phänomenales Dilemma. Wir füllen sie ab, aber sie können nix. Wir tun alles Mögliche in der Bildung, aber wir schaffen keine Handlungskompetenzen für die jungen Leute.
Was sind die Folgen?
Das führt dazu, dass wir Leute produzieren, die mit den Anforderungen, die jetzt gesellschaftlich und ökonomisch auch durch die Digitalisierung auf uns eindreschen, überhaupt nicht umgehen können. Also haben wir eine sehr tiefe Schlucht zwischen dem, was notwendig ist, und dem, was vorhanden ist.
Unser Bildungssystem ist aber schon ziemlich lange so. Warumfruchtet es bei den jetzigen jungen Leuten nicht mehr ?
Das Problem ist, dass die Anforderungen an die sogenannte Bildung Jahr für Jahr steigen durch Rahmenstudienpläne, die immer voller werden, deren Inhalte und Forderungen aber an den Bedürfnissen der jungen Leute völlig vorbeigehen.
Ein Beispiel: Die Nachwuchskräfte wollen agil und virtuell arbeiten. Sie möchten nicht morgens um acht in ein Büro gehen und abends um fünf wieder rausgehen.Sie wollen auch nicht den Chef haben, der ihnen sagt, was sie zu tun haben. Aber schauen Sie in die Rahmenstudienpläne der Schulen und der Universitäten hinein, da steht genau das drin: Wie funktioniere ich in einem klassischen Projekt, wo ein Chef mir sagt, was ich wann wie wo zu tun habe.
Sie werden auf die alte Welt ausgebildet …
Und die neue Welt wird eine völlig andere sein. Das merken die jungen Leute und deswegen sagen sie, ok, ich lerne den Mist auswendig, aber verstehen muss ich das nicht, weil so werden wir ja eh nicht arbeiten und so wollen wir nicht arbeiten. Das ist das Thema.
Wie können wir aus diesem Dilemma wieder herauskommen?
Wir brauchen jetzt erst mal einen gesellschaftlichen Diskurs, wir brauchen eine laute Stimme der jungen Leute, wir sollten dem Nachwuchs eine Lobby schaffen und auch Foren schaffen, um sich zu äußern. Damit wir Älteren von ihnen zunächst erst mal ein Verständnis gewinnen können und vielleicht sogar auch lernen können. Also ich lerne von den Jungen unglaublich viel.
Was zum Beispiel?
Naja, wir können von den jungen Leuten lernen, dass dieses Wachstumsparadigma nicht dazu führt, dass man happy wird. Wir können lernen, dass alternative Entwicklungspfade einfach auch wichtig sind. Dass die lineare Berufsentwicklung, mit 15 Abitur, mit 17 promoviert, mit 20 Manager, mit 23 Milliardär …
Und mit 25 ausgebrannt …
Genau! Dass dieses Leistungsdenken unserer Generation eben nicht mehr das herrschende Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell für die Zukunft sein kann. Dass wir in unserer zukünftigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung einfach viel liberaler, viel kooperativer miteinander umgehen müssen und ein neues, sinnstiftendes Paradigma benötigen. Dass das Folgen von Autoritäten Blödsinn ist und schon immer war. Dass Wissen eben nicht dadurch entsteht, indem es einen Schlauen gibt und 1000 Doofe. Und dass die Wertschöpfung wirklich in der Kooperation liegt und nicht mehr im Einzelkämpfertum. All das können wir von ihnen lernen.
Wenn man sie richtig anpackt und mit den richtigen Themen, dann wollen sie sich auch engagieren …
Absolut. Aber da müssen wir sie auch an die Hand nehmen, unser Know-how und unsere Lebenserfahrung an sie weitergeben, damit sie so schnell wie möglich Zukunft gestalten können. Wenn wir das nicht tun, verzocken wir unsere Zukunft.
Wenn wir ehrlich sind, haben wir das mit 18, 20 ja auch schon gebraucht, vielleicht nicht ganz so stark wie die jetzige Generation …
Aber die Umbrüche und gesellschaftlichen wie wirtschaftliche Herausforderungen waren noch nie so intensiv, wie wir sie jetzt beobachten.