W&V-Interview:
"Künstliche Intelligenz wird demokratisiert"
Welche Möglichkeiten bietet künstliche Intelligenz? Magnus Revang, Director Analyst bei Gartner, spricht im W&V-Interview über neue Entwicklungen.
Vom Science-Fiction Film in den Alltag: Künstliche Intelligenz fasst gerade in vielen Branchen Fuß und wird 2019 nicht nur in Tech-Unternehmen eine große Rolle spielen. Magnus Revang ist Director Analyst beim renommierten Marktforschungsunternehmen Gartner. Im Interview mit W&V spricht er über die kommenden Entwicklungen von künstlicher Intelligenz (KI).
W&V: Was ist der aktuelle Stand im Umgang mit künstlicher Intelligenz?
Magnus Revang: Nun, es wird immer über große Visionen gesprochen, aber wie können Unternehmen es schaffen, KI nutzbar zu machen? Momentan beobachten wir, dass der Hype um künstliche Intelligenz realistischen Erwartungen weicht.
Die neue Technologie wird in immer mehreren Bereichen eingesetzt und es kristallisiert sich heraus, dass es nicht nur eine einzige KI-Lösung gibt, sondern mehrere. Sie unterscheiden sich stark nach Einsatzmöglichkeit: Ist die KI in einem Chatbot verbaut oder unterstützt sie Experten bei Analysen und Vorhersagen?
Welche Entwicklungen kommen 2019?
Wie gesagt, anfangs ging vor allem darum, welchen Einfluss KI auf die Finanzindustrie haben wird. Dabei ist KI auch für andere Branchen interessant. Es gibt im Bereich der Landwirtschaft eindrucksvolle Beispiele, wie KI eingesetzt werden kann. Zum Beispiel wird an einem KI-Projekt gearbeitet, das analysieren kann, zu welchem Zeitpunkt man am besten ein bestimmtes Saatgut einpflanzen sollte.
Dazu kommt, dass gerade eine Demokratisierung der KI stattfindet. Sie wird durch die Automatisierung mehr Menschen zugänglich gemacht werden und nicht nur auf Data Science begrenzt sein. Mit anderen Worten: Die Fähigkeit, KI-Lösungen zu erstellen, wird sich von spezialisierten Datenwissenschaftlern auf die gesamte IT übertragen. Dieser Trend wird dazu führen, dass eine größere Anzahl von Mitarbeitern über die Fähigkeiten verfügen wird, Business-Lösungen zu entwickeln - und der Umgang mit KI bleibt nicht als Spezialkompetenz einigen Wenigen vorbehalten.
Ein interessantes Beispiel für die bessere Zugänglichkeit ist das Angebot AutoML von Google.
Anmerkung der Redaktion: Mit dem Tool AutoML von Google kann man eigene Modelle mithilfe einer übersichtlichen Oberfläche trainieren.
Welche neuen Möglichkeiten bietet KI? Haben Sie Beispiele?
Im Moment können und sollen die KI-Systeme die Menschen nicht ersetzen. Künstliche Intelligenz wird zwar auch Arbeitsaufgaben von Menschen übernehmen – aber nur teilweise. Das wiederum hat zur Folge, dass sich der Arbeitsalltag der Mitarbeiter ändert. Die Aufgaben werden für die menschlichen Mitarbeiter komplexer werden, während die KI die Routineaufgaben übernimmt.
Ein spannendes Thema sind auch Conversational Chatbots, die sich definitiv weiterentwickeln und in Zukunft mehr Aufgaben werden übernehmen können als bisher. Hier steht man noch am Anfang der Möglichkeiten: Chatbots sind reaktiv, man muss sie als Kunde anschreiben oder anrufen - dabei könnte man Kundenservice aber mit ihrer Hilfe auch ganz anders denken. Und zum Beispiel den Nutzer bei einem Problem sofort direkt kontaktieren, damit er nicht anrufen muss.
Die Technologie ermöglicht ja auch neue Herangehensweisen und Denkmöglichkeiten. Aber diese Entwicklung wird noch mehrere Jahre dauern und wahrscheinlich eher durch kleine Unternehmen vorangetrieben werden.
Wo bereitet KI noch Probleme?
Für Unternehmen, die mit KI arbeiten, ist die Skalierung der Bereitstellung und des Konzepts ein Problem.
Auch die Themen Privatsphäre und Sicherheit werden eine große Rolle spielen. Es ist jetzt besonders wichtig, die Technologie den Menschen nahezubringen. Die Gesellschaft ist noch nicht bereit, KI zu adaptieren.
KI hat schon kontroverse Debatten ausgelöst – brauchen wir neue Gesetze?
Die Möglichkeiten von KI werden in gewissen Bereichen die Regierungen dazu veranlassen, Gesetze zu erlassen. Unternehmen sollten das in Betracht ziehen und sich darauf vorbeugend vorbereiten. Das gilt vor allem bei den Themen Sicherheit und Privatsphäre. Hier sollten sich Unternehmen überlegen, wie man die Technologie richtig einsetzt, ohne die Behörden zu verärgern.
Auch der Bereich Steuern kann betroffen sein: Vor allem bei Call Centern ist es möglich, dass Gesetzgeber zusätzliche Steuern verlangen werden, weil die Firmen immer weniger Menschen und immer häufiger KI beschäftigen.
Die Regierung wiederum sollte mit den aufstrebenden Tech-Firmen den Dialog suchen und sie nicht zu sehr mit Gesetzen ausbremsen – vor allem im Hinblick auf den Wettstreit mit anderen Ländern.
Und zum Thema Unternehmensregeln: Eine Herausforderung wird sein, den Zugriff fremder KI auf die Unternehmensdaten zu regulieren. Nicht selten nutzen ja die Mitarbeiter ihre privaten Geräte für die Arbeit bzw. für die Verarbeitung interner Daten. Dann kann die fremde KI, die auf dem privaten Gerät installiert ist, auch über das Unternehmen lernen.
Was sollte jeder über KI wissen?
Also erstens: Als Unternehmen brauche ich für eine künstliche Intelligenz unbedingt Daten, man kann nicht ohne Daten arbeiten. Viele nehmen das nicht ernst, sammeln nicht genug oder haben keinen Plan für die Datenverarbeitung.
Zweitens gilt für die Konsumenten: Es wird neue Innovationen geben, die aber eher geräuschlos Bestandteil unseres Alltags werden. Es wird also keine Revolution geben, eher einen kontinuierlichen Fortschritt.
KI wird in viele alltägliche Gegenstände eingebaut werden, wie beispielsweise das Auto, das schneller lernen wird, gewisse Vorgänge für den Fahrer zu vereinfachen. Oder wenn eine KI dafür sorgt, dass sich der Terminplaner über einen gewissen Zeitraum immer einfacher handhaben lässt. Der Anwender selbst merkt bei diesen Beispielen vielleicht nicht einmal, dass dahinter dann künstliche Intelligenz steckt.
Dieser Artikel ist zuerst bei lead-digital.de erschienen (2019).