Als Provokateur beschreibt Peter Goldammer den Kreativen in einem Porträt, das in der aktuellen Ausgabe der „Gala Men“ (5/2014) erschienen ist. Goldammer ist ein langjähriger Kollege Kempers und war selber 17 Jahre lang Kreativchef und Chairman bei Scholz & Friends. Er nennt Kemper den „letzten Werber“ und „Held aus alten Reklametagen“. Und genau das machten Kritiker ihm zum Vorwurf, weil es nicht mehr in die Zeit passe. Mercedes sieht das offensichtlich anders. 

Wer ist André Kemper eigentlich?

Seine Karriere begann André Kemper bei BBDO. Von dort ging er zu der Hamburger Kreativschmiede Springer & Jacoby. Dort arbeitete Kemper unter anderem mit Jean-Remy von Matt und Konstantin Jacoby zusammen, dessen Nachfolger er 1996 mit gerade mal 33 Jahren wurde. Wie er sich dabei durchsetzte, beschreibt ein Porträt in der "Wirtschaftswoche". 2002 sorgte Kemper mit seinem Wechsel an die Spitze der BBDO Holding für Aufsehen. 2004 startete er gemeinsam mit Michael Trautmann die Thjnk-Vorgängeragentur Kempertrautmann, eine der erfolgreichsten Agenturgründungen der vergangenen zehn Jahre. Mit dem Einstieg von Armin Jochum und Karen Heumann 2012 zog sich Kemper aus dem operativen Management zurück und wechselte in den Aufsichtsrat. Diesen verließ er Anfang März 2014 – davor war schon lange von einer Entfremdung zwischen den Partnern die Rede. Den Ausstieg etwas beschleunigt haben könnte sein Faustschlag-Intermezzo auf dem Wiener Opernball im Februar 2014, über den die Boulevard-Presse berichtete. Seinen Aktienanteil in Höhe von 20 Prozent erwarben Jochum, Heumann und Trautmann zu gleichen Teilen.

Die Kreativ-Einheit André

Kemper hatte schnell eine neue Aufgabe. Nach monatelanger Vorbereitung gründete er im April 2014 unter dem Dach der Scholz & Friends-Holding Commarco die Agentur André. Commarco beschreibt sie in der Pressemitteilung als „kleine, bewegliche Unit, die speziell auf André Kemper zugeschnitten ist und ihren Fokus im Bereich Bewegtbild hat.“ Kunde: Opel (Die neue Agentur sollte ursprünglich Opel-Garage heißen, was aus rechtlichen Gründen nicht machbar war.) 80 Prozent der Anteile hält Commarco, 20 Prozent André Kemper. Geschäftsführer: André Kemper und Christian Tiedemann, Co-CEO von Commarco.  Die zehnköpfige Einheit sollte eigentlich ab September sehr nobel über dem Apple-Store direkt am Hamburger Jungfernstieg residieren. Im Handelsregister ist die André GmbH aber noch bei Scholz & Friends im Hanseatic Trade Center am Sandtorkai eingetragen.

Warum arbeitet Kemper für Opel?

Tina Müller wechselte im Sommer 2013 als Marketingchefin von Henkel zu Opel. Sie hat in ihren Henkel-Zeiten schon lange und gut mit André Kemper zusammengearbeitet, die beiden schätzen sich. Obwohl sie nach eigenen Angaben sehr zufrieden mit der Arbeit von Scholz & Friends war, wollte Tina Müller ihn im Kreativteam, denn - so zitiert sie W&V - „selbst Top-Teams, wie der BVB Dortmund, holen sich manchmal neue Top-Stürmer in die Mannschaft“. Die Gespräche mit Commarco soll sie von Anfang an begleitet und sogar forciert haben.

Was sagt André Kemper über Opel und Tina Müller?

