Thomas Koch:
"Bravo, Group M. Und jetzt gehe ich kotzen"
In der aktuellen Print-Ausgabe berichtet W&V von absonderlichen Praktiken beim Media-Giganten Group M: Dort läuft neuerdings Werbung auf den Büro-Bildschirmen. Dreimal dürften Sie raten, wer für diese Werbung zahlt. Und das verschlägt sogar unserem Blogger "Mr. Media" alias Thomas Koch die Sprache.
In der aktuellen Print-Ausgabe berichtet W&V von absonderlichen Praktiken beim Media-Giganten Group M: Dort läuft neuerdings Werbung auf den Büro-Bildschirmen. Dreimal dürften Sie raten, wer für diese Werbung zahlt. Und das verschlägt sogar unserem Blogger "Mr. Media" alias Thomas Koch die Sprache.
Dass ich ein heimlicher Verehrer der Group M bin, musste jetzt endlich mal raus. Meine Leidenschaft begann, als ich in den frühen 70er Jahren in den heiligen Hallen der Düsseldorfer Hüttenstraße bei der heutigen Mediacom zum Junior-Planer ausgebildet wurde. Schon damals hat man uns eingeimpft, niemals mit den "Schmuddelkindern" aus den anderen Agenturen zu spielen. Wir waren schließlich etwas Besseres. Keiner verstand es, mit den GRPs und TKPs so umzugehen wie wir.
Denke ich an Mediacom, komme ich ins Schwärmen. Einen ihrer ersten und größten Durchbrüche erlebte die Mediacom mit der Erfindung des "Telebingo", eines Software-Programms, mit dem die TV-Quoten regelrecht schwindelig gerechnet werden konnten. Zu Beginn der 90er Jahre rechneten die Kollegen in anderen Agenturen noch auf Schiefertafeln.
Mit ihrem langjährigen Star-Kunden Procter & Gamble im Rücken (dem nachgesagt wird, die Mediaplanung in den USA überhaupt erfunden zu haben), gelang es der Truppe um Jürgen Blomenkamp stets die Nase vorn zu behalten. Als es darum ging, dem Markt zu erklären, man sei als Mediaagentur nunmehr eine eigene Wirtschaftstufe, war die Mediacom ganz vorn mit dabei. Wer hat dann das Trading erfunden? Wer kam auf die geniale Idee, den Medien einfach ihr Inventar abzukaufen, um damit einen regen, eigenen Handel zu treiben? Natürlich Mediacom, inzwischen mit ihren Schwesteragenturen Mindshare, MEC und Maxus längst angeschwollen zum beängstigend großen Marktführer namens Group M.
Als das Thema "Big Data" die Runde machte, wer gründete sogleich die geheimnisvolle Firma Xaxis, um mit dieser Innovationsschmiede Daten zu sammeln und sie - selbstredend veredelt - für teures Geld den Unternehmen zu verkaufen, von denen sie stammten? Die Group M mit Mediacom. Who else?
Wenn es darum geht, dem Markt stets voraus zu sein, immer einen Schritt besser zu sein als die ewigen Zweiten im Mediaagenturmarkt - ja, den Markt regelrecht vor sich herzutreiben - da macht der Group M und ihrer Mediacom keiner etwas vor. Einen ernstzunehmenden Wettbewerber hat die Gruppe schon lange nicht mehr. Dass sie dabei inzwischen auch die Medien und selbst ihre eigenen Kunden vor sich hertreiben, zeugt höchstens von der Güte und Perfektion ihrer Innovationskraft. Selbst die größten Medienhäuser kuschen, wenn ein Vertreter der sagenumwobenen Group M seine Stimme erhebt. Und endgültig in Deckung gehen sie, wenn die Group M zur Buchung schreitet. Dann entscheidet sich, wer im nächsten Jahr Media-Umsatz und Gewinn macht. Wer überlebt und wer sich auf einen selbstverschuldeten, langsamen und qualvollen Tod einzurichten hat.
