Klartext mit Katharina Wolff:
"Mal ehrlich: Es ist keiner gestorben oder verletzt worden"
Der Fake-Fall Claas Relotius ist für den Spiegel nicht nur eine Image-Katastrophe. Er lässt auch in die hausgemachte Team- und Führungskultur blicken. Ein Interview mit Personalberaterin Katharina Wolff.
Katharina, eigentlich wollten wir heute ja über was anderes reden, aber dann kam der Fall Claas Relotius dazwischen. Ist das ein Personalthema? Ich finde schon.
Auf jeden Fall. Das hat viel mit Core Values und Führungskultur zu tun. An dem Skandal ist ja nicht nur er beteiligt.
Du beschäftigst dich intensiv mit dem Thema Team Building. Was für eine Team- und Führungskultur vermittelt der Umgang des Spiegel mit dem Fall Relotius?
Ich finde es super, wenn Arbeitgeber ihren Mitarbeitern vertrauen. Ich glaube sogar, dass man ein Unternehmen gar nicht anders skalieren kann. Aber es darf kein blindes Vertrauen sein. Es war herauszuhören, dass Relotius' Geschichten durchaus kurz hinterfragt wurden, die Zweifel dann aber verworfen wurden.
Wie auf immer: Ein Sparring zwischen der Führungskraft, die in der Regel mehr Erfahrung hat, und dem Mitarbeiter ist enorm wichtig. Davor sollte sich keine Seite verschließen. Das scheint er abgelehnt zu haben.
Wie beurteilst du das Verhalten der Führungskräfte nach der Entdeckung des Skandals? Mir war es gestern zu theatralisch.
Mir ist folgender Satz aufgefallen: "Alle Quellen sind trüb. Vieles ist wohl erdacht, erfunden, gelogen. Zitate, Orte, Szenen, vermeintliche Menschen aus Fleisch und Blut. Fake."
In einem langen melodramatischen Text, der anfängt mit "Kurz vor dem Ende seiner Karriere kommen sich Glanz und Elend im Leben des Claas Relotius einmal ganz nah."
Ja, das klingt in der Tat sehr theatralisch. Und am Ende versteht die Führung wohl nicht, dass sie sich selbst damit belastet. Nüchterne Klarstellung und ehrliche Demut fühlen sich anders an.
Ein scheinbar perfekter Mitarbeiter, der sich am Ende als Blender herausstellt: Wie oft ist dir das im Personal-Business schon begegnet?
Als Personalberaterin zum Glück selten, aber es passiert. Es gibt Menschen, die sich wahnsinnig gut selbst darstellen können, dann aber nur Heißluftdüsen im Job sind und einfach nicht liefern.
Witzigerweise habe ich gerade gestern mit einem meiner Beiräte darüber gesprochen, der gerade einen solchen Fall hat. Wahnsinns-Performance im Vorstellunggespräch, konnte jeden Case lösen und beim Kunden kam dann leider nur noch heiße Luft. Als Arbeitgeber ist mir das auch schon passiert. Ich neige leider, wie sehr viele Arbeitgeber, zu den so genannten Not-Hires.
Was ist ein Not-Hire?
Ein Not-Hire ist, wenn man den Erstbesten einstellt, weil man so dringend jemanden braucht, anstatt sich die Zeit zu nehmen, wirklich die richtige Person zu suchen. Mir wird unterstellt, dass gerade ich die besten Hires mache, das trifft aber leider mehr auf meine Kundenprojekte zu.
Der Schuster hat eben manchmal die kaputtesten Schuhe an. Aber da sind wir wieder beim Thema Fehlerkultur: Da muss man dann draus lernen.
Individuelles Fehlverhalten, das öffentlich wird, hat ja immer mehrere Aspekte. Es geht um den Image-Schaden, aber auch um den Rest von Fürsorgepflicht gegenüber dem Mitarbeiter. Wie schätzt du das im Fall Relotius ein?
Der Mitarbeiter ist in der Regel nie der Alleinschuldige, das ist fast immer zu billig. Es gibt immer Führungskräfte, die nicht genau genug hingeschaut haben. Insofern geht es nicht nur um Fürsorgepflicht, sondern auch um Mitverantwortung.
Ich möchte nicht entschuldigen, was er gemacht hat, aber mal ehrlich: Es ist keiner gestorben oder verletzt worden. Ich kenne deutlich schlimmere Skandale, die viel weniger in der Öffentlichkeit diskutiert wurden, obwohl sich die Fehler auf unzählige Menschen auswirken.
Trotzdem schreibt der Spiegel, die Karriere des jungen Mannes sei zu Ende. Siehst du das auch so oder hat er das Recht auf eine zweite Chance?
Jeder Mensch sollte ein Recht auf eine zweite Chance haben. Sonst wäre auch unser Justizsystem Mist. Selbst inhaftierte Strafträter bekommen ja die Chance auf eine vorzeitige Entlassung, wenn sie ehrliche Reue zeigen.
Wie gesagt: Er hat keinen umgebracht oder verletzt, außer vielleicht sich selbst und die Glaubwürdigkeit des Spiegel. Aber in jedem Fall bedarf es jetzt einer ganz großen Portion Reflektion und Demut von seiner Seite.
Du würdest jedem ohne Ausnahme eine zweite Chance geben?
Gönnen ja, geben nicht unbedingt. Ob ich die immer geben könnte, da bin ich nicht sicher. Ich bin selbst an einem Startup beteiligt, bei dem wir, als Gesellschafter, gerade Anzeige wegen Betrugs erstattet haben. Dem Gründer wünsche ich, dass er eine zweite Chance bekommt, von mir wird es die allerdings erst einmal nicht geben. Das bräuchte in jedem Falle sehr viel Zeit.
Über Katharina Wolff: Die Gründerin und Geschäftsführerin von D-Level vermittelt digitale Führungskräfte und berät Unternehmen in allen Dingen, die damit zusammenhängen: Strategie, Organisation und Transformation. In ihrer Heimatstadt Hamburg ist Wolff auch politisch hervorgetreten: 2011 bis 2015 war sie Mitglied des Landesparlaments. 2018 startete sie den Podcast "Inside Team Building" und gemeinsam mit W&V das Interview-Format "Klartext mit Katharina Wolff".
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