Interview mit Philipp Steuer:
"Snapchat ist gekommen, um zu bleiben"
Verstehen Sie Snapchat? Momentan zählt der 25-Jährige Kölner Philipp Steuer für viele irritierte Marketer und Medienmacher zu den wichtigsten Innovations-Erklärern seit der Sendung mit der Maus. Tausende Internetnutzer haben sein E-Book "Snap me if you can" heruntergeladen. Ein Interview über Snapchat, alternde Digitalveteranen, hilflose Agenturen und eine gute Entscheidung von Kai Diekmann.
Jetzt mal ehrlich: Verstehen Sie Snapchat? Momentan zählt der 25-Jährige Kölner Philipp Steuer für viele irritierte Marketer und Medienmacher zu den wichtigsten Innovations-Erklärern seit der Sendung mit der Maus. Tausende Internetnutzer haben sein E-Book "Snap me if you can" heruntergeladen. Ein Interview über Snapchat-Usability, alternde Digitalveteranen, eine gute Entscheidung von Kai Diekmann und ein Google+-Tattoo.
Herr Steuer, ich habe mich vor über einem Jahr bei Snapchat angemeldet und teste es erst jetzt aus, weil ich ohne Ihr E-Book die App nicht begriffen habe. Hören Sie so etwas etwas öfter?
Öfter auf jeden Fall. Weil ich eher mit Menschen über 18 zu tun habe und die App zumindest in ihren Ursprüngen auf eine junge Zielgruppe ausgelegt war. Meine kleine Schwester ist 15, der musste ich gar nichts mehr erklären. Allgemein weicht Snapchat von der Bedienung her ein wenig vom Gewohnten ab. Hier muss man viel mit dem Finger wischen. Hat man das einmal verstanden, erklärt sich der Rest von alleine.
Mir fällt auf, dass sich viele Digitalveteranen aus der Generation Golf fast damit brüsten, Snapchat nicht zu verstehen. Leute, die sonst peinlich darauf bedacht sind, mit der digitalen Zeit zu gehen. Nehmen wir Snapchat nicht ernst genug?
Es gibt in der Tat vor allem hier in Deutschland das Phänomen, dass sich angeblich total innovative "Wir-rocken-die-digitale-Transformation"-Dinos damit brüsten, von Snapchat keine Ahnung zu haben, weil man ja schon Facebook und Twitter hätte. Das ist in meinen Augen kompletter Bullshit, und die Generation Golf verbrennt sich damit die Finger. Denn erstens ist Snapchat ein heißes Eisen, um bei den Golfmetaphern zu bleiben, und zweitens ist es in meinen Augen eine fragwürdige Strategie, sich für die eigene Ahnungslosigkeit auf die Schulter zu klopfen. Snapchat hat als einziges Netzwerk das Zeug, zu den etablierten Platzhirschen Facebook, Instagram und Whatsapp zu stoßen. Die Zahlen sprechen mehr als dafür, und auch ich beobachte, dass sich selbst hierzulande, im Neophobieland Nummer eins, immer mehr Unternehmen und Medien damit beschäftigen. Ein Ello, ein Tribe... das sind alles nette Ansätze, aber da reden wir bald nicht mehr drüber. Snapchat ist gekommen, um zu bleiben. Das werden die alten Herren noch einsehen müssen.
Aus Sicht von Snapchat müssten es vor allem die Marketer und die Agenturen einsehen. Welche Beispiele fallen Ihnen ein? Wer hat das Potenzial von Snapchat begriffen?
Im Grunde muss es jeder einsehen, der sich oder seine Marke oder sein Unternehmen präsentieren möchte. Natürlich muss man die Inhalte und die Ressourcen haben. Der Content muss für Snapchat entsprechend aufbereitet werden. Nur Bildchen posten ist nicht. Die User wollen Geschichten sehen. Selbst die CSU ist auf Snapchat. Die CSU! Ich hoffe, alle Unternehmen, die das jetzt lesen und noch nicht auf Snapchat sind, fühlen sich wie die letzten Höhlenmenschen. Richtig kapiert haben es schon einige. Der FC Bayern (fcbayernsnaps) zum Beispiel. Das sage ich nicht nur, weil ich Bayern-Fan bin. Das Social-Media-Team macht einen unfassbar guten Job, gibt Einblicke ins Training, ist bei den Spielen dabei und, und, und.
Wie sieht es bei den Medien aus?
Aus Mediensicht hat es "Bild" (hellobild) kapiert. Wobei, eher Manuel Lorenz (supermnl), der Kopf dahinter. Da hat Kai Diekmann echt den richtigen Menschen eingestellt, denn Manuel versteht es wie kein anderer, den "Bild"-Content für Snapchat zu verwerten. Weitere Medien und Unternehmen sind "Chip" (Chip_de), Sixt (sixtde) und "Bento" (bento) in Deutschland. International sollte sich jeder den Content von arsenictv ansehen, dem "Playboy" der Generation Y. Als Personenmarke ist Richard Gutjahr (richardgutjahr) empfehlenswert, der täglich unterhaltsame Geschichten liefert.
Haben die deutschen Agenturen das Thema im Griff?
Auf dem Schirm: Ja. Im Griff: Nein. Es sind eher die Youtube-Netzwerke, die das Thema Snapchat schon bespielen. Mit ein paar Agenturen bin ich im Gespräch, und es wird Workshops geben. Aber objektiv gesehen ist aktuell die eine Agentur blinder als die andere.
Wie viele Leute haben Ihr E-Book schon heruntergeladen?
10.000. Die Übersetzung ins Englische ist im Gange.
Vor einigen Jahren haben Sie ein Buch über Google+ geschrieben und sich sogar ein Google+-Logo tätowieren lassen. Von Google+ hört man nicht mehr viel, jedenfalls nicht mehr viel Gutes. Was macht Sie so sicher, dass Snapchat erfolgreicher ist?
Google+ hatte damals ein unfassbares Potenzial mit Google im Rücken. Die ersten Ansätze waren auch gut. Aber Google kann social leider nicht und kam auf richtig dumme Ideen, wie die Youtube-User zu einem Google+-Profil zu zwingen. Das Tattoo hab ich mir übrigens nicht aus großer blinder Fanliebe machen lassen, es war ein Wetteinsatz, den ich nach der erfolgreicher Crowfunding-Kampagne meines Buches eingelöst habe. Ich stehe zu meinem Wort. Natürlich wurde ich wegen Google+ und meiner neuen Begeisterung für Snapchat schon als Sensenmann der sozialen Netzwerke bezeichnet. In diesem Fall ist es aber anders. Snapchat ist unabhängig. CEO Evan Spiegel ist extrem smart und zwingt die Nutzer zu nichts. Er trifft die richtigen Entscheidungen, verbessert die App für die Nutzer und sammelt regelmäßig neues Geld ein. Die Reichweite von Snapchat sowie die Nutzerbasis wächst weiter und das alles, obwohl Snapchat ein geschlossenes System ist. Das sind alles extrem gesunde Indikatoren, die mich zuversichtlich stimmen.
Philipp Steuer hat Online-Journalismus studiert, für Google gearbeitet und berät Unternehmen bei ihrer Social-Media-Kommunikation. Gemeinsam mit Sven Giesen betreibt er Snapgeist, die erste Suchmaschine für Snapchat-Nutzer. Als Speaker ist er europaweit für die Themen Snapchat, Digitale Trends und Social-Media-Storytelling im Einsatz.
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