
Schrumpfkur:
"Tagesspiegel" kürzt Stellen wegen schlechten Weihnachtsgeschäfts
Der Montags-Newsletter des "Tagesspiegel" kam ungewohnt offen und mit schlechten Nachrichten: Bei dem Berliner Blatt muss gespart werden.
Der Montags-Newsletter des "Tagesspiegel" kam ungewohnt offen und mit schlechten Nachrichten: Bei dem Berliner Blatt muss gespart werden. Heißt: Stellen fallen weg. Man hoffe aber, dass es im neuen Jahr wieder besser würde.
"Das Weihnachtsgeschäft bei den Anzeigen droht in diesem Jahr auszufallen. Also musste gespart und umgeschichtet werden, und zwar sofort. Bei den festen Kollegen und vor allem bei jenen freien, die für Zeilenhonorare für uns schreiben. Das ist schlimm, aber es erspart uns hoffentlich noch Schlimmeres. Wir hoffen sehr, dass bald alle wieder an Bord sind. Und versuchen, uns nach der Schrecksekunde kein Magengeschwür einzufangen angesichts des teils bösen Unsinns, der durchs Netz geistert."
So begann der morgendliche Nachrichtenüberblick im Newsletter am 26. Oktober.
Eine selten offensive Vorgehensweise. Zumal die reguläre Pressinfo für heute die neuen Seiten ankündigte, mit denen die Zeitung ab sofort die Leser beglückt. Ratgeber-Seiten gebe es jeden Tag im Berlin-Teil des Titels, jeden Sonntag kommt ein Debatten-Schwerpunkt in den Politikteil. Und all das mit weniger Leuten.
Auf die Kürzungen hat der Journalistenverband DJV bereits scharf regiert. DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken: Der Schritt "stellt eine schwere verlegerische Fehlentscheidung dar. De freien Mitarbeitern das wirtschaftliche Risiko des Verlags aufzubürden, ist weder moralisch zu rechtfertigen noch rechtlich hinnehmbar. Der Verlag ist wirtschaftlich in der Lage, eine kurzfristige Delle im Anzeigengeschäft auszuhalten."
Der Verlag, als dessen Herausgeber Ex-Werber Sebastian Turner und der prominente Journalist Giocvanni di Lorenzo verantwortlich zeichnen, sieht das anders. Auf Anfrage lässt die Presseabteilung verlauten: "Die Rückgänge der traditionellen Anzeigenauftraggeber - etwa der Handel – werden von den wachsenden Anzeigensegmenten, die den Tagesspiegel als Leitmedium belegen (Marken und Institutionen), noch nicht ausgeglichen. Dies führt zu Sparmaßnahmen, zu denen auch die vorübergehende Reduzierung von Aufträgen an freie Mitarbeiter zählen."
Zudem habe der "Tagesspiegel" im laufenden Jahr "die Anzahl seiner fest angestellten Redaktionsmitglieder im zweistelligen Bereich erhöht. Gleiches gilt für den Verlag. Damit ergibt sich gleichzeitig ein abnehmender Bedarf an freien Mitarbeitern."
Auch bereite die Zeitung "eine Reihe neuer Projekte in seinen Wachstumsfeldern vor". Hierfür würden Ressourcen umverteilt "- auch bei den freien Mitarbeitern". Die Aussage der Pressestelle weiter: "Zu den Wachstumsfeldern zählen die Themen Politik, Digitalisierung und alles rund um die Hauptstadt. Im Blatt werden ab 26. Oktober neue Seiten erscheinen. Online folgt im November ein neues Produkt."
Im Februar 2015 äußerte sich Turner in einem Interview mit W&V (Ausgabe 7, EVT 9.2.2015) noch recht optimistisch: Man wolle endlich aufrücken zu "SZ" und "FAZ", habe die "höchste Durchdringung der wichtigsten Berliner Gruppen" und erreiche viele Meinungsbildner, sagte Turner. Die Auflage schrumpfte ein wenig langsamer als bei den Wettbewerbern.