Kommentar von Hasso Mansfeld:
"In der Flüchtlingskrise wird Journalismus zur Kampagne"
Gefühl statt Analyse und Stimmungsmache statt journalistischer Distanz: In der Flüchtlingskrise haben klassischen Medien versagt, findet W&V-Gastautor Hasso Mansfeld. Ein Kommentar.
Gefühl statt Analyse und Stimmungsmache statt journalistischer Distanz: In der Flüchtlingskrise haben klassischen Medien versagt, findet W&V-Gastautor Hasso Mansfeld*. Ein Kommentar.
Es stimmt. Er hat es nicht gesagt. Der viel zitierte Ausspruch Hanns Joachim Friedrichs: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten", dieser Satz fiel so nie. Friedrichs sagte "Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken ... Nur so schaffst du es, dass die Zuschauer dir vertrauen ...". Doch wie im Falle von Kants goldener Regel hat es seine Gründe, dass die vereinfachte Fassung Allgemeingut wurde: Es handelt sich um einen guten Ratschlag. Journalisten sollten ihn, abseits von Kolumnen und Kommentaren, beherzigen.
In den vergangenen Jahren aber scheint der gute Ratschlag zunehmend vergessen. Schon in der Berichterstattung zum Krieg in der Ostukraine oder zur Griechenlandkrise bereitete die zu beobachtende Einheitlichkeit, die teilweise deckungsgleichen Positionen von "Welt" über "Spiegel" bis zu den Öffentlich-Rechtlichen dem kritischen Beobachter ein mulmiges Gefühl. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich eben doch gemein gemacht wurde. Ein wildes Crossover aus Meinung und Nachrichten dominierte, Bericht und Kommentar gingen fließend ineinander über. Emotion, Emotion, Emotion schien das journalistische Gebot der Stunde.
In der Berichterstattung über Flüchtlinge wird die Emotionalisierung noch einmal gesteigert. Seitdem auch "Bild" auf "Refugees Welcome" umgeschwenkt ist, wird das flüchtlingsfreundliche Deutschland in leuchtenden Farben gezeichnet. Dem stellt man ein ewig gestriges Dunkeldeutschland gegenüber, das nur der Verachtung wert sei. Es herrscht Schwarz-weiß-Denken, die für die Beschreibung von komplexen Situationen erforderlichen Grautöne sind verschüttgegangen. Journalismus wird zur Kampagne. Damit steigt das von Friederichs angemahnte Risiko, das Vertrauen der Zuschauer zu verlieren.
Problematisch hinzu kommt, dass Politik und Medien im Falle der Flüchtlingskrise wirken, als gingen sie Hand in Hand. Noch bis vor wenigen Wochen erklärte Angela Merkel, worauf Christoph Schwennicke im "Cicero" hinweist: "Es können nicht alle kommen". Auch in den führenden Zeitungen und Nachrichtenmagazinen war das Tenor. Beinahe parallel schwenkten dann aber Regierung und Berichterstattung um auf ein euphorisches "Wir schaffen das!"
Dabei macht man es sich zu einfach, wenn man wie Merkel Ängste vor dem gerade Geschehenden mit dem Hinweis "Angst war noch nie ein guter Ratgeber" vom Tisch wischt. Das ist ignorant, denn die Angst ist real. Aus Ängsten erwächst Frustration und aus Frust schlimmstenfalls Aggression. Steckt man einen Menschen mit einer Spinnenphobie in einen Raum voller harmloser Spinnen, wird es ihm wenig helfen wenn er vernimmt, die Angst sei irrational. Denn so gibt man dem Menschen das Signal, man nehme ihn nicht ernst. Ängste sind oft irrational, man kann ihnen in manchen Fällen nur mit Verständnis oder therapeutisch begegnen. Zugegeben: eine enorme Herausforderung für Bunderegierung und Kanzlerin. Denn sie ist die zentrale Figur in der gesamten Flüchtlingskrise.
