Er weiß: Wenn das Tech-Team aktiv beim Bewerbungsprozess mitwirkt und bei der Ansprache und der Rollenbeschreibung maßgeblich unterstützt, sind auf seiner Job-Plattform die Erfolgsquoten höher. Die Chance auf einen Rekrutierungserfolg verdoppele sich dann, sagt Taner.

Außerdem hätten viele Unternehmen falsche Vorstellungen von den Prioritäten ihrer potenziellen Kandidaten. "Wir haben unsere Teilnehmer einmal gefragt, was ihnen bei ihrem Job am wichtigsten sei", sagt Taner. "Auf dem ersten Platz landete das Team, dann folgte Work Life Balance, auf dem dritten Platz Möglichkeiten zur Weiterentwicklung und dann erst kam das Gehalt."

Taner hat noch einen weiteren Kritikpunkt: Unternehmen seien auch oft beim Bewerbungsprozess zu behäbig. "Vielen Bewerbern ist der Hiring-Prozess zu langsam, sie entscheiden sich dann für ein anderes Angebot - ein Drittel wird deshalb abgesagt."

Für die Bewerber sei die Transparenz des Einstellungsprozesses sehr wichtig. "Die Kandidaten fühlen sich nicht wertgeschätzt, wenn man sich nach dem Gespräch zu lange nicht meldet - sie haben ja Zeit investiert, um vielleicht eine Testaufgabe zu bewältigen und bekommen dann lange kein Feedback." Unternehmen müssten sich mehr um die Kandidaten bemühen.

"Man muss den Pool an potenziellen Talenten groß halten"

Passende Bewerber im Tech Bereich zu finden, sei nicht einfach, sagt auch Zillmer von InnoGames. Zwar habe man es im Bereich Games etwas einfacher, räumt er ein. "Das interessiert mehr Leute, weil es kreativ ist und es nicht nur um reines Programmieren geht."

Aber auch bei InnoGames in Hamburg bemüht man sich, potenzielle Mitarbeiter mit Extras an sich zu binden: "Bei uns gibt es zahlreiche Benefits: Die Arbeitsprozesse sind agil, die Arbeitszeiten flexibel." Und natürlich dürfen Freigetränke und Fitnessstudio nicht im Mitarbeiter-Wohlfühlpaket fehlen. "Die Extras sind wichtig. Aber am Ende muss auch das Gehalt wettbewerbsfähig sein", sagt er.

Am wichtigsten bei der Suche nach geeigneten Kandidaten ist aber: "Man muss den Pool an potenziellen Talenten groß halten", erklärt Zillmer. Deshalb suche InnoGames auch im Ausland nach passenden Bewerbern. "Unsere Unternehmenssprache ist Englisch; das ermöglicht uns, weltweit zu suchen. Außerdem sind wir offen für andere Kulturen und Denkweisen."

"Deutsche Unternehmen müssen offener werden – vor allem im Mittelstand“

Taner sieht das genauso: "Unternehmen, vor allem in der traditionellen Industrie, beschränken sich oft auf deutsche Teams - damit grenzt man sich den Pool an Bewerbern stark ein. Im Silicon Valley sind 70 Prozent der Fachkräfte im Ausland geboren. Auch deutsche Unternehmen müssen da offener werden – vor allem im Mittelstand."

Nur: Internationale Fachkräfte tun sich im deutschsprachigen Berufsumfeld oft schwer, die Sprache ist ein großes Hindernis. Außerdem: Wie soll sich ein Traditionsunternehmen an diese modernen Anfordernisse des Stellenmarktes anpassen? In einem Start-up Englisch als Unternehmenssprache etablieren und agile Prozesse einführen – das ist vergleichsweise einfach. In einem Mittelständischen Unternehmen eher nicht.

"Natürlich fällt es erst einmal schwer, die Unternehmenskultur zu ändern, man kann aber Schritt für Schritt vorgehen – zum Beispiel mit Innovationszentren, in denen Tech-Teams an neuen Features arbeiten", schlägt Taner vor. Dort könnten internationale Teams aufgebaut werden, die dann langsam in die Firmen-Kultur einwirken. "Man muss sich nicht von 0 auf 100 ändern, es geht auch graduell."

"Wir legen viel Wert auf soziales Miteinander"

Eine weitere große Hürde für internationale Kandidaten aus dem Ausland: Visa-Prozesse und Umzug. Deshalb greift InnoGames seinen internationalen Mitarbeitern mithilfe eines Onboarding-Programms und einer Relocation-Agentur unter die Arme, damit sie gut in der neuen Heimat ankommen. "Das spielt beim Onboarding-Prozess eine entscheidende Rolle. Wir unterstützen sie bei Behördengängen, Visa und der Wohnungssuche. Außerdem legen wir viel Wert auf soziales Miteinander."

Mit 48 Events pro Jahr soll das Team zusammenwachsen. Auch Partner und Familie werden mit einbezogen: "Die Partnerinnen und Partner der Kollegen können donnerstagabends zu uns kommen und sich austauschen", sagt Zillmer. Ihm sei auch wichtig, dass die Neuankömmlinge Deutsch lernen und die kulturellen Besonderheiten Deutschlands kennen lernen. Das Unternehmen bietet daher Sprachkurse für neue Kollegen und deren Familien.

Wie sieht die Zukunft aus?

Unternehmen können sich darauf einstellen, dass in Zukunft noch mehr IT-Talente gebraucht werden: "Wir sind noch am Anfang der Digitalisierungswelle", meint Taner. "Gerade kann man zum Beispiel einen starken Anstieg von KI und Data Science sehen - diese Bereiche werden weiter wachsen. Die Situation am Arbeitsmarkt wird sich also weiterhin verschärfen.“

Auf der IT-Job-Plattform Honeypot gebe es jede Woche über tausend Neuanmeldungen von IT-Talenten aus aller Welt, sagt er. Deshalb sollten sich Unternehmen nicht nur auf lokale Kandidaten fokussieren.

Und vielleicht auch nicht nur auf Männer: Eine Studie der Plattform ergab, dass Frauen in Deutschland im IT-Bereich durchschnittlich 25 Prozent weniger verdienen als Männer. "Deutschland ist im EU-Vergleich besonders unfair", sagt Taner. Von den 41 Ländern der OECD sowie der EU in der Studie landete Deutschland auf dem sechstletzten Platz. Das macht den eher von Männern dominierten IT-Bereich für Frauen noch einmal unattraktiver.

Taner fordert, Informatik mehr in die Schulbildung einfließen zu lassen, beispielsweise durch eine Coding-Klasse. So könnte man Hemmschwellen abbauen. Zillmer rät Unternehmen, mehr Ausbildungsmöglichkeiten für IT-Berufe zu schaffen. Mit zehn Auszubildenden zieht InnoGames gerade seinen eigenen Nachwusch heran.

Dieser Artikel erschien zuerst 2019 bei lead-digital.de