"BBDO ist in Deutschland doch nur mehr ein Schatten seiner Selbst"
WPP-Chef Sir Martin Sorrell über seine Deutschland-Pläne, seine Agenturen und die Konkurrenz. Ein Exklusiv-Interview von W&V-Redakteurin Daniela Winderl.
Martin Sorrell hat noch nie selbst eine Kampagne entworfen und dennoch das größte Werbenetzwerk der Welt geschaffen: WPP. Dafür erntet er viel Anerkennung, aber auch Kritik, bevorzugt von der Konkurrenz. Andere Agenturchefs definieren sich über Kreativ-Ranglisten, er über Zahlen. W&V-Redakteurin Daniela Winderl hat Sorrell interviewt.
Herr Sorrell, Sie haben gerade Ihre Halbjahreszahlen veröffentlicht. Wie geht es der Firma?
Dieses Jahr läuft besser als 2009, wo speziell die erste Jahreshälfte brutal war. In den ersten sechs Monaten 2010 haben wir den Umsatz um 3,5 Prozent auf 5,4 Milliarden Euro gesteigert. Es geht in allen Geschäftsbereichen wieder bergauf. Das Plus verdanken wir vor allem einer raschen Erholung im US-Werbemarkt und Zuwächsen bei der Werbung in den klassischen Medien. Bislang sind wir von einem Jahresumsatzplus von zwei Prozent ausgegangen, jetzt rechnen wir mit einer Steigerung von etwa drei Prozent.
Auch für Deutschland? Hier unterhält WPP immerhin 90 Niederlassungen und beschäftigt über 5000 Mitarbeiter.
Wir erwarten einen Jahresumsatz von 821 Millionen Euro; ein Plus von rund zwei Prozent. Nach den USA und Großbritannien ist Deutschland mittlerweile unser wichtigster Markt - und er erholt sich, anders als etwa der französische oder spanische Markt, außerordentlich schnell. Die Gewinnaussichten sind sogar besser als 2008. Da ist Deutschland der starke Mann in Europa.
Das klingt fast so, als hätten Ihre deutschen Agenturen keine Schwierigkeiten. Dabei haben auch sie in der Krise schwer gelitten, Kunden verloren, mussten kündigen. Noch immer machen einige von ihnen eher mit Personalquerelen als rosigen Geschäften von sich reden. Y&R muss von Wunderman gestützt werden, Grey steht noch immer ohne Kreativchef da und kämpft um den Kunden Karstadt, JWT hat gerade erst den Etat von Eckes Granini verloren.
Das ist unfair. Y&R und Wunderman arbeiten sehr eng zusammen, das stimmt. Sie waren aber beide stark und erfolgreich. Wie auch unsere übrigen deutschen Büros, darunter Ogilvy, die GroupM, G2, Hill & Knowlton, Burson & Marsteller oder TNS. Schauen Sie sich doch einmal die Umsätze an: 2008 schaffte die Gruppe 679 Millionen Euro, 2009 807 Millionen, 2010 erwarten wir mehr.
Wobei die Steigerung von 2008 auf 2009 in nicht unerheblichem Maß der Übernahme des Marktforschers TNS im Jahr 2008 geschuldet sein dürfte. Die wirkte sich positiv auf die Bilanz aus...
Ich bin mit der deutschen Entwicklung, wie gesagt, zufrieden. Ein permanentes Umsatzplus in den vergangenen vier Jahren und das während einer der schwersten Rezessionen, die wir je erlebt haben, das ist eine Leistung.
Deutschland hat starke inhabergeführte Agenturen. In der Branche heißt es, diese seien in der Finanzkrise beweglicher gewesen als Networks und darum besser durch die Krise gekommen.
Alle Firmen haben in der Rezession gelitten, vor allem die traditionellen Werbekonzerne. Ich sehe die Situation aber dennoch anders: Die unabhängigen Firmen hatten es wesentlich schwerer als Networks, finanzielle Engpässe und Budgetkürzungen abzufangen. Dass einige das nicht glauben möchten, hängt mit einer Art natürlichen Abwehrhaltung zusammen. Sie ziehen aus Prinzip David dem Goliath vor. So ungern das inhabergeführte Agenturen hören - und ich will damit nicht sagen, dass das schlechte Agenturen wären: Die Networks schneiden gut ab. Deutschland hatte schon immer sehr starke Network-Agenturen. Es wird in Zukunft eine weitere Konsolidierung unter ihnen stattfinden.
Die Networks müssen sich aber auch den Vorwurf gefallen lassen, sie hätten den Schritt ins digitale Geschäft verschlafen und außerdem unter einer geringeren kreativen Reputation zu leiden. Auch das zu unrecht?