Auch wenn die Medien aus einem Gefühl der patriotischen Verantwortung heraus meinen, einen Beitrag zur Meisterung der aktuellen Flüchtlingskrise leisten zu müssen, sind sie gut beraten sich auf ihre eigentliche Rolle als vierte Gewalt im Staate zu besinnen. Also: ausgewogen und kritisch als neutrale Beobachter zu berichten. Gewiss sind es schöne und anrührende Bilder, die uns von Münchner Bahnhöfen entgegenstrahlen. Wer sein Herz nicht verschlossen hat, wird sich von Menschen, die zu Fuß auf ungarischen Autobahnen nach Österreich marschieren, Zäune und Stacheldraht überwinden, bewegen lassen. Erinnern die Bilder doch auch an 1989 und die große Sehnsucht nach dem Westen.
Doch die Darstellung ist sträflich einseitig. Über alle Kanäle verbreitete sich vergangene Woche die Nachricht wie ein Lauffeuer, Deutschland habe die Grenzen geöffnet. Das setzte Auswanderungsanreize auch in nicht kriegsverheerten Regionen. Es spielt Schlepperbanden in die Hände. Es verleitet, viel Geld für eine Reise ins Ungewisse auszugeben. Nicht zuletzt belügen sich damit Presse und Bevölkerung selbst über die tatsächlichen Zustände im Land und über die noch immer offizielle deutsche Asylpolitik nach Dublin III, die Antragsstellung im Ankunftsland und keine Einwanderung aus sicheren Herkunftsstaaten vorsieht. Dass in dieser Gemengelage sich ausgerechnet Victor Orban als Hüter europäischer Gesetze aufspielen kann, macht die Sache geradezu fahrlässig.
Ja, die Bilder von Willkommensfesten befördern Deutschlands Ansehen in der Welt. Indes wäre es mindestens redlich, auch auf die zahlreichen und andauernden Abschiebungen nicht anerkannter Asylsuchender hinzuweisen. Es ist doch geradezu grotesk, wenn das deutsche Auswärtige Amt mit einer "Kampagne gegen Desinformation" die Verlautbarungen der eigenen Regierung und der deutschen Medien bekämpfen muss.
Gala als Zeichen der Krise
Dass der Bogen des Kampagnenjournalismus überspannt ist, zeigt sich spätestens, wenn die öffentlich-rechtlichen Medien auf den Zug aufspringen. Der bisherige Tiefpunkt einer an Totalausfällen sicher nicht armen Berichterstattung war dann auch die Flüchtlingsgala im ZDF: ein Herzschmerz-Event, wie sie heute im gebührenfinanzierten Fernsehen gern inszeniert werden und meist nervig, aber harmlos sind. In diesem Fall aber von geradezu abschreckender Wirkung. Fast sollte man dem ZDF für seine Inszenierung danken: Bringt sie doch die kuschelig-konfuse, vor allem das eigene Ego streichelnde Vorstellung von Flüchtlingshilfe, an der Politik, Medien und Zivilgesellschaft derzeit gemeinsam basteln, anschaulich auf den Punkt.
Gerade, wem das langfristige Schicksal Geflüchteter am Herzen liegt sollte all dieser Inszenierung gegenüber sehr skeptisch sein. Denn mit Emotionen lässt es sich leicht in die unterschiedlichsten Richtungen manipulieren. Noch während ich dies hier schreibe mehren sich Anzeichen, dass die Stimmung umschlägt. Grenzkontrollen werden eingeführt, Züge aus Österreich gestoppt, die CSU bemüht sich um einen scharfen Ton im Stil der frühen 90er Jahre. Unzählige Flüchtlinge sitzen nun verzweifelt in Österreich und Ungarn fest. Das Klima kann rasch gänzlich kippen, und statt mit Fakten, gut recherchierten Hintergründen und vielschichtiger Analyse steht die derzeit mobilisierte Wohlfühlgemeinschaft dann allein mit ihrem guten Gewissen da - und das ist relativ wenig.
* W&V-Gastautor Hasso Mansfeld lebt und arbeitet als Strategieberater in Bingen am Rhein. Er schrieb für die "Financial Times Deutschland" und gehörte zum Kolumnistenkreis der Digitalplattform "The European". Mansfeld ist einer der Macher von "Die Kolumnisten", einer Meinungsseite, die im Oktober an den Start geht.