Gastbeitrag von André Gebel:
"Der Chef will was Virales": Wie große Ideen klein werden
Kunden wollen so innovativ sein wie Apple, so frech wie Sixt und so viral wie Edeka. Das Resultat ist meist ein laues Lüftchen, unbedeutend und schnell vergessen im weiten, bunten Werbekosmos. Was ist auf dem Weg zwischen Aufgabe und Umsetzung passiert? Eine Rekonstruktion in sieben Akten.
Kunden wollen so innovativ sein wie Apple, so frech wie Sixt und so viral wie Edeka. So weit die Aufgabenstellung an die Agentur. Das Resultat ist meist ein laues Lüftchen, unbedeutend und schnell vergessen im weiten, bunten Werbekosmos. Was ist auf dem Weg zwischen Aufgabe und Umsetzung passiert? Eine Spurensuche in sieben Akten.
Das Große wollen und das Kleine machen
von André Gebel*
1. Akt: Der Chef sieht was "Virales"
Der Marketing-Chef ist immer latent unzufrieden. Mit der Agentur, mit der aktuellen Werbelinie und mit den eigenen Mitarbeitern sowieso. Die besten Kampagnen haben immer die Anderen. Als Beweis stolpert er schon wieder im Netz über ein sogenanntes "Viral". Eine Millionn Views, Likes, Shares, Comments, egal - Hauptsache eine Million.
2. Akt: Wurst brieft Agentur
"Warum haben wir nicht so etwas?" Eine Frage wie ein Befehl an Marketing-Juniorprojektmanager Wurst im Unternehmen. Und hier beginnt der erste Fehler. Wurst schreibt pflichtbewusst ein Briefing wie aus dem BWL-Lehrbuch. Es fehlt an nichts, außer an den Vorstellungen und Vorlieben vom Chef. Und um den Erwartungsdruck mal gleich an die Agentur durchzureichen, folgt noch der Hinweis: "Denken Sie groß".
3. Akt: Wake up call im Kreativdepartment
Gar nicht so einfach für abgestumpfte Kreativdirektoren, jetzt auf Hochtouren zu kommen. Die Vergangenheit ist reich an Gegenargumenten und Budgetkürzungen. Doch der Werber ist schwach und naiv. Er glaubt immer an seine Chance und ist am ganzen Dilemma selbst am meisten Schuld. Denn er denkt groß, er denkt anders, er denkt teuer, doch er denkt nicht wie "Chef".
4. Akt: Ganz großes Kino
Plötzlich sind sie da. Gestalten, die der Kunde nur aus Überlieferungen kennt. Die Geschäftsführer und CDs der Agentur. Das Beste vom Besten. Sie sind in Höchstform. Und auf der anderen Seite? Unsere Marketing-Juniorprojektmanager-Wurst garniert mit zwei Praktikanten. Der Chef lässt sich niemals blicken. Nur so hat er die absolute Kontrolle. Die Präsentation, ein Selbstläufer. "Gute Ideen, das wird was" attestiert der Beirat aus zweieinhalb Jahren Berufserfahrung.
5. Akt: Papi muss es richten
Es folgt die interne Präsentation und Marketing-Juniorprojektmanager Wurst wird die eigene Bedeutungslosigkeit vor Augen geführt. Der Chef hatte bereits eine eigene Idee. Natürlich besser. Viel besser. Aus dem vorschnellen Lob wird also ein: "Da müssen wir aber nochmals ran".
6. Akt: Der Ideen-Wolpertinger wird erschaffen
Jetzt wird die Idee vom Chef direkt in den gerupften Agenturansatz hineinoperiert. Das Konzept ergibt spätestens an dieser Stelle keinen Sinn mehr, doch besser Kohle für Quatsch als gar keine Kohle, denkt sich unsere Agentur. Also wird ein "großes" Angebot geschrieben
7. Akt: Der Todesstoß
Der Chef fühlt sich verstanden, allerdings sein Testpublikum aus Ehefrau, Freundin und Sekretärin blickt nicht mehr durch. Das Angebot: eine einzige Frechheit. Mehr als das Jahresbudget. Also lautet die Devise: Machen wir es doch wie immer. Ein Sofortgewinnspiel. Was Kleines halt.
* W&V-Gastautor André Gebel ist Vorstand Beratung & Strategie der Digitalagentur Coma AG