Zukunft der Werbung:
"Wenn selbst Facebook es kapiert, kann es doch nicht so schwer sein"
Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Nur im Mediabereich brennt mal wieder der ganze Baum. W&V-Kolumnist Thomas Koch alias "Mr Media" blickt auf ein bizarres Jahr zurück und erklärt, was 2017 passieren muss.
Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Nur im Mediabereich brennt mal wieder der ganze Baum. Zum Jahresende wird es Zeit für einen Rückblick auf ein ereignisreiches Jahr - und für einen Ausblick auf das Neue. Was ist geschehen? Was wird geschehen? Was muss geschehen?
Das Sterben der alten Medien, tausendfach vorhergesagt, ist erneut vertagt. Zeitungen, deren Ende Bill Gates spätestens für das Jahr 2000 prognostizierte, erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Nach der Wahl Trumps und den "Fake News" im Netz steigen die Auflagen von "Washington Post" und "New York Times", als hätte die Welt plötzlich begriffen, dass es auch seriöse Nachrichtenquellen gibt. Ähnliches dürfte in Deutschland nach der Bundestagswahl passieren.
Die Magazine stehen vor einer Renaissance. Zwar verlieren viele der alten Dickschiffe an Auflage, aber nie zuvor wurden dies- und jenseits des Atlantiks so viele neue Magazine erfolgreich eingeführt. Sterben sieht anders aus. Schade nur, dass einzig die Mediaplaner es in ihrer digitalen "Besoffenheit" nicht wahrnehmen wollen. Schade auch, dass der VDZ in dieser kritischen Phase so zerstritten ist, dass ein gemeinsames Voranschreiten weiter entfernt ist denn je.
TV, das auch schon längst zu den Medien-Ladenhütern gehören müsste, zumindest wenn es nach den Aussagen aus dem digitalen Lager ginge ("analoges Fernsehen guckt kein Mensch mehr"), erfreut sich größter Beliebtheit und sprudelnder Einnahmen. Die Vermarkter IP und Sevenone würden zwar niemals zugeben, dass sie der plötzliche Geldsegen kalt erwischte, dafür sitzen sie hinter ihren Schreibtischen und feixen.
Radio tritt irgendwie auf der Stelle und wüsste zu gern, was für ein Medium es eigentlich sein will. Aber sterben will es auch nicht so recht. Die Außenwerbung glänzt mit immer neuen Digital-Out-of-Home-Screens und wird von den Werbekunden förmlich überlaufen. Das Digital Media Institute veröffentlichte mit seiner neuen Studie Reichweiten, die selbst TV alt aussehen lassen und alles, was Online bislang reichweitentechnisch zuwege brachte, in den Schatten stellt.
Apokalyptische Digitalritter
Tja… Online. Sie kennen aus dem 6. Kapitel der Johannes-Offenbarung die "Vier Apokalyptischen Reiter". Nun, Online kommt mit vier apokalyptischen Digitalrittern nicht einmal aus. Es sind derer mindestens sieben.
Display ist, da sind sich selbst die eingeschworensten Digital-Aposteln einig, am Ende. Die Klickraten nähern sich unaufhörlich der toxischen Null-Linie. Der US-Werber und Autor Bob Hofmann, dem wir zuletzt beim Screenforce-Day zujubelten, schätzt, dass "Ad Fraud" bald weltweit die zweitgrößte Quelle des organisierten Verbrechens sein wird - nach dem Handel mit Drogen.
Den digitalen Plattformen fehlt es zudem an gültigen und überprüfbaren Währungen. Facebook erschreckte kürzlich die Branche mit weit überhöhte Daten zur Video-Viewdauer. Während die US-Kunden erbost Schadenersatz fordern, glänzen die deutschen Kunden und Agenturen mit schweigender Hilflosigkeit. Zuletzt gab Facebook dann auch noch versehentlich Brutto- als Netto-Reichweiten aus. Nun gut, der Unterschied ist Branchenfremden nicht leicht zu erklären. Da kann es schon einmal leicht zu Verwechselungen kommen.
Search, das wohl mächtigste aller Online-Tools, funktioniert dagegen prächtig. Und die digitale Arbeit an der Customer Journey verspricht ebenso großen Erfolg. Doch beides sind nicht Werbung, sondern Vertriebsmaßnahmen. Search gehört eindeutig in die Nielsen-Kategorie "Verzeichnismedien" und ersetzt die Gelben Seiten. Die Customer Journey macht Sinn für PKW und Finanzdienstleistungen, scheitert jedoch schnell bei Joghurt, Kaffee und Badreinigern - also leider in den FMCG-Kategorien, die das meiste Werbegeld auf sich vereinigen. Beides, SEA und CJ, sind geniale Vertriebs-Werkzeuge, aber keine Werbung.
Tragbare Werbung
Mobile, der angebliche Erlöser aus dem digitalen Dilemma, ist kein Medium, sondern eine technische Ausspielvariante und umschreibt so etwas wie "tragbare Werbung". Zwei Drittel der Mobile-Anwendungen geschehen nicht einmal "mobil", sondern stationär. Und auf den mobilen Endgeräten findet sich leider erschreckend wenig Platz für Werbung. Wenn Mobile die Zukunft sein soll, ist es eher "The End Advertising As We Know It".