Unser digitales Geschäft macht insgesamt 28 Prozent aus, da hat WPP nichts aufzuholen. In Sachen Kreation glauben viele, dass Networks aufgrund ihrer globalen Etats in den einzelnen Ländern ausschließlich mit Umsetzung und Adaptionsaufgaben beschäftigt sind. Das ist falsch. Sie schaffen eigene Arbeiten und entwickeln Kampagnen. JWT zum Beispiel ist die zentrale Stelle für zahlreiche europäische Kampagnen für Kunden wie zum Beispiel Jacobs. Aber auch für die anderen, für Grey, Ogilvy oder Wunderman gilt: Sie sind kreativ. Auf globaler, regionaler und lokaler Ebene.
WPP-Agenturen, darunter Y&R, gehörten in Deutschland einst zu den wichtigsten und schillerndsten der Szene. Vom alten Glanz ist heute nicht mehr viel übrig. Man hört, Sie würden an einingen Marken hier nur festhalten, weil sie internationalen Kunden ein Versprechen gegeben haben.
Das stimmt nicht. Das lokale Geschäft ist stärker als viele glauben. Von den 20 größten Kunden in Deutschland sind gut die Hälfte hier ansässige Konzerne, wie Bayer, die Deutsche Bank oder Lufthansa. Man muss Entwicklungen immer im Branchenkontext sehen und die Marktlage war sehr schwierig. Wenden Sie das, was Sie gesagt haben, zum Beispiel einmal auf BBDO an. Die sind in Deutschland doch nur mehr ein Schatten ihres früheren Selbst.
Heißt das, Sie wollen alle bestehenden WPP-Marken in Deutschland beibehalten?
Wir brauchen sie alle. Deutschland ist eine der wichtigsten Weltwirtschaften. Wir wollen hier wachsen.
Wie denn genau?
Wir bauen unser Wachstum auf drei Säulen: Es geht darum, neue geographische Märkte in Schwellenländern zu erschließen, den Digitalbereich auszubauen und das Feld Marktforschung zu erweitern. WPP macht bereits über die Hälfte des Geschäfts außerhalb von klassischer Werbung und Media; unter anderem mit spezialisierten Marketing-Dienstleistungen im Below-the-Line-Bereich oder der PR sowie im Digitalgeschäft und der Marktforschung. Hier gibt es noch Potenzial. Deutschland ist strategisch wichtig für das, auch wegen seiner Nähe zu Osteuropa.
Sie gelten als ziemlich einkaufsfreudig. Gehören Übernahmen in Deutschland auch zu Ihren Plänen?
Wir schauen uns nach Firmen um. Auch in Deutschland. Ich werde aber nichts sagen, bevor wir es nicht in der Gruppe veröffentlicht haben.
Ihre Planungen sind langfristig angelegt. Gehen Sie denn davon aus, dass der Aufschwung tatsächlich von Dauer ist?
Noch ist die Situation unsicher. Für 2010 stehen die Budgets fest, ansonsten planen die Kunden kurzfristig. Für 2011 bleibt darum abzuwarten, inwiefern sich die finanzielle Situation in Europa erholt und wie sich die Lage in Ländern wie Griechenland und Spanien entwickelt. Die zweite Frage ist, ob das Wachstum in Amerika anhält.
Setzen Sie deswegen weiter auf Kostensenkung? 2009 hat WPP weltweit 11 000 Mitarbeiter entlassen.
Es war schmerzlich, dass wir die Mitarbeiterzahl um zwölf Prozent kappen mussten. In den ersten Monaten dieses Jahres hat WPP die Quote wieder um bis zu zwei Prozent gesteigert. Wenn unsere Prognosen stimmen, werden wir noch mehr einstellen, allerdings nicht in exzessivem Ausmaß. Die Balance zwischen Mitarbeiterwachstum und Umsatzplus muss schon stimmen.
Ihr Dauer-Konkurrent, Publicis-Chef Maurice Lévy, hat seinen Vertrag kürzlich nach einigem Hin und Her verlängert. Wie lange sehen Sie sich noch an der Spitze von WPP?
Meine Situation ist anders. Ich habe WPP vor 25 Jahren gegründet, und Gründer sind anders als Manager. Sie haben eine emotionale Bindung zu dem, was sie tun. Sie müssen mich schon erschießen, damit ich gehe.
Irgendwo am Ende der WPP-Firmenliste steht noch immer der Name Wire and Plastic Products. Die Firma stellt Küchenutensilien aus Plastik her. Warum halten Sie an ihr fest ?
Sentimentalität. Und weil es uns an unsere industriellen Wurzeln erinnern soll. Deutsche Leser dürften das ja besonders gut verstehen.