Analyse zum W&V Check:
"Agenturen haben den Knall noch nicht gehört"
Mr.Media-Blogger Thomas Koch hat den "W&V Check 2016" analysiert: Und blickt dabei in "tiefe Abgründe" der Branche. Koch sieht insbesondere die Mediaagenturen auf dem Holzweg. Wen die Ergebnisse der Befragung nicht aufwühlten, der werde das Jahr 2020 nicht erleben.
W&V hat kürzlich den „W&V Check 2016“ vorgestellt, eine Branchendiagnose, die uns den Spiegel vorhält. Die Befragung von Werbekunden, Werbe-/PR-/Mediaagenturen, Medien, Forschern und Verbänden ist wie eine Lupe, die unser Verhalten analysiert. Doch wie das mit Lupen so ist, sie können leicht zum Brennglas werden. Je tiefer man in den Check 2016 einsteigt, desto offensichtlicher werden die Brandwunden, die unsere Branche plagen. Man schaut in tiefe Abgründe.
Schon in der Einleitung zur Dokumentation heißt es: „Werbungtreibende schätzen Medien oft völlig anders ein, als es ihre Agenturen tun. Unternehmen sehen klassische Medien wie TV, Radio, Zeitschriften und Tageszeitungen deutlich relevanter in ihrer Planung.“ Den klassischen Medien stehen die Agenturen also, aus welchen Gründen auch immer, viel skeptischer gegenüber als die Werbekunden selbst.
Der Frage, ob das mobile Internet von den Werbekunden stärker gewichtet werde, stimmen nur 58 Prozent der Werbetreibenden, aber erstaunliche 78 Prozent der Agenturen zu. Umgekehrt gedenken z.B. 17 Prozent der Kunden Zeitschriften stärker zu gewichten, jedoch nur 8 Prozent der Agenturen. Das lässt den Schluss zu, dass sich Agenturen und Kunden offenbar nur selten austauschen (und dass Agenturen daher nicht so genau wissen, was ihre Kunden denken). Andererseits können die Zeitschriftenverlage am Check 2016 sehr schön ablesen, wer ihnen da gerade Hinkelsteine in den Weg legt.
Online wird von den Agenturen also gehörig überschätzt. Da wundert es nicht, dass fast ein Drittel der Agenturvertreter die Bedeutung klassischer Werbung derzeit sogar für überschätzt hält. Sie blicken halt nur allzu selten über ihren Horizont und übersehen dabei, dass das Marketing ihrer Kunden auf einer viel größeren Klaviatur spielt (Direktmarketing, Events etc.) als sie selbst im Kompetenz-Portfolio haben.
Agenturen gegen Transparenz
Ebenso heftig driften die Aussagen beim Thema der einheitlichen Wirkungswährung für alle Medien auseinander, wie sie derzeit von der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) mit viel Energie forciert wird. 80 Prozent der Kunden erhoffen sich davon mehr Transparenz, aber lediglich zwei Drittel der Agenturen. Ebenso viele Kunden (79 Prozent) glauben dadurch an eine wesentliche Erleichterung ihrer Mediaentscheidungen, jedoch erstaunlicherweise nur 63 Prozent der Agenturen.
Das Delta ist einfach zu erklären: Je transparenter der Mediamarkt wird, desto schwerer werden sich Agenturen tun, ihre eigene, Rendite-getriebene Media-Agenda durchzusetzen. Mit ihren Antworten operieren sie jedenfalls eindeutig gegen die Interessen ihrer eigenen Klienten. Mehr als ein Viertel der Agenturen (@wuv, kann ich bitte die Namen haben?) traut sich sogar, eine solche Währung für „nicht wünschenswert“ zu halten. Dazu erspare ich mir jeden Kommentar…
Bezeichnend ist die jüngste Kritik an der Leistung des Noch-Leitmediums TV. Sie kommt keinesfalls von den Mediaagenturen, die hier im Auftrag ihrer Kunden den Leistungsverlust des Fernsehens anprangern müssten. Nein, sie kommt von den Kunden selbst. Die Mediaagenturen stehen wie unbeteiligt daneben und äußern sich höchstens hinter vorgehaltener Hand.
Doch wenn es um Transparenz geht, haben viele Kunden das Heft längst in die eigene Hand genommen: Bereits ein Drittel aller Unternehmen rechnet mit den Medienvermarktern direkt ab, nur noch ein gutes Drittel lässt die Abrechnung über die Mediaagentur laufen (verbleibendes Drittel „unterschiedlich/weiß nicht“). Ich behaupte mal, dass der Anteil der Unternehmen, die direkt abrechnen, weiter steigen wird. Dadurch werden allerdings sowohl das Geschäftsmodell der Mediaagenturen als auch eine ihrer Haupteinnahmequellen obsolet.