Es ist berauschend, was die Group M da treibt. Immer schlauer als alle anderen, immer cleverer, immer gewitzter, immer geschäftstüchtiger. Da können die Vivakis, die OMDs und die Aegis‘ dieser Welt einpacken. Im Allgemeinen sagt man Tankern nach, dass sie schwerfällig und unbeweglich sind. Nicht so die Group M. So schnell können die Wettbewerber gar nicht hinterher sehen, wie ihnen die Düsseldorfer enteilen. Chapeau, also - vor dieser Leistung.
Doch die Group M wäre nicht die Group M, wenn sie sich auf ihren Lorbeeren ausruhen würde. Immer umtriebiger lassen sie nicht nach im Erfinden neuer Wettbewerbsvorteile, an die kein Mensch auch nur im Traum gedacht hätte. Jetzt ist es ihnen gelungen, sich selbst die Krone aufzusetzen. Und sie hat einen Namen: "Mstream".
"Mstream" kommt daher als App, installiert auf den Rechnern von etwa 1.000 Agenturmitarbeitern. Sie ermöglicht es den Vermarktern nun endlich, ihre Werbung direkt an die MediaplanerInnen der Group M-Agenturen auszuspielen. Maximal sind 60 Sekunden erlaubt, vor denen die Mediaplaner nicht einmal davonlaufen können, denn ein Player überlagert derweil einen Großteil ihres Bildschirms. Das ist an Genialität kaum zu überbieten: Group M verkauft die Arbeitszeit und Aufmerksamkeit seiner Mitarbeiter an alle Medien und Vermarkter, die dafür in die Tasche zu greifen bereit sind.
Die Befürchtungen der Vermarkter, dazu um eine Stellungnahme gebeten, sind absurd. Die einen fühlen sich gezwungen zu zahlen, weil sie sonst befürchten, an Umsatz zu verlieren. Die anderen, die sich weigern, fürchten, dafür abgestraft zu werden. Weicheier! Allesamt Weicheier…
Wer bei diesem neuen, äußerst einträglichen Spiel der Group M nicht mitspielt, hat einfach das Prinzip der modernen Mediaagentur nicht verstanden. Das ist - auch wenn es für Ignoranten danach aussieht - keinesfalls Erpressung. Das ist Mediamarketing in seiner reinsten und modernsten Form. Natürlich hat die Aufmerksamkeit eines Mediaplaners, der die Mediamillionen seiner Kunden verteilt, seinen Wert. Diesen Wert kann und darf man als Mediaagentur nicht ohne Gebühr kostenlos an jeden Dahergelaufenen abtreten. Und selbstredend braucht der Mediaplaner für seine Arbeit Informationen, die seinen Selektionsprozess neutral und unabhängig steuern helfen. Daher sind die Werbeeinblendungen der Vermarkter selbstverständlich als Unternehmensinformation im Corporate Design der jeweiligen Group M-Agentur deklariert.
Auch die MediaplanerInnen der Group M, sollte sie nun das Gefühl überkommen, von ihrem Arbeitgeber wie Sklaven verkauft zu werden, kann man getrost beruhigen. Ihr könnt stolz sein auf euch. Vor allem könnt ihr stolz sein auf den grandiosesten Mediaagentur-Arbeitgeber, den Deutschland zu bieten hat. Die anderen Agenturen schätzen den Wert ihrer Mitarbeiter einfach nicht. Sie zwingen sie unentgeltlich, dem Geschwätz der Vermarkter zu lauschen. Eure Kollegen sind ihnen hilflos ausgeliefert. Nur bei Group M weiß man eure Arbeit wahrhaftig zu schätzen. Ihr wisst jetzt sogar in Heller und Cent, wie viel ihr Wert seid.
Liebe Group M, ihr habt mich zum wiederholten Mal beeindruckt. Angesichts von "Mstream" bleibt mir nur noch, euch ein impressives "Bravo!" zuzurufen. Bevor ich kotzen gehe…