Kommentar:
"News-Mangel und wortgewandte Boshaftigkeit": Matthias Onken über das Medienthema Hoeneß
Qualitätsjournalismus im Fall Hoeneß? Ja, den gab es. Die "Zeit" landete mit ihrem Exklusiv-Interview zuletzt einen echten Coup. Aber was einige großen deutschen Medienmarken zum Thema FC-Bayern-Präsident abgeliefert haben, war nach Ansicht von W&V-Kommentator Matthias Onken kein Fall für die Champions League. Matthias Onken kennt das Geschäft mit den heißen Themen: Er war Chefredakteur der "Hamburger Morgenpost" und Redaktionsleiter von "Bild Hamburg".
Qualitätsjournalismus im Fall Hoeneß? Ja, den gab es. Die "Zeit" landete mit ihrem Exklusiv-Interview zuletzt einen echten Coup. Aber was einige großen deutschen Medienmarken zum Thema FC-Bayern-Präsident abgeliefert haben, war nach Ansicht von W&V-Kommentator Matthias Onken kein Fall für die Champions League. Matthias Onken kennt das Geschäft mit den heißen Themen: Er war Chefredakteur der "Hamburger Morgenpost" und Redaktionsleiter von "Bild Hamburg".
Der Fall Hoeneß - ein deutsches Sittengemälde
von Matthias Onken
Es ist gerade unwahrscheinlich angesagt, Uli Hoeneß einen mitzugeben. Im Prinzip nichts Neues für den Präsidenten des FC Bayern. Er ist seit jeher einer, der mit Verve polarisiert: Wer fast immer gewinnt, hat Fans, aber auch Gegner. Wer derbe austeilt, muss derbe einstecken. Hoeneß, emotional bis in die verbliebenen Haarspitzen, gelang das überraschend gut, meistens jedenfalls. Aber: Nie dürfte ihn die Haue mehr geschmerzt haben als in den vergangenen Wochen. Der erfolgreichste Fußball-Manager Deutschlands war – trotz aller Feinde, trotz aller Kritik – auf dem Weg zum Unumstößlichen. Uli, der Große. Bayerns neuer Sonnenkönig. Seit ihn jemand wegen seiner Selbstanzeige verpfiff, ist’s schattig für ihn geworden.
Mit der Hoeneß-Story landete der "Focus" seinen größten Scoop seit Jahren. Medien, denen man die Geschichte eher zugetraut hätte, reagierten ihren Frust ab, in dem sie den zu Boden gegangenen Hoeneß bashten, was das Zeug hielt. Blogger, Twitterer, Facebooker richteten ihre Flinte wie Stammtischtrinker auf den Angeschossenen. Manchem tropfte dabei der Geifer aus den Mundwinkeln.
Der Fall Hoeneß ist längst ein Sittengemälde unserer Gesellschaft. Der öffentliche Umgang mit ihm offenbart eine unsympathische Melange an Un-Tugenden. Da wird gehetzt, angeprangert, doppelmoralisiert, stigmatisiert und polemisiert. Zielscheibe: eine öffentliche Person, der die menschliche Würde aberkannt worden zu sein scheint.
Fundiert recherchierte Erkenntnisse waren und sind in der Hoeneß-Berichterstattung rar. Selten wurde so viel wild spekulierter Müll verbreitet wie zu diesem Thema. Motto: Der Täter ist überführt, er hat sich ja selbst angezeigt – nun ist alles erlaubt. Einige Medien, vorn an die Münchner "Abendzeitung", haben sich mit Mutmaßungen über Hunderte von Hoeneß-Millionen ins Abseits befördert. Einst relevante Themensetzer wie der "Spiegel" versuchten den eklatanten News-Mangel mit wortgewandter Boshaftigkeit zu verschleiern. "Bild", die in besseren Zeiten den Steuer-Scoop selbst gehabt hätte, klemmt zwischen Baum und Borke: Hausfreund Hoeneß fallen lassen und nie mehr etwas exklusiv von ihm bekommen oder sich in ungewohnter Zurückhaltung üben – in der Hoffnung, dass dies belohnt wird.
Bezeichnend für die angezählte Print-Branche, dass es die unaufgeregte "Zeit" ist, die sich in der aufgepeitschten Medien-See das erste Interview verdiente. Richtige Entscheidung von Hoeneß, vom Rahmen wie vom Timing her: Vorab-Veröffentlichung des exzellent geführten Gesprächs am Tag des Triumphs in Barcelona. PR-Punktlandung.
Die breite Schar erhitzter Hoeneß-Basher tut gut daran, sich das Interview genau durchzulesen. Es spricht sehr viel dafür, dass der Gefallene damit reinen Tisch gemacht hat. Es spricht wenig dafür, dass er damit weiteren Dreck unter den Teppich gekehrt hat. Sollte sich erweisen, dass er Entscheidendes verschwiegen hat, kostet ihn das die Freundschaft aller bis heute Getreuen. Schwer zu glauben, dass er es hat darauf ankommen lassen.
Uli Hoeneß geht im "Zeit"-Interview mit sich ins Gericht. Hart, sehr hart. Es ist angebracht, ihn wieder als Mensch zu behandeln.