Zum Start seiner neuen Firma André äußerte sich André Kemper in einem Interview mit W&V (16/2014) über den neuen Kunden Opel: „Die Marke ist noch nicht da, wo man sie haben möchte. Aber sie ist mit ‚Umparken im Kopf‘ auf einem fantastischen Weg. Es fasziniert mich, diesen Weg mitzugehen.“ Im Gespräch bezeichnet er sich als überzeugten Opel-Fahrer, er nennt einen 44 Jahre alten Opel GT (mit dem er in einer Fotostrecke posiert, die in der aktuellen „Gala Men“ zu sehen ist) und einen Astra OPC sein eigen. Über Tina Müller sagt Kemper:  „Eine mutige Frau, die sich aus ihrer Komfortzone herausgewagt hat – hinein in die Männerdomäne Automobil. Das macht man nicht, wenn man nur etwas verwalten will. Tina hat einen klaren Plan und weiß, was sie will. Sie ist Überzeugungstäterin.“

Auch im "Gala Men"-Bericht (5/2014) schwärmt André Kemper über Opel – beim Erscheinen Anfang November war der Mercedes-Deal noch nicht bekannt. Das Magazin erweist sich jedoch ungeahnt als Prophet, denn in der Unterzeile heißt es: „Er weiß, dass er nur überleben kann, wenn er weiterzieht. 'Gala Men' begegnete André Kemper auf seinem Weg in eine neue Zeit.“ Nur sollte es dabei eigentlich um seinen Wechsel zu Opel gehen. Laut Autor Goldammer wollte Kemper für Opel arbeiten, weil seine Lieblingskundin Tina Müller dort Marketingvorstand wurde. Branchenhäme – ein Opel als Firmenwagen? - sei er mit der Fotostrecke begegnet, die ihn mit seinem Opel GT, Baujahr 1970, zeigt - "ein unglaublich schöner Wagen", so Kemper.

Und was sagte er über seine eigenen Pläne?

Im W&V-Interview äußerte er sich über seinen Ausstieg bei Thjnk wie folgt: „Ich hatte es satt, Agenturchef zu sein – mit allem was dazugehört.“ Seinen Neuanfang mit André: „Ich wollte einfach mehr Konzentration auf einzelne ausgesuchte Projekte – weil ich immer dann am besten bin.“ Das neue „Baby“ mit Commarco sollte deshalb bewusst keine neue Werbeagentur sein: „Dieses Modell reizt mich nicht mehr. Ich starte etwas Neues. Etwas, was ganz persönlich mit mir zu tun hat. Daher heißt die Firma auch André. Ein Musiker würde jetzt sagen: Es ist mein persönlichstes Album.“ Das nun zu Ende gespielt ist. In "Gala Men" sagt er über André, alles solle kleiner werden und persönlicher. „Ich werde nicht noch einmal eine Zweihundertmann-Agentur aufbauen.“ Die neue Mercedes-Agentur soll ja auch nur 100 Mitarbeiter haben. Und konzentriert sich auf einen Großkunden. 

Braucht Scholz & Friends André Kemper?

Nicht wirklich, ohne ihn lief es ja auch ganz gut. Stattdessen könnte dieser Schritt das Team von Scholz & Friends und insbesondere den Chefkreativen Niels Alzen stärken. Alzen betreut den Kunden gemeinsam mit dem Top-Kreativen Wolf Heumann, der sein Vorstandsmandat niedergelegt hat und seit Mitte November wieder ausschließlich für Opel zuständig ist. Dazu sagte Tina Müller: „Ich freue mich sehr, dass Wolf Heumann sich 100 Prozent für Opel engagiert. Er hat einen großen Anteil an den wirkungsvollen Kampagnen, die Opel wieder steigende Marktanteile bescheren.“ Die Agentur ist verantwortlich für die erfolgreiche Kampagne „Umparken im Kopf“. Opel hat Ende 2013 den Vertrag mit Scholz & Friends um weitere drei Jahre verlängert. Im Januar startet die Kampagne für den neuen Opel Corsa.   

Was hat André bisher für Opel gemacht?

Für den Pariser Autosalon hat die Unit einen Film für die Präsentation des neuen Opel Corsa produziert, so erzählt es André Kemper in "Gala Men". Auch am Katzenkalender von Karl Lagerfeld hat der Kreative mitgewirkt, er ist im Making-of zu sehen - ebenso Tina Müller.