Social Media erzeugt ein nur fragwürdiges Engagement. Laut Forester Research interagieren nur 0,07 Prozent der Facebook-Nutzer und gar nur 0,01 Prozent der Twitterer auf Posts von Markenartiklern. Wenn selbst Procter & Gamble, der vermeintliche Vorreiter für alles in Marketing und Media, aus dem Facebook-Targeting wieder aussteigt (welch Überraschung, dass es für Waschmittel und Binden nicht funktionierte), ist das ein Paukenschlag, der aufhorchen lässt.
Influencer Marketing ist bereits ins Gerede gekommen, bevor es überhaupt Flughöhe erreichte. Es befindet sich in der Mehrzahl der Fälle so gefährlich nahe an unzulässiger Schleichwerbung, dass man besser die Finger davon lassen sollte, bevor man Post von der Staatsanwaltschaft bekommt. Das gilt nicht minder für Native Advertising. Die Vermarkter schrammen hier dermaßen bedenklich am Schleichwerbeverbot ("kaum von redaktionellen Beiträgen zu unterscheiden", "diskret als Anzeige gekennzeichnet"), dass größte Vorsicht geboten ist. Nach Zukunft der digitalen Werbung sieht es jedenfalls nicht aus.
Wenn Content Kinder bestraft
Einzig Content Marketing ergibt Sinn. Relevante Inhalte für die interessierte Zielgruppe an der richtigen Stelle war schon immer Ziel der Werbung und digitale Plattformen liefern hierfür eine neue, faszinierende Spielwiese. Es sei denn, man macht es wie Pampers, liefert eine Anleitung zur Bestrafung von Kleinkindern mittels "Auszeiten", empört damit tausende User (allerdings auch den Deutschen Kinderverein) und muss den "Content" wieder von seiner Homepage entfernen. Auch Content braucht Intelligenz, Sensibilität und gesunden Menschenverstand.
Zum Thema des gesunden Menschenverstands fällt einem zu guter Letzt noch Programmatic ein. Es ist die größte Black-Box, die von Agenturen je erfunden wurde. Programmatic ist zwar in höchstem Maße effizient (= billig), aber zugleich gefährlich und schwer steuerbar. Es führt schlimmstenfalls zu Seifenwerbung auf Videos des IS (Quelle: Pulitzer-Preisträger und NYT-Kolumnist Thomas L. Friedmann) und bringt die Kunden derzeit gegen ihre Agenturen auf.
Vertrauen vergeigt
Ausgelöst auch durch das Aufkommen von Programmatic beklagen die Werbekunden mehr denn je die mangelnde Transparenz bei ihren Mediaagenturen. Nur noch knapp die Hälfte der OWM-Mitglieder vertraut ihrer Agentur. Im Jahr zuvor waren es immerhin noch 95 Prozent. Hier tickt eine (digitale) Zeitbombe alarmierenden Ausmaßes. Es sei denn, die Forderungen der Kunden erweisen sich einmal wieder als reine Worthülsen. Es wird Zeit, dass auf Forderungen auch Konsequenzen folgen.
"Die Ernüchterung gegenüber digitaler Werbung hat tatsächlich in den letzten Monaten zugenommen", bilanziert denn auch Joachim Schütz, Geschäftsführer der OWM, in W&V.
Fasst man das alles zusammen, kommt man unweigerlich zum Schluss, dass dies alles keine Lösungen sind, sondern die Probleme, die wir mit digitaler Kommunikation haben, höchstens vergrößern. Wir brauchen neue Lösungen. Hier ein konstruktiver Versuch:
Licht am Ende des digitalen Tunnels
Online, also digitale Werbung mitsamt aller Ausspielvariationen, bespielt und befeuert eindeutig den Vertrieb. Klassische Markenkommunikation, Markenaufbau, Positionierung, Vertrauensaufbau, Branding und Recognition, ausgestattet mit unverzichtbarer Reichweite in der Zielgruppe und weit über sie hinaus - das ist die Domäne der klassischen Werbekanäle. Und wird es noch viele Jahre bleiben. In dieser Funktion kann man die herkömmlichen, analogen Medien nicht durch Online ersetzen. Wenn selbst Facebook das begreift, kann es doch nicht so schwer sein.
Online ist eine Ergänzung, auf die kein Marketer und Werber jemals wieder verzichten möchte. Man muss den digitalen Kanälen nur endlich einen Sinn geben, ihnen eine Funktion zuweisen, in der sie ihre ungestüme Kraft entfalten können. Und die finden wir am Ende des Brand Funnels - da wo gekauft wird. Weiter vorne, wo es um Bekanntheit, Vertrauen und Relevant Set geht, haben die alten Medien wenig oder gar nicht an Kraft eingebüßt.
Wenn diese Zuordnung stimmt, wenn das die richtigere Lösung ist als die unzähligen Fehler der Vergangenheit, dann sollte Online gerechterweise zu großen Teilen aus dem Vertriebsbudget finanziert werden. Dann verbleiben genügend Etatmittel für die Markenpflege, die wir in den letzten Jahren so sträflich vernachlässigt haben.
Dann stünden wir vor einem großartigen Jahr 2017, in dem die Marken prosperieren, die Marketing- und Mediachefs endlich Licht am Ende des digitalen Tunnels sehen, die Medien sich in Ruhe für die Zukunft aufstellen und selbst für Mediaagenturen noch Platz ist. Und alle sind glücklich. Selbst die Onliner.
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