Noch mehr Ignoranz legen die Agenturen an den Tag, wenn es um die Frage geht, welches die Ingredienzien des Werbeerfolgs sind. Die eine Hälfte der Antworten entfällt auf die schöpferische Leistung, die andere salomonisch auf Planung und Kontrolle. Gerade Agenturen sollten jedoch wissen, dass der Erfolg einer Kampagne zu etwa 80 Prozent auf die Kreation zurückzuführen ist und lediglich zu 20 Prozent auf die Dimension Media. Dass dann andererseits nur zwei Drittel der Agenturen Kommunikations-Tracking und gar nur ein gutes Drittel Media-Evaluierungen für wichtig und empfehlenswert halten, setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Die Ergebnisse des Check 2016 lassen einen einigermaßen sprachlos zurück.
Den Knall nicht gehört
Wenn es dann um die Frage geht, ob Werbung eher dem Konsumenten oder dem Werbetreibenden zugutekommt, sind sich Werber und Werbekunden (fast) einig: Drei Viertel der Agenturen sehen den Vorteil beim Unternehmen. Weil sie den Knall nicht gehört haben. Weil für sie die Proklamation „Der Kunde ist König“ offenbar nur leeres Geschwätz ist. Das zeigt sich derzeit übrigens auch an ihrer teils vehementen Ablehnung von Content Marketing. Denn hier droht ihnen durch das Aufkommen neuer Content-Agenturen erneut ein Verlust an Einfluss. Immerhin denken wenigstens die Kunden weiter: Ein Drittel der Unternehmen bescheinigt dem Endverbraucher, dass ihm die Vorteile aus der Werbung zugutekommen (müssen). Auch in diesem Punkt bewegen sie sich also offenbar schneller als die eigenen Agenturdienstleister.
Kunden-Bashing muss jedoch auch erlaubt sein. Auf die Frage wie die Höhe des Werbebudgets festgelegt wird, antworten 90 Prozent, dass „persönliches Gespür/Erfahrungswerte“ eine mittlere bis große Bedeutung spielen. Für nur 19 Prozent sind es Erkenntnisse, die dabei eine große Bedeutung besitzen.
Das ist zwar an Peinlichkeit schwer zu überbieten, zeigt jedoch auch, dass die Agenturen ihren Kunden hierbei offensichtlich keine große Hilfe sind. Logischerweise sagt dann auch nur jedes zehnte Unternehmen, dass man bei der Etatfindung auf den Rat der Agentur vertraut. Als Agentur würde ich in den Boden versinken.
Kunden der Mediaagenturen oft unzufrieden
Für alle ihre Unzulänglichkeiten werden die Agenturen denn auch gehörig abgestraft. Während noch zwei Drittel der Kunden mit ihrer Werbeagentur zufrieden sind, fällt der Anteil bei den Mediaagenturen auf nur noch ganze 53 Prozent. Ein bedenkliches Viertel der Kunden ist nicht zufrieden mit ihrer Mediaagentur, von 12 Prozent bekommen sie sogar („überhaupt nicht zufrieden“) die rote Karte.
Geht man hier in die Tiefe, werden die wahren Defizite offensichtlich. Für fast zwei Drittel aller Kunden ist die strategische Beratung sehr wichtig, diese Meinung vertritt jedoch nur die Hälfte der Agenturen. 63 Prozent der Werbetreibenden erwarten eine hohe Kompetenz für klassische Kommunikation. Mit einem Anteil von nur 43 Prozent haben sich die meisten Agenturen jedoch schon längst aus diesem Arbeitsfeld verabschiedet. Die Qualität der Mediaberatung ist 55 Prozent der Kunden sehr wichtig - mit lediglich 45 Prozent sehen das die Agenturen erstaunlicherweise anders. Besonders extrem ist das Delta ausgerechnet bei der Frage des Werbewirkungs-Know-hows: Die ist fast der Hälfte der Kunden sehr wichtig, aber nur jeder fünften Agentur. Da habt ihr Agenturen den Salat.
Der W&V Check 2016 macht deutlich: Die Mehrzahl der Agenturen ist auf dem Holzweg. Sie haben nicht nur den Kontakt zur Basis - zu ihren Zielgruppen - längst verloren, sie haben auch den Anschluss an ihre Kunden verloren.
Die Kunden wachen zwar erst langsam auf, aber sie bewegen sich. Die Agenturen dagegen, insbesondere die Mediaagenturen, verharren in Selbstverliebtheit, bestenfalls in einer geradezu narzisstischen Selbstschau. Wichtig sind ihnen in erster Linie ihre eigenen Interessen. Die Zeichen der Zeit sind jedoch andere: Die Kunden (und erst recht die Verbraucher) erwarten Leistung. Gegenleistung. Wirkung. Und Werte.
Agenturen, die auf alle Fragen, die der Check 2016 aufwühlt, Antworten finden, werden gewinnen. Mediaagenturen, die in ihrer selbstverliebten Vergangenheit verharren, werden überflüssig. Wer die Signale weder sieht, noch hört, wird das Jahr 2020 nicht erleben.