Die Aktion mit dem berühmten Modezar ist Auftakt der Bewerbung des neuen Opel Corsa, der im November in den Handel kommt. Anfang des Jahres 2015 startet die Kampagne für das neue Modell. Welche Rolle André dabei spielt oder spielen sollte, ist nicht bekannt. Der Kleinwagen ist mit vier Generationen und zwölf Millionen verkauften Einheiten in 32 Jahren und im Schnitt 370.000 Zulassungen im Jahr einer der wichtigsten Pkw im Portfolio der Rüsselsheimer. Laut Opel sind von der neuen Generation des Corsa schon vor der eigentlichen Markteinführung mehr als 45.000 Stück bestellt worden.

Wie reagieren Scholz & Friends und Opel?

Scholz & Friends und Commarco äußern sich öffentlich nicht, aber angeblich wurden sie von der Nachricht ebenso kalt erwischt wie Tina Müller. Die Opel-Marketingchefin pocht auf Vertragserfüllung. Tina Müller erklärt in einem Statement gegenüber W&V: „Unsere Werbeagentur Scholz & Friends hat einen Vertrag mit André Kemper, der bis April 2016 läuft. Wir gehen davon aus, dass André Kemper diesen in vollem Umfang erfüllen wird und freuen uns weiter auf die Zusammenarbeit." Obwohl „freuen“ wohl eher zynisch gemeint ist, den Wechsel von Kemper zu Mercedes dürfte sie als „höchst kompromittierend“ empfinden, so die Einschätzung eines Brancheninsiders gegenüber dem „Kontakter“.  „Sie wird ihn grillen“, ist eine Formulierung, die fällt. Kemper habe Müller viel zu verdanken, sie habe ihn massiv gefördert, sich für ihn eingesetzt, ihm eine Perspektive gegeben, die Agentur André sei nur wegen ihr entstanden. Deshalb dürfte sie es ihm nicht leicht machen. Wie es sich anfühlt, Steine in den Weg gelegt zu bekommen, hat Tina Müller ja selber erlebt, als Henkel sie nicht zu Beiersdorf ziehen lassen wollte.

Kann Opel auf die Vertragserfüllung pochen?

Das kommt wohl darauf an, wie man den Vertragspartner definiert. Laut Tina Müller hat Opel ja keinen Vertrag direkt mit André Kemper, sondern mit der Agentur Scholz & Friends bzw. deren Holding Commarco. Laut einem „Horizont“-Bericht erhält André vom Startkunden kein Honorar, die Vergütung erfolgt über Commarco.  Co-CEO Christian Tiedemann erklärt: "Wir haben mit Opel für die kommenden Jahre ein Leistungspaket verabredet. In diesem Leistungspaket unserer Gruppe ist die Arbeit der Agentur André inkludiert."

Demnach würde es bei der Zusammenarbeit mit Opel wohl um die Agentur André gehen und nicht um die Person André Kemper. Opel könnte also maximal auf Andrè bestehen, aber nicht auf Kemper. Auf einem anderen Blatt stehen Kempers vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Commarco und Scholz & Friends. Hierüber könnte Opel möglicherweise indirekt Druck auf Kemper ausüben. Die genauen Vertragsdetails sind nicht bekannt. (fs/cob/kr/ph)

Mehr über die völlig neue Werbestrategie von Mercedes-Benz, Kempers Partner Tonio Kröger, den Pitch und die Folgen für die beteiligten Agenturen lesen Sie am Montag in der Titelgeschichte der neuen W&V (49/20014). Abo?


Autor: Frauke Schobelt

koordiniert und steuert als Newschefin der W&V den täglichen Newsdienst und schreibt selber über alles Mögliche in den Kanälen von W&V Online. Sie hat ein Faible für nationale und internationale Kampagnen, Markengeschichten, die "Kreation des Tages" und die Nordsee. Und für den Kaffeeautomaten. Seit 2000 im Verlag W